Das Kizuna Projekt
Wenn sich Handwerk und Kunst zum Kunsthandwerk im japanischen Stil verbinden
Ein Projekt von Boss Performance Motorcycles mit Beteiligung von Katharina von der Eiche und Spirit Leather, begleitet von Peter Su Markus.
Der Wunsch ein Custom Bike zu besitzen, findet seinen Ursprung in der Regel in der Sehnsucht sich mit etwas Außergewöhnlichen zu Umgeben. Dem Wunsch etwas Besonderes, etwas Einzigartiges zu besitzen und sich damit fern jedes in Masse produzierten Serieneinheitsbreis von der damit gebotenen Individualität inspirieren und im Falle eines Bikes natürlich auch bewegen zu lassen.
Die Geschichte des an dieser Stelle vorgestellten Bikes beginnt damit, das sich jemand mit jemandem über den Inhalt seiner Wünsche und Ideen unterhält und dieser wiederum jemanden kennt, der die kreative Fähigkeit und das handwerkliche Geschick besitzt den Inhalt der Idee eines individualisierten Aufbaus von der Ebene eines theoretischen Gedankenspiels in die Realität zu übertragen.
Das der Zufall in solchen Geschichten gerne eine tragende Rolle spielt, nimmt er auch in dieser Geschichte einen Platz ein und besteht darin, das mit Enrico De Sena von Boss Performance Motorcycles und Dimitrios Georgoulas aka Jimi von Spirit Leather über den Aufbau des Mopash Internetshops zwei von ihrem künstlerischen Wesen geprägte Handwerker der Custombike Szene zusammengeführt wurden, die sich bis zum Zeitpunkt besagter Internetshopgründung noch nicht persönlich begegnet waren.
Über die Verbindung der gemeinsam genutzten Angebotsplattform begann man sich nun in beiden Werkstätten intensiver mit den Arbeiten und den sich darüber zum Ausdruck bringenden künstlerischen Inhalten und Ideen des jeweils anderen zu beschäftigen und was man sah, fand auf beiden Seiten gefallen.
Als dann Torsten, ein guter Kunde von Jimi mit diesem über seinen Wunsch nach einem möglichst individuellen Aufbau auf der Basis einer, in den Staaten erworbenen Harley-Davidson sprach, war es nur noch ein kleiner Schritt bis die bisherigen Arbeiten von Enrico ins Spiel gebracht und damit in die Waagschale möglicher Entscheidungsfindungen geworfen wurden.
Die Bilder der Bikes die sich auf Enricos Webseite fanden, überzeugten Torsten schnell von der Qualität der dort gezeigten Arbeiten und obwohl er in Süddeutschland lebt, viel die Entscheidung den geplanten Aufbau in Enricos Werkstatt in Hamminkeln am nördlichsten Niederrhein über die Bühne zu bringen und das Basisfahrzeug nebst einer Kiste bereits besorgter Anbauteile und einen Kasten Bier bayrischer Herkunft auf die Ladefläche eines Transporters zu laden und das Ganze in Deutschlands Nordwesten zu karren um das Projekt anzustoßen.
Während Enrico sich seit langem mit dem Gedanken an einen Aufbau im klassisch japanischen Stil eines Shinya Kimuras beschäftigte, stand Torsten der Sinn eher nach etwas im mexikanischen Stil. Unter dem Einfluss bayrischen Weizensaftes verbanden sich einzelne Ideen zunächst zu etwas im mexikanisch/japanischen Stil, der sich dann gegen Abend zunehmend in Richtung aufgehender Sonne konkretisieren sollte.
In der Umsetzung des mexikanischen Stils, beeinflusst das Lebensgefühl und die kulturelle Verbundenheit der Mexikaner gegenüber eines schrill, bunten Totenkultes im Rahmen eines Themenbikes eher die Oberflächengestaltung und beschränkt sich damit in der Regel auf das äußere Erscheinungsbild eines Aufbaus.
Getreu der japanischen Lebensmaxime, unter die Oberfläche zu schauen, um die Dinge von ihrem Wesen her erfahren zu können, schwebte Enrico im Gegensatz dazu ein massiver Eingriff in das ursprüngliche Erscheinungsbild der angelieferten Softail vor und überzeugte Torsten mit seiner Vision davon, das Gefühl des Viva la Mexiko zugunsten des Weges der Samurai aufzugeben.
Da laut Torsten der Motor bereits in den USA überholt worden war und sich dies nach einem kurzen Blick ins Innere erfreulicherweise auch bestätigte, blieb das Aggregat bis auf eine Grundreinigung der Außenhaut weitestgehend unangetastet.
