Hand zum Gruss erhoben

Früher, ja früher da war alles besser!

„Es heißt, dass man zu dem, was man „den Geist einer Epoche“ nennt, nicht zurückkehren kann. Dass dieser Geist sich zerstreut, liegt an der Endlichkeit der Welt. Aus diesem Grunde, auch wenn man heute den Geist von vor hundert Jahren und mehr wollte, geht es nicht. Folglich ist es wichtig, aus jeder Generation das Beste zu machen.“

Yamamoto Tsunetomo, 1695 - 1719


Egal welches Treffen man in der Motorradszene besucht, früher oder später wird es unter den alten Bikern zu der sich ewig im Kreise drehenden Litanei kommen, in der auf hohem Niveau ein sich am Horizont des eindimensionalen Denkens abzeichnender Niedergang der Szene beklagt und dem damit verbundenen Verlust der so hoch gelobten, aber kaum genau zu benennenden Werte der guten alten Zeit nachgetrauert wird.

Das war bereits in den 60ger und 70ger Jahren so, das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt so und das wird sich wohl auch in der Zukunft nicht ändern. Und warum auch? Gefällt sich doch vor allem das deutsche Urgestein im weinerlichen Nachtrauern der im Fortschritt der Zeit verloren gegangenen Zustände. Einer diffusen Zufriedenheit vergangener Tage.

War es in den 60ger Jahren der Halbstarke, in 70ger Jahre der Hippie, in den 80ger Jahren der Rocker, in den 90ger Jahren der Neureiche, der Anwalt oder Zahnarzt, der sich angeblich in die Szene drängte, in der er nichts zu suchen hatte, um ein von allen geschätztes und doch von kaum jemanden zu benennendes Kulturgut in seinem Bestand zu bedrohen, ist es heute der Hipster, vor dem eindringlich gewarnt wird. Von dem man sich besser fernhält, weil von diesem Hipster eine Gefahr für die Szene ausgeht. Der Hipster der sich der Inhalte der Szene bedient, ohne sich diese Inhalte verdient zu haben. Der diese Inhalte für seine Zwecke missbraucht und darüber die Szene in ihrer Existenz bedroht.

Für mich geht von der in Augenblick herrschenden Situation etwas Unwirkliches aus. Da stehen scheinbar gestandene Männer beieinander und lassen sich lautstark darüber aus, sich durch das Wirken der Hipster in ihrer Existenz bedroht zu sehen. Kann das Ganze mehr sein, als ein Kindergarten für Erwachsene. In der Suche nach Antworten, drängt sich die Frage auf, ob die Gruppe selbst ernannter, echter Biker, die von ihren dicken Kisten herunter gegen die Hipster schwardronieren, ernsthaft an die Bedrohung ihrer Kultur durch eine Gruppe vermeintlich Ahnungsloser glaubt oder ob es doch eher die offene Neugier, die Unangepasstheit und die damit einhergehende Bewegungsfreiheit der neuen Subkultur ist, die den alteingesessenen Sesselpupsern unangenehm aufstößt.    

Früher, ja früher, da war alles besser! Früher, da war ein Motorrad noch ein Motorrad und kein Bike. Da Rocker in dieser Zeit eher selten in großen Gruppen auftraten, konnte man sie noch ohne Gefahr für Leib und Seele verständnisvoll lächelnd als Halbstarke abtun. Der gestandene Motorradfahrer verstand sich als Teil eines schraubenden Kollektivs Gleichgesinnter und weniger als das ferngesteuerte Zielobjekt einer Mode- oder Markenindustrie, wie wir sie heute kennen.

Meine Erinnerungen an die Zeit dieser zweirädrigen Bewegung konnte ich in der eigenen Familie sammeln. Motorräder wurden in meiner Familie von allen männlichen Mitgliedern bewegt. Männer die ihre Kröten, die ihnen zum Ende der Woche im Büro noch in der Lohntüte überreicht wurden, wie die meisten im Ruhrgebiet vor Kohle oder als Stahlkocher verdienten und mit ihren Mopeds durch die Gegend knatterten, weil sie sich nichts anderes leisten konnten.

