Die Lowbrow Kunst des Ben „Drag Daddy“ Mitchell

Text und Fotos Peter Su Markus 06.2015
Geht es bei einer ersten Begegnung mit einem Menschen um dessen Einschätzung, dann greift man dabei gerne auf bereits vorhandene Bilder, Erfahrungswerte und Raster zurück. Ben Mitchell entspricht innerhalb eines solchen, zugegebener Maßen häufig eher farblosen Gedankenmusters dem Bild des typischen Amerikaners, wie er einem während einer Tour durchs Land der unbegrenzten Möglichkeiten an der Tankstelle oder dem Drugstore über den Weg läuft. Kräftige Statur, aufrechte Haltung, ein klarer, offener Blick, mit der Ausstrahlung eines Mannes, der weiß wie die Dinge des Lebens anzupacken sind. Erfährt man darüber hinaus, dass der gebürtige Kalifornier den Großteil seiner Zeit in Oklahoma verbracht hat, dann scheint damit das Wesentliche gesagt.    
Ben ist 57 Jahre alt. Seinen Lebensunterhalt hat bis vor einigen Jahren mit dem Innenausbau von Häusern verdient. Gutes, ehrlich verdientes Geld, mit dem er Sich und seine Familie ernähren und seinen Söhnen eine gute Ausbildung ermöglichen konnte. Das war Ihm und seiner Frau wichtig und sie sind stolz darauf, dieses Ziel erreicht zu haben. Spricht man Ihn auf die Augenblicke an, die Ihn nun, nachdem die Kinder aus dem Haus sind, glücklich machen, muss er nicht lange überlegen. Er findet diese Augenblicke in der Zeit, die er mit seiner Frau im heimischen Garten verbringt. Sie lesend, er zeichnend. Zeichnend?
Schon beginnen sich die Raster des gedanklichen Kopfkinos wieder in Bewegung zu setzen und die Musterkarten neu zu mischen. Oklahoma, ist das nicht ein Teil des ehemals Wilden Westens? Sind das nicht die Motive, die man aus alten John Ford Filmen kennt? Verschwommene Erinnerungen an Cowboys und Indianer, die Weite der Landschaft und Straßen die sich in der Unendlichkeit verlieren? Eine in diese Richtung zielende Frage, wird von Ben mit einem schlichten „no“ beantwortet und bring damit das Konstrukt sich eigenständig entwickelnder Gedanken zum Einsturz.

