Zweiprozenter - TwoPercenter
Frank Bick
2%er ist ein Begriff der ursprünglich aus den Niederlanden stammt und sich an den Begriff Einprozenter aus der Rockerszene anlehnt. Er bezeichnet Männer wie Frauen aus der Motorradszene die selbst an ihren Motorrädern Hand anlegen, also schrauben. Die Niederländer sind wohl davon ausgegangen dass dies nur lediglich 2% aller Motorradfahrer machen. Dieses Schrauben kann Pflege und Wartung bis hin zur Inspektion sein, aber auch vollständige Umbauten und Aufbauten beinhalten. Die hier in der Rubrik 2%er untergebrachten Texte und Fotos von Reparaturen und Umbauten enthalten Hinweise und Ratschläge die bei eigenen Projekten nützlich sein können.
Warum schrauben eigentlich nur noch so wenige Menschen an ihren Motorrädern?
Neben technischen Errungenschaften und der Kommerzialisierung der Motorradbranche kommen noch Aspekte aus dem Bereich Sicherheit, Umwelt und letzendlich der veränderten Sozialisierung des Einzelnen dazu. Motorräder wurden technisch gesehen in den letzten Jahrzehnten immer komplizierter und modularer konstruiert. Ohne entsprechende Werkzeuge und Messgeräte können viele Arbeiten nicht ausgeführt werden. Module werden getauscht, Einzelteile zunehmend weniger ersetzt, da das Zerlegen teurer wäre als die Produktion in China, wo mittlerweile fast alles produziert wird, auch Harley-Davidson oder BMW Teile. Zudem ist es von Seiten der Hersteller nicht mehr erwünscht dass der Kunde noch selbst schraubt oder die Werkstatt des Händlers betritt. Bis vor 20 Jahren etwa hat man noch als Kunde mit den Mechanikern plaudern können, heute wird im Minutentakt Werkstattstunde abgerechnet und die Mechaniker sollen nicht abgelenkt werden. Man steht zum Beispiel bei BMW an der genormten Bikerbar deren Aufbau von BMW vorgeschrieben ist (und den wir mit jedem Kauf mitbezahlen) und spricht mit einem Verkäufer, aber nicht mit einem Schrauber oder ernsthaftem Motorradfahrer, oftmals Menschen ohne eigene Motorraderfahrung. Ein Umstand den es im Autobereich nicht gibt. Die mit der Industrialisierung begonnene Rationalisierung von Arbeitsprozessen hat ihren Weg bis in die Motorradwerkstätten und die Verkaufshallen gefunden. Selbst der Bau eines Choppers, also einem eigentlich individualisierten Fahrzeug, dass der Besitzer um Teile erleichtert und schönere vielleicht sogar selbst gebaute Teile ergänzt - er "choped" und "customized" das Fahrzeug - wird bei großen Firmen in Auftrag gegeben und die Teile werden bei Importeuren Online gekauft. Damit wird die gesamte Idee des Choppers im Prinzip ad absurdum geführt, denn es wird nicht das private Lebensgefühl zum Ausdruck gebracht, sondern die Vorstellung von Werbeleuten davon, wie wohl die Chopperszene einmal war. Dies geht hin bis zu gestellten und mit Photoshop bearbeiteten Fotos, die dem Vintage und Oldschool Look Ausdruck verleihen sollen. So hält ein Großteil der Menschen mittlerweile vergilbte, überbelichtete, verkratzte Fotos für typisch alte Fotos, obwohl auch 1950 bereits brilliante Farbfotos entstanden sind, die weder vergilbten oder verkratzten, vorausgesetzt man hatte technische Kenntnisse vom fotografieren und der Entwicklung von Abzügen.