Seltsamerweise machte bereits damals der Mythos die Runde, nach dem früher alles besser gewesen sei. Mein Großvater, der seinen Arsch für die Nazis in Russland hingehalten hatte und dementsprechend einiges über die Qualitäten des früher zu sagen wusste, pflegte in solchen Fällen anzumerken, das früher Fett auch noch mit „o“ geschrieben wurde.

Heute in dem Alter in dem er damals gewesen ist, fällt es mir in vielen Bereichen schwer zu beurteilen, ob es in diesen Bereichen im Vergleich zur Gegenwart früher tatsächlich besser war. Eines kann ich aus meinen Erinnerungen an die 60ger und 70ger Jahre jedoch mit Gewissheit sagen. Jeder Form von frühen Umbauten, die man als die Vorläufer der Custombikes der Gegenwart bezeichnen kann, stand man in der Motorradszene dieser Zeit auf breiter Front mit Ablehnung gegenüber.
Vieles von dem, was heute von den 30. bis 40. Jährigen „alten“ Szenefüchsen so gerne Oberschlau als Oldschool bezeichnet wird, findet seinen Ursprung in dieser Zeit und ich erinnere mich noch gut daran, das man sich die Anerkennung jedes einzelnen Teils, das heute so beiläufig als cool bezeichnet und wie selbstverständlich mit diesen frühen Jahren in Verbindung gebracht wird, gegen massive Widerstände von allen Seiten in kleinsten Schritten mühsam erkämpfen musste.

Betrachte ich heute die Möglichkeiten eines Umbaus, kommt mir oft ein verwegener Typ in den Sinn, den ich Anfang der 70ger Jahre beim TÜV traf und der dort, von welchem Wahn auch immer getrieben, an seiner alten NSU Max ein nicht originales 19 Zoll Vorderrad eintragen lassen wollte und sich nach gut einer Stunde herb mit den Graukitteln geführter Diskussion mit hängenden Schultern und selbstredend ohne den erhofften Eintrag vom Hof trollte.  

Den Jungs in Grün, die damals noch als Schutzmänner daherkamen und von denen sich nicht wenige unangenehm Gut mit der Technik eines Motorrades auskannten, war jede Form von Veränderung ein Dorn im Auge. Unter den Graukitteln vom TÜV erzeugten Veränderungen Brechreiz und lösten je nach Art und Umfang mitunter Schnappatmung aus.

Nach Auffassung beider Berufsgruppen, die ihre Tätigkeit dem Wortstamm entsprechend als Berufung verstanden, gehörte diesen Veränderungen mitsamt derer die diese Veränderungen vornahmen und vor dem Gesetz zu legitimieren suchten, die Fahrerlaubnis entzogen.

Als Jugendlicher wurde dir beim TÜV in den 60ger und 70ger Jahren generell die Arschkarte zugesprochen. In der Zeit in der das Monopol des Prüfens eines Fahrzeugs noch beim TÜV und zwar ausschließlich auf deren Gelände lag, wurde dein Fahrzeug von dir dort noch vorgeführt. Dabei befand sich der Platz der Mopeds abseits der Schlange der Wartenden und damit generell neben dem Fluss.

Zu dir kam der Prüfer nach Lust und Laune, wenn all die älteren Herren mit Hut nach einem gemütlichen Plausch mit den Prüfhoheiten das Gelände längst wieder verlassen hatten. Um dir klar zu machen, wo du stehst, wurdest du grundsätzlich mit du angesprochen, was jedoch nicht bedeutete, das auch du den Prüfer mit du ansprechen konntest und nicht selten wurdest du mit einen freundlich, bestimmten „mach das du mit deiner Kiste vom Gelände kommst“ wieder verabschiedet.

Hätte man den Graukitteln in den frühen Jahren ihrer grenzenlos scheinenden Macht klar gemacht, das sich diese Macht drei Jahrzehnte später mit Hilfe einer im Polen oder Portugal ausgestellten ABE auf das Potenzial eines feuchten Furzes reduzieren ließe, hätte dies die Selbstmordrate unter TÜV Prüfern möglicherweise sprunghaft ansteigen lassen. Damit wäre es dann früher tatsächlich besser gewesen.    
Und auch in den, den Markt beherrschenden Motorradzeitschriften dieser Ära ließ man kaum ein gutes Haar an den ersten Umbauten, die man hier weniger als das Ergebnis eines kreativen Bedürfnisses nach Individualität, sondern eher als ein Produkt gesellschaftsfeindlicher und damit fehlgeleiteter Hirne betrachtete.