Ben kennt diese Motive. All diese Erinnerungen und die mit diesen Erinnerungen verbundenen Bilder sind auch Ihm vertraut und als Amerikaner er steht ihnen mit einer gewissen Sympathie und Verbundenheit gegenüber. Die Wurzeln seiner künstlerischen Berufung findet er allerdings nicht in den Motiven des Landes, sondern vielmehr im Zeichnen von Monstern!
Da steht man nun diesem Mann, mit der Statur eines Baumes gegenüber, der mit leuchtenden Augen von seiner waren Berufung, dem Zeichnen von Monstern und dem Leben eines 8 jährigen Jungen, im Körper eines 57 jährigen Mannes berichtet. Ein Mann, der die Spur seines Jugendtraums nach einem halben Jahrhundert wieder aufgenommen hat und ihr folgt, als hätte es für Ihn nie etwas anderes gegeben.        
Begleiten wir Ben in die Jahre seiner Jugend und blicken dabei ein halbes Jahrhundert in der Zeit zurück, dann begegnen wir einem Amerika das sich in einer tiefen Krise befindet. Der kalte, mit Russland geführte Krieg, Vietnam, Kuba, Rassenkonflikte und eine Filmindustrie, die sich das Ganze auf Biegen und Brechen schön spielen will. In der Gegenströmung formiert sich die Flower-Power, die Peace und Love Bewegung. Dem etablierten, allmächtig scheinendem Filmgeschäft stellt sich mit dem B Movie der Untergrund Film in den Weg und in den Herzen der Kinder wird einer allzeit sonnig aufgelegten Micky Maus das Leben von einer Figur namens Rat Fink schwer gemacht. Das Land befindet sich nicht nur in Bewegung, es befindet sich im Umbruch und obwohl vieles unmöglich scheint, gilt es lediglich die Lücke im System zu finden, die das Unmögliche am Ende doch irgendwie möglich macht.
In der noch jungen Lowbrow Bewegung sind es vor allem Ed „Big Daddy“ Roth, Kenneth „von Dutch“ Howard und Robert Williams die den Ton bestimmen und damit auch die Richtung der Bewegung vorgeben. Von der europäischen Welt nahezu unbemerkt, beginnen die von diesen Künstlern geschaffenen Monster und Antihelden nicht nur die amerikanische Subkultur zu erobern, sondern sich darüber hinaus auch auf dem kommerziellen Markt zu behaupten.
 Lowbrow, überschreibt nur eine der zahlreichen Ebenen kultureller Andersartigkeit auf der all diejenigen ihr Glück suchen, die sich nicht dem Gleichschritt der Gesellschaft anschließen wollen oder können. Lowbrow, das war über viele Jahrzehnte eine Kultur des Untergrundes die ihre Wurzeln in Hinterhöfen, in Garagen, den Kellern und den schattigen Winkeln der Nebenstraßen fand und daran sollte sich bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts kaum etwas ändern.
Dem achtjährigen Ben Mitchell begegnete diese Kultur zunächst in der eher unspektakulären Form von Kaugummi Umverpackungen, auf der sich Rat Fink und seine Monsterfreunde tummelten und nach dem Auspacken des Inhalts meist achtlos im Müll landeten. Nicht jedoch wenn Ben sie in die Finger bekam. Für Ihn stellten diese Monster so etwas wie den heiligen Gral dar. Er sammelte sie, er zeichnete die Figuren nach und wurde so ein Teil dieser Welt. Spricht man Ihn auf diese frühen Jahre an, dann bezeichnet er Ed „Big Daddy“ Roth nicht nur als sein ultimatives Vorbild, sondern sieht ihn auch als eine der legendären Persönlichkeiten der Lowbrow Szene, ohne die es diese Szene so wie sie heute existiert, wohl nie geben hätte.
Während sich der junge Ben in frühen Jahren darauf konzentriert, den Stil in dem diese Figuren und Monster gezeichnet waren so exakt wie möglich zu treffen, hat er heute seinen eigenen Stil in der Tradition Big Daddys gefunden. Ein Stil, der in den Augen der Familie seines Vorbildes nicht nur gewürdigt wird, sondern Ihm darüber hinaus auch das Privileg einbrachte, seine Bilder nicht nur als offiziellen Beitrag zur Tradition seines großen Vorbildes zu zeichnen, sondern sie auch als solchen zu signieren. Dabei geht es der Familie von Ed „Big Daddy“ Roth, wie Ben betont, nicht darum Kopien zu legitimieren, sondern vielmehr darum das Besondere dieser sehr speziellen Kunstform in ihrer Ursprünglichkeit zu erhalten und auf der Ebene einer hohen künstlerischen Qualität weiterzuentwickeln. Doch bis es soweit war, sollte es für Ben Mitchell noch ein weiter Weg sein.
Die Hartnäckigkeit mit der er bereits in jungen Jahren seinem Weg folgte, zeigte schnell erste Erfolge. Unter seinen Lehrern fanden sich einige die die Qualität seiner Arbeiten erkannten und Ihm Unterstützung boten, andere sahen kaum eine Zukunft in den Monstern die er zu Papier brachte und legten Ihm Steine in den Weg. Er schlug sich mit seiner Kunst wie viele andere in dieser Zeit mehr schlecht als recht in den Hinterhöfen und Garagen durch und obwohl er mit seinen Zeichnungen durchaus zu überzeugen wusste, schien sich damit kaum etwas verdienen zu lassen.
Die Grundsteine der Lowbrow Kunst, als eine Kunstform des Untergrundes, wurde in den 60ger und 70ger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gelegt und hatte mit dem Makel einer brotlosen Kunst bis ins neue Jahrhundert hinein zu kämpfen. Doch dann wurde genau diese Kunst des Untergrundes von der Mode als eines der coolen Dinge einer sich neu formierenden Szene entdeckt. Lowbrow ist inzwischen ein fest etablierter Bestandteil einer frischen, jungen und mitunter auch zahlungskräftigen Kunstszene und mit den angesagten Inhalten der Lowbrow Kultur werden nun auch die Ursprünge dieser Kultur in einem anderen Licht gesehen.
Dass sich Ben in frühen Jahren dazu entschied, sein Glück in einem Beruf fern seiner Berufung zu suchen und er im Rückblick mit diesem Entschluss in all seinen Facetten im Reinen ist, erklärt er mit folgenden Worten.