Um sich einen ersten Überblick über die spätere Linienführung verschaffen zu können, wurden die bereits vorhandenen Teile soweit zusammen gesteckt, das sie ein Bike ergaben und entschieden werden konnte, was bleiben und was der Trennscheibe zum Opfer fallen würde.
Da Enrico für die gesamte Linienführung des Bikes verantwortlich zeichnete, lag auch die abschließende Formgebung der Sitzgrundplatte in dessen Verantwortung. Während sich Jimi auf den Entwurf des Sattels konzentrierte, dessen Geschichte in einem gesonderten Bericht erzählt werden soll, wurden in der Frage der Linienführung des Aufbaus gewichtige Entscheidungen getroffen.
Der Softailrahmen, der bereits die Optik eines starren Rahmens unterstützte und bereits tiefer gelegt angeliefert wurde, sollte unter Einsatz einer, eigens für dieses Projekt modifizierten originalen Springergabel noch etwas näher an den Boden gebracht werden und die Tatsache das Torsten das Bike später im Solobetrieb bewegen wollte, erlaubte es den Heckfender mitschwingend zu gestalten und damit die weit ausladenden Fenderstruts mit zwei beherzten Schnitten mit der Flex vom Hauptrahmen zu trennen.
Leider geriet Enrico mit zunehmender Klarheit in der Linienführung bei der Sichtung der von Torsten mitgelieferten Anbauteile in einen, für ihn nur schwer zu lösenden Gewissenskonflikt. Bereits bei der Vorbesprechung war deutlich geworden, dass es nicht alle, der bereits besorgten Teile am Ende auch tatsächlich ans Bike schaffen würden. Und obwohl es laut Torsten in Enricos freier Entscheidung lag, welche Teile er verbauen würde, zweifelte Enrico daran, dass Torsten all die Teile besorgt hatte, um sie am Ende wieder einzupacken und sich ins Regal seiner Garage zu stellen.
Doch je deutlicher der Aufbau an Kraft, Energie und Dynamik gewann, desto deutlicher zeichnete es sich ab, dass sich die Summe der Teile nicht ins angestrebte Gesamtbild fügen würde. Die Tatsache, das es sich bei den Teilen nicht um irgendeine im Internet bestellte Billigware handelte, sondern von Torsten mit einen ordentlichen Schuss Herzblut aus der ganzen Welt zusammengetragen oder wie im Beispiel des Tankdeckels und des Rücklichts in Torstens Auftrag eigens für diesen Aufbau anfertigt wurden, machte die Sache auch nicht gerade leichter.
So fühlte sich Enrico also vom Respekt gegenüber Torstens Wünschen auf der einen Seite und der zunehmenden Deutlichkeit in der sich die mitgelieferte Hardware der sich immer klarer abzeichnenden Linienführung widersetzte, auf der anderen Seite hin und her gerissen.
Als sich dann auch noch die Linie des Tanks dem von Enrico angestrebten Ideal zu widersetzen begann, wurde deutlich, dass er um eine endgültige und klare Entscheidung nicht herum kommen würde. Den Reigen der Teile deren Schicksal mit einem klaren No-Go besiegelt werden sollte, eröffnete die Gold glänzende Frontlampe, gefolgt vom Glanzschwarz beschichteten Lenker im Bonanza Stil. Auch der handgefertigte Messingtankdeckel in Form einer Krone würde es nicht bis ans Bike schaffen. Den Rest würde man sehen!
Um sich von den zu erwartenden Diskussionen abzulenken, griff Enrico sich einem schön abgehangenen Streifen besten Stahlblechs und verbrachte die nächsten Stunden damit das zwei Millimeter starke Blech, unter Einsatz des englischen Rades, eines Lufthammers und des eigenen Muskelschmalzes in die Form eines Heckfenders zu treiben.
Im Radio gab Pharrell Williams seinen Song Happy zum Besten und für Enrico begann sich fern jeder Ablenkung in der konzentrierten Arbeit am Fender etwas zu entwickeln, das er als die Magie seiner Arbeit bezeichnet und das man beim Glücksspiel wohl als Lauf bezeichnen würde.
Unter dem Einfluss dieses Laufes, hielt er nach einigen Stunden in der Welt der Metallbearbeitung nicht nur Stück Fender in Händen, das sich trotz seines Gewichtes mit der Leichtigkeit einer zweiten Haut um das Gummi des Hinterrades schmiegen würde, sondern auch eine extrem sauber gearbeitete untere Fenderbefestigung, die wie so viele der ebenfalls von Hand gearbeiteten Teile am Ende optisch soweit in den Hintergrund treten würden, das sie nur noch vom aufmerksamen Betrachter zur Kenntnis genommen und mit der entsprechenden Anerkennung gewürdigt werden würde.