Ich erinnere mich noch sehr gut an die ersten, von der Firma AME im Rahmen der Kölner IFMA (Internationale Fahrrad und Motorrad Ausstellung, heute Intermot) präsentierten Chopper auf der Basis Zwei- und Vierzylinder Honda und Yamaha Motoren. Die Mädels, die sich in goldenen Bikinis auf den Maschinen räkelten, gingen eigentlich für alle soweit in Ordnung. Die Mopeds, die man damals in der Mehrzahl noch als Chopper bezeichnete, betrachtete man dagegen mit gemischten Gefühlen. Man stelle sich dieses Publikum auf einer der heutigen Custombike Messen vor.

Das individualisieren eines Motorrades beschränkte sich in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts in aller Regel auf dem Austausch der Spiegel, der Griffe und der Blinker, bei denen das Non Plus Ultra die so genannten Ochsenaugen bildeten.

Während man heute zur Umgestaltung abschraubt, wurde früher eher angeschraubt und vor allem in Chrom getauchte Sturzbügel und Gepäckträger standen hoch im Kurs. Wer damals über die Mittel verfügte sich einen japanischen Zwei- oder Vierzylinder zuzulegen, blickte mit Stolz auf seine Maschine und beließ sie in dem Zustand, in dem sie vom Werk ausgeliefert wurde.

An den Sonntagen fuhr man dann eines der Motorradtreffen seiner Region an, um im Kreise Gleichgesinnter das auch heute noch gern zitierte Benzin zu Quatschen, von dem auch damals schon ein wesentlicher Anteil eher unausgegorenen Gedankenkonstrukten entsprang. Die Neuheiten des Marktes ließen sich so in entspannter Atmosphäre bestaunen und vieles von dem, was man hätte, sollte oder könnte, gehörte bereits auf dem Heimweg der Vergangenheit an.

Die Grundfarbe beim Duisburger Motorradtreffen, das in den frühen Jahren noch nicht am Autobahnkreuz Kaiserberg, sondern auf der Uhlenhorststrasse einer über die A3 führende Strasse im Duisburger Wald Richtung Mülheim Speldorf abgehalten wurde, bestand aus einem Schwarz mit fein gezogenen Weißen Linien oder als Kontrast dazu aus einem Weiß mit fein gezogenen Schwarzen Linien. Dazwischen hier und da unterschiedlichste Grautöne, etwas Chrom und Schluss. Erste Farbe wurde vor allem durch die Japaner ins Rennen geworfen. Totenköpfe sah man eher selten. Erste Aufkleber kannte man als Prilblumen oder Pillhühner und auch die Welt wollte zu diesem Zeitpunkt kaum jemand Ficken. Die wurde ja bereits von den TÜV Prüfern gefickt und so war man froh, wenn man seine Ruhe hatte.

Mit dem heute geradezu Inflationär gehandelten Begriff des Custombikes, hätte zu dieser Zeit kaum jemand etwas anzufangen gewusst und während die Marke Harley-Davidson in ihrer Heimat ums Überleben kämpfte, wurde das Bild des außergewöhnlichen auf der heimischen Brückenbühne von den Motorrädern aus Japan bestimmt. Die Geschichte mit der eigenen Seele einer Maschine und dem damit verbunden hemmungslosen Griff zur Flex sollte erst Jahrzehnte später in Gang kommen.

Und auch dem ewigen Nachtrauern des Niedergangs der Bruderschaft soll an dieser Stelle einmal korrigierend entgegengetreten werden. Das Heben der linken Hand zum Gruße, wurde bereits damals weder von der gesetzgebenden Ordnungsmacht, noch vom 7. Sinn gerne gesehen.

Die Hände gehörten damals wie heute an die Lenkstange und sollten nicht zum Winken beziehungsweise Grüßen entgegenkommender Fahrer gleicher Gesinnung zweckentfremdet werden. Und überhaupt wurde schon in den frühen Jahren dieses Brauchtums längst nicht alles und längst nicht jeder gegrüßt und mit feinem Gespür zwischen Grüßbar und Ungrüßbar unterschieden.