Dann sind da noch die Aspekte von Sicherheit und Umwelt. Die Menschen der letzen Generationen werden ganz und gar zu ängstlichen (versicherten) und umweltkonformen Personen erzogen, die stetig an ihre Sicherheit und die Belastung der Umwelt denken sollen. Da passen Werkzeuge, Funken, Öle, Schweißdämpfe und alle die anderen Gefahren die in der heimischen Garage lauern nicht mehr so gut ins Lebenskonzept. Letztes Beispiel für diese These ist die Unverkäuflichkeit von BMW Motorrädern ohne ABS. Der moderne Yamaha, Triumph, Ducati, BMW oder Harley Fahrer hat ABS, ist 50 Jahre alt und verursacht mehr Unfälle als die jungen Leute, weil er keine Erfahrung hat und sich vollends auf die Technik verläßt. Was die Langlebigkeit der Technik betrifft so hat sich diese auch stark verbessert. Zwar können alte Motorräder besser technisch überholt werden, aber man musste es auch. Schon eine FJ 1200 von Yamaha lief 1985 etwa 3x so viele Kilometer ohne Motorprobleme wie jede BMW, Harley, Ducati und andere Eisen die erst später von technischen Innovationen heimgesucht wurden als der für Hightech offene japanische Markt. Auch die TÜV Bestimmungen wurden hierzulande zunehmend ungeeigneter für Umbau Aktivitäten am eigenen Motorrad. Jedes einzelne Teil bekam eine Prüfnummer so dass schnell nachvollziehbar wurde ob an dem Fahrzeug etwas verändert wurde. Die vernetzte Computerwelt hilft den Prüfern zudem, alles in kürzester Zeit zu überprüfen.
Die über behütete - und von allein erziehenden Müttern oder von pädagogisch durch Beratungsliteratur auf den neuesten Stand gebrachten Eltern - großgezogene Dienstleistungsgesellschaft mit unzähligen verweichlichten Einzelkindern meidet jede Form von Härte oder Gefahr und erwartet für jeden Vorgang den entsprechenden Dienstleister, Arzt oder Therapeuten. Dieser Umstand animierte den Kabarettisten Dietmar Wischmeyer bei seinem Werk Verchromte Eier zu interessanten Aussagen wie zum Beispiel: Der moderne Neu-Harley-Fahrer ruft von der Tankstelle mit seinem Smartphone erst mal beim ADAC an und bittet dass ein Wagen rauskommt, und der ADAC Mitarbeiter den Benzinstand überprüft und dann die Karre ankickt. Vor lauter Mangel an wirklichen Abenteuern auf und mit dem Zweirad ist es mittlerweile Usus darin schon Abenteuer und Härte zu sehen wenn das Fahrzeug mit einem Kickstarter angeworfen wird, worüber die wahrlich harten Biker der 30er Jahre schallend lachen würden. Sieht man darüber hinaus noch Menschen die selbst mit einem Elektroschleifer am Fahrzeug etwas abschleifen, so werden diese primitiven und simplen Vorgänge bildlich heroisiert. Es hat den Anschein als wäre der Betrieb dieser Geräte coolen und begabten Menschen vorbehalten, wobei diese einfachen Schlosserarbeiten noch vor zwanzig Jahren eher ungelernten Kräften zufielen. Die studierten und gut ausgebildeten Harley oder BMW fahrenden Zahnärzte, Anwälte, Händler, Lehrer, Versicherer, Marketing-Strategen usw. sehen in einer korridierten Zange die Werkzeuge des einfachen harten Lebens und nicht das was es in Wirklichkeit ist, ein altes Werkzeug. Der selbst ernannte Schraubergott - ein Marketing Spezialist aus Düsseldorf - versuchte daher noch vor kurzem mit Seminaren zu Verbrennungsmotoren ein honoriges Gewerbe aufzuziehen. Für 1200 Euro wurde man über die 4-Takte eines Motors aufgeklärt, Stoff der 7. Klasse in Physik.