Bei der filigranen und mit elegantem Schwung ausgeführten, oberen Fenderbefestigung, die wie zwei Rochenstachel das winzige ebenfalls in Handarbeit gefertigte Messingrücklicht in die Zange nahmen, würde dies anders sein.
Doch bis dazu kommen sollte, beschäftigte Enrico die Frage, was sich mit dem Rest des Fenders machen ließ. Die Möglichkeit das gut zwanzig Zentimeter lange Stück einfach in die Schrotttonne zu befördern, schloss sich für Enrico bereits vom Grundsatz seiner inneren Einstellung her aus. Dabei war die mit seinem Grundsatzdenken verbundene Fähigkeit, auch den kleinsten Rest einer sinnvollen Verwendung zuzuführen, nicht aus Geiz geboren, sondern entspricht eher seiner Neigung zur Reduktion.
Dazu kam, dass ein Kunde, der für ein Stück Stahl bezahlte, seiner Meinung nach auch soviel wie möglich von diesem Stahl und der Zeit in der dieser in Form gebracht wurde bekommen sollte. Dies erklärt zwar einiges zu Enricos Denk- und Arbeitsweise. Zur Klärung der Frage, was denn nun mit dem Rest geschehen sollte, trägt diese Erklärung jedoch nicht bei.
Der erste Gedanke, das Stück zum Luftfilter umzuformen, wurde mit einem kurzen Blick auf den von Torsten mitgelieferten Luftfilter und der damit verbundenen, bereits erklärten Problematik verworfen.
Und so wanderte der Rest des Fenders langsam vom Heck über Tank und Motor bis zur Front des Aufbaus. Um einen brauchbaren Frontfender abzugeben, hätte er etwas länger sein müssen. Doch dann fällt auf, dass die Schnittkante des Fenderrestes geradezu Ideal zum Radius eines alten Frontscheinwerfers aus der 30ger Jahren passte, der im Teileregal auf seine Weiterverwertung wartete. Und hatte Enrico nicht vor kurzem irgendwo gelesen, dass sich die führenden Köpfe der Customwelt im Augenblick von einem Trend in Richtung früher Frontmasken und Frontverkleidungen inspirieren ließ?
So begann die Idee einer solchen Verkleidung in ihm zu arbeiten und seinen Ehrgeiz zu wecken. Das Blech war stabil genug der Lampe den nötigen Halt am Bike zu bieten, gleichzeitig ließ sich mit einer solchen Verkleidung vom unruhigen Erscheinungsbild der Springergabeln ablenken und gleichzeitig ein optischer Fluss von der Front bis zum Heck des Bikes erzeugen.
Das Beste war jedoch, das sich das Blech, den Grundsätzen der japanischen Zen Lehre folgend, in seiner neuen Funktion so harmonisch in das angestrebte Thema fügte, das am Ende kaum jemand auf die Idee kommen würde, das es sich bei dieser Lampenmaske vom Ursprung her um nichts weiter als die sinnvolle Verwendung eines Restes handelt, das unter anderen Umständen in der Tonne gelandet wäre.
Mit einem erneuten Blick auf den Tank, drohte der Lauf jedoch ein abruptes Ende zu nehmen. Es handelte sich um Reproduktion eines, in den Chopperszene der 60ger und 70ger Jahren beliebten Tanks im Wassell Stils. Mit einem Fassungsvermögen von knapp 8 Litern, ließen sich mit ihm zwar keine langen Strecken abspulen, dafür fügte er sich gut ins Bild eines Aufbaus im Stil der alten Schule, wenn nur der hintere Teil etwas runder gearbeitet worden wäre. Bei der Betrachtung des Tankabschlusses, begann es Enrico unter der Mütze zu jucken und das bedeutete in der Regel nichts Gutes.
Zwar ließen sich mit Lack und gezielt eingesetzten Pinstripes kleine optische Unstimmigkeiten bis zu einem gewissen Grad überdecken, doch da in diesem Fall kein Lack zum Einsatz kommen würde, stand diese Lösung nicht zur Option. Enricos Plan folgend, stand nach dem zusammenstecken des Rolling Chasis und der Kontrolle der Passgenauigkeit der zu verbauenden Teile, eine erneute Demontage an.
Der Rahmen, sowie nahezu alle Anbauteile sollten in der Folge gestrahlt, von Hand brüniert und abschließend mit einer doppelten Schicht Owatrol versiegelt werden. Es würde also weder Lack ans Bike kommen, noch würde es Pinstripes geben, um darüber einen Einfluss auf die Optik nehmen zu können.