„Dieser Weg gab mir die Möglichkeit meine Familie zu ernähren, ohne mich als Künstler oder den Stil meiner Kunst verkaufen zu müssen. So musste ich nie etwas Zeichnen, das ich so nicht wollte und es gab nichts, das mich daran gehindert hätte in meiner freien Zeit die Themen zu bearbeiten, die  meinen Vorstellungen der Lowbrow Kunst der frühen Jahre entsprachen!“

Der Wandel der sich in der Lowbrow Szene in jüngster Zeit vollzog, erschien Ihm wie ein Wunder. Ben hatte inzwischen das 50. Lebensjahr erreicht. Seine Jungs waren aus dem Haus. Die meisten seiner selbst gesteckten Ziele waren erreicht und wie bei vielen Menschen seines Alters beschäftigte auch er sich mit der Frage, was Ihm das Leben noch bringen würde.
Er hing dem Gedanken nach, sich nach einem Leben voller körperlicher Arbeit, in späten Jahren voll und ganz der Kunst zu widmen, die Ihn bereits ein Leben lang begleitet hatte und hörte plötzlich die Stimme des achtjährigen Jungen in sich, der Ihm mit der Frage konfrontierte, warum er diesen Schritt nicht jetzt, in diesem Augenblick vollzog?
Noch bevor er sich diese Frage auf der Ebene der sachlichen Vernunft beantworten konnte, wurde der Mann Ben Mitchell in den Ruhestand versetzt, um dem Künstler „Drag Daddy“ die Bühne des Lebens zu überlassen, die er für seine Kunst benötigte. Wenn man heute dem Mann Ben Mitchell begegnet und die Ruhe und Gelassenheit  bewundert, mit der als „Drag Daddy“ seine Kunst mit künstlerischem Inhalt und jugendlicher Tiefe füllt. Dann liegt diese Ruhe in dem Wissen des Mannes begründet, der die Summe der Aufgaben seines bisherigen Lebens zur Zufriedenheit erledigt hat, der mit sich selbst im Reinen ist und der sich aus diesem Grund auch kaum noch etwas zu beweisen hat.
Natürlich freut es Ihn, wenn sich die Menschen für seine Kunst interessieren und es wäre falsch, würde er behaupten, dass er seine Kunst nicht auch verkaufen möchte. Gleichzeitig genießt er die Freiheit, sie nicht um jeden Preis verkaufen zu müssen. Ben „Drag Daddy“ Mitchell ist das, was man in Amerika gerne als einen Lucky Man bezeichnet. Ein Mann, der seinen Weg gefunden hat.
Wenn Ihr Ben auf einer der zahllosen Veranstaltungen begegnet, an denen teilnimmt um sich mit seiner Kunst zu präsentieren und er euch mit seinem freundlichen Lächeln und einem ebenso freundlichen „wie geht es dir?“ begrüßt, dann lächelt zurück und sagt Ihm wie Ihr euch fühlt, denn er meint es ernst.
Wer sich für den Menschen und den Künstler Ben „Drag Daddy“ Mitchell interessiert, findet in der Bike & Art Kustom Kitchen in Recklinghausen eine ausgesuchte Auswahl an Arbeiten des Künstlers.

Links in der Übersicht:
BAAKK Bike and Art Kustom Kitchen: http://www.baakk.com
Ben Mitchell https://www.facebook.com/DragDaddyStudios
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