Der frühe Motorradfahrer, ausgehend von den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war auf sich allein gestellt und wurde von der restlichen Bevölkerung wenig geschätzt, da er schmutzig war und die Pferde scheuten wenn er knatternd durch die Dörfer fuhr. Sprit gab es in Apotheken und Werkstätten waren rar im Lande. So halfen sich die ersten Motorradfahrer gegenseitig mit Wissen, Werkzeugen, Teilen und ihren Garagen aus. Bei einer längeren Tour blieb nur die Möglichkeit durch Zwischenstops bei anderen Fahrern die Strecken zu überwinden. So entwickelten sich der Bikergruß und das Netzwerk der Motorradfahrer. Bereits 1912 gab es einen Motorradklub in Deutschland. Nach dem 2.Weltkrieg waren Motorräder nur noch die Fortbewegungsmittel des einfachen Mannes, da das Auto von jedermann bevorzugt wurde, der es sich leisten konnte. In den Wirtschaftswunderjahren fuhren unzählige Arbeiter mangels Geld für ein Auto mit dem Zweirad und somit wurde es zum Symbol der Arbeiterklasse. In den 70iger Jahren konnten sich im Prinzip nur noch Jugendliche nicht leisten Auto zu fahren und das Motorrad wandelte sich zum Symbol der jugendlichen Rebellion, genau wie Mopeds und Mokicks, die ja die einzigen erlaubten motorisierten Fortbewegungsmittel für Jugendliche sind. Da in den 70iger Jahren noch einiges technisch im argen lag und Jugendliche wenig Geld hatten suchten sie an den Hinterhofgaragen nach Gleichgesinnten älterer Jahrgänge die dabei halfen die Mofas, Mopeds und Motorräder zu reparieren oder gar zu frisieren. So lernte der Heranwachsende von der Pike auf wie ein Motor funktioniert, eingestellt und repariert wird. In den 80iger Jahren war das Motorrad längst nur noch ein Hobby und kam nicht mehr als Nutzfahrzeug zum Einsatz. Motorradfahren wurde zunehmend als Hobby gesehen und damit das erste Mal in der 80 jährigen Geschichte gesellschaftsfähig, Hein Gericke versorgte die Fahrer mit bunten Jacken aus Leder oder Kunststoff damit sie auch recht hübsch aussahen. In den späten 90iger Jahren fuhren die Jugend und der arme Mann plastikumhüllte Roller aus Italien und China. Letztere sind nun das Symbol der sterbenden Arbeiterklasse in einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft. Da das Zweirad nur noch zu Hobby Zwecken zum Einsatz kam und von einer riesigen Masse vom zahmen Leben gelangweilter Männer aller Schichten als Ersatz für fehlende Abenteuer herhalten musste, löste sich der Zusammenhalt der Community auf und es entbrannte allenorts die Frage, sollen wir uns überhaupt noch grüßen wenn wir uns auf Zweirädern begegnen oder sollen wir noch anhalten wenn jemand am Straßenrand steht? Wozu denn? Sicher hat er oder sie ein Handy und ist im ADAC, der fährt das Teil zur Vertragswerkstatt und den Abenteurer nach Hause.
Seit Anfang des neuen Jahrtausends suchen viele Menschen wieder einen Weg aus dem termingeregelten braven Dasein. So entwickelten sich neue Communitys von Gleichgesinnten. Man baute wieder selbst auf Hinterhöfen Scrambler, Bobber, Chopper und Streetfighter, ließ sich tätowieren und fandete nach den Symbolen des Widerstands gegen den Alltagstrott. Diesmal wartete die Allzeit bereite Werbebranche allerdings nicht lange. Es dauerte keine 5 Jahre und die gesamte Bevölkerung war tätowiert und trug Totenköpfe auf Turnschuhen und Schulmäppchen. Um sich dennoch abzusetzen blieb den neuen Wilden nur noch die Möglichkeit den gesamten Körper zum Symbol zu machen. Dieser Drang nach Individualität, nach einem Human Branding, der menschlichen Marke, verhindert das Entstehen eines einst dagewesen Zusammenhalts. Es waren die naturgegebenen Bedingungen die zum Zusammenhalt führten und keine kunstvoll arrangierten Symbole. Und es waren die naturgegebenen Bedingungen die dazu führten das fast jeder Mann handwerkliche Fähigkeiten hatte und an seinen Fahrzeugen schrauben konnte. Heutzutage ist aber jedes ähnliche Handeln ein künstliches und im Prinzip unnötiges Unterfangen, und so fühlt es sich auch an.