Die Lösung des Problems fand sich im Thema der Samurai. Waren diese nicht durch ausgeklügelte Rüstungen gewappnet? Und waren diese Rüstungen nicht auf perfekten Sitz und überaus kunstvoll gearbeitet? Warum also sollten nicht wesentliche Teile des Bikes mit Teilen ähnlich einer Rüstung versehen werden.
Selbstverständlich würden diese Teile über ihren optischen Wert hinaus keinem technischen Zweck dienen und so achtete Enrico bewusst darauf sie in Form von Messingblenden sehr reduziert und doch im Sinne des Samurai Geistes überaus kunstvoll gearbeitet einzusetzen.
Der Tank sollte am Ende drei dieser Blenden tragen, die ihren Abschluss in einer vierten, auf dem hinteren Fender angebrachten Blende finden. Die Ausgangsbasis zur Herstellung dieser Blenden, bildete ein zwei Millimeter starkes Messingblech, das auf dem ledernen Schlagkissen mit dem Kugelhammer in Form getrieben wurde. Auf den Einsatz des Lufthammers wurde dabei ebenso bewusst verzichtet, wie auch auf eine Nachbearbeitung mit dem englischen Rad. Obwohl man die Spuren der hier geleisteten Handarbeit nicht mehr sehen würde, war es Enrico ein anliegen, diese in den Innenseiten der Blenden sichtbar zu belassen.
Dann wurden die Blenden eingetütet und als Eilsendung an Katharina Von Der Eiche in den hohen Norden der Republik weitergeleitet. Rund 70 Arbeitstunden später sollten sich die Messingblenden unter den Händen der Leder- und Metallkünstlerin von grob behauenen Blechen zu filigranen Messingkunstwerken gewandelt haben.
Während das Messing als Grundmaterial der Idee des Aufbaus entsprechend als ein Beispiel der Tradition alten Handwerks und damit auch als Sinnbild der japanischen Seele verstanden werden kann, findet die floral/mechanische Mustersprache der Gravur ihre Entsprechung in dem von Jimi gestaltetem Sitz. Eine Arbeit, mit der der noch junge Sattler nicht nur einen qualitativen Quantensprung vollzog, sondern auch die Messlatte seiner zukünftigen Arbeiten auf eine bemerkenswerte Höhe legte.
Nach einer Aufbauzeit von nur fünf Wochen, begab sich Torsten auf den Weg in Enricos Werkstatt, um sich über den aktuellen Zustand des Projektes zu informieren und letzte Wünsche und Änderungen zu besprechen.
Der Öltank, ein Überbleibsel aus einem anderen Projekt wurde an die Rahmengeometrie angepasst und nimmt nun neben dem Oil auch die Batterie auf. Mit der Führung der Krümmer- und Auspuffanlage, die als zwei in eins Version aus Edelstahl gedengelt wurde, konnte Enrico den Kernaufbau für beendet erklären und sich in der, bis zur Übergabe verbleibenden Zeit, mit der Herstellung der Kleinteil beschäftigen.
Um einem Projekt über diese, oft vernachlässigten Teilen seine besondere Seele verleihen zu können, greift Enrico gerne in eine seiner zahlreich vorhandenen Altteilekisten, in denen sich immer wieder Teile aus den frühen Jahren der Motorradgeschichte finden und schaut was sich daraus Schönes machen lässt.
So wird die Federung des Sattels von Federn übernommen, die ihren Dienst an einem deutschen Motorrad der Nachkriegszeit leisteten, bevor sie Enrico für seine Zwecke entdeckte. Die Geschwindigkeitsanzeige wird von einer umgearbeiteten alten Krümmerklemme an seinem Platz seitlich am Rahmen gehalten. Der Tank erhielt eine alte Füllstandanzeige die wie der alte Benzinhahn und Teile des Tankverschlusses aus Messing gefertigt wurden und damit in Material und Optik harmonisch in das Bild des Gesamtaufbaus fügen.
Nach einer Bauzeit von nur zwei Monaten hatte das Bike seinen ersten Auftritt im Rahmen des Rumblers C.C. BBC 2014 und erhielt neben einer sehr positiven Publikumsresonanz von Seiten der Besucher auch das Angebot einer Vorstellung nach eigenen Worten führenden, sich ausschließlich auf die Männer unter den Bikern konzentrierenden Zeitschrift.
Da sich Enrico mit seiner Arbeit jedoch eher in einem Umfeld sieht, in dem das Schrauben und die Geschichte des Schraubens im Vordergrund stellt, war zu diesem Zeitpunkt längst eine Entscheidung in Richtung Custombike gefallen.
Text und Bilder: Gasolin Alley