Wer damals in der Republik etwas auf sie hielt und dies auch öffentlich zeigen konnte und wollte, der fuhr BMW. Man erkannte sich im entgegenkommen an dem Koffer ähnlichen Gebilde unter dem Tank und den weit ausladenden, Sturzbügel gesicherten Zylindern und beschränkte sich in seinem Grußritual auf den Bruder im Geiste.

Die Fraktion der Reiskocher sah das bereits deutlich entspannter und richtete ihren Gruß auch schon mal an den Fahrer einer BMW. Da der Stern der Marke Harley-Davidson in dieser Zeit kurz vor dem Erlöschen stand, spielten Motorräder dieser Marke nur noch in den Ursprüngen einer sich bildenden Rockerszene eine ernstzunehmende Rolle, die man, obwohl sie weil Böse, selten einen Gruß erwiderten, sicherheitshalber mitgrüßte.

Der Gruß an die Fahrer der Kleinschildfraktion ging jedoch für echte Motorradfahrer ebenso wenig, wie der Gruß an einen Rollerfahrer. Auf der anderen Seite bereitete es gerade diesen Gruppen ein diebisches Vergnügen dem unkonzentrierten Großschildfahrer im Morgengrauen und der Abenddämmerung einen solchen Gruß aus dem Ärmel zu leiern und ihm damit den Rest des Tages zu vermiesen.

Stellt man die Motorradszene der 60ger, 70ger und 80ger Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit der Bikeszene der Gegenwart in einen Vergleich, dann hat sich nicht nur im Wesen des Fahrers eines Motorrades, sondern auch in der Funktionszuordnung der Maschine ein deutlicher Wandeln vollzogen. Der Gedanke eines Besseren oder Schlechteren spielt in diesem Wandel allerdings kaum eine nennenswerte Rolle.

Galt das Motorrad in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts als ein Transportmittel des kleinen, sprich armen Mannes, stellt es heute in vielen Bereichen neben einem Statussymbol eine Art Kult- oder Kunstobjekt dar und wird von bestimmten Modeströmungen schlicht als ein, eine Szene prägendes Accessoire angesehen.

Ein Motorrad zu bewegen, das heute im allgemeinen Sprachgebrauch als Bike bezeichnet wird, ist Hip und so wird ein hippes Bike, so man den Vorgaben der Mode glauben schenken mag, gerne von Hipstern gefahren, denen es beim Schließen des Kreises von Trend und Szene sicheren Modefotografen gerne unter den Hintern einer bedingungslos darzustellenden Coolness geschoben wird.

Gerne mit Dreitagebart, einem Hauch von Schmuddligkeit, szenisch tätowiert und auf jeden Fall in hippen Klamotten, denen ein Hauch von Freiheit und wildem Leben auf der Landstraße anhaftet. Das Ganze dabei gerne so überzogen und Realitätsfern dargestellt, das sich Otto Normalverbraucher über den hohen Anteil an verwegener Freiheit wundert und sich der Motorradfahrer alten Schlages nur noch ratlos am Hintern kratzen kann.

Wird einer dieser Alten auf seine offensichtliche Irritation angesprochen, beginnt sich auch hier der Kreis zu schließen. Denn mit kaltem Schweiß auf der Stirn, greifen diese dann gerne nach dem Rettung verheißenden Strohhalm der guten alten Zeit und beginnt etwas vom Heben der Hände und einer kameradschaftlichen Hilfeleistung am Straßenrand zu faseln, die es so doch längst nicht mehr gibt und es so wohl auch nie tatsächlich gegeben hat.

Bedauerlicher Weise vergessen die meisten dabei, dass sie vermutlich selber zu den Bescheuerten, sprich den Hipstern ihrer eigenen Epoche gehörten.Doch es könnte alles noch viel schlimmer kommen. Man stelle sich nur einmal vor, dass diejenigen die man so gerne als die Parasiten eines in der „echten“ Motorradszene gepflegten Kulturgutes bezeichnet, plötzlich damit beginnen die Hand zum Gruß zu heben oder einem am Straßenrand liegen gebliebenen Bruder ihre Hilfe anbieten. Wie Scheiße wäre das denn?

Nee, da bleibt man doch lieber dabei, das es so wie es früher war, deutlich besser war und Schluss.

In diesem Sinne, Keep on Ridin´ Easy