5. Der Motor in seinem Inneren
"Lernen ist das Tor zum Weg. Hast du es durchschritten, erreichst du den Weg. Lernen ist das Tor, nicht das Haus. Das Haus liegt hinter dem Tor. Weil lernen das Tor ist, glaube nicht, dass die Bücher, die du liest, den Weg darstellen. Bücher sind ein Tor um den Weg zu erlangen."
Schlechtes Gewissen
Unter professionellen Harley Schraubern wird mit gemischten Gefühlen darüber gescherzt, dass viele Besitzer einer Harley bei jedem unbekannten Geräusch das sie an ihrem PKW wahrnehmen, sofort eine Fachwerkstatt aufsuchen, um die Fehlersuche in die Hände eines Fachmanns legen.
Gibt dagegen ihre Harley ein undefinierbares Geräusch von sich oder macht anders gelagerte Zicken, mutieren die meisten von ihnen ohne große Umschweife selbst zum Fachmann, der ohne langes zögern zum Werkzeug greift, um dem Problem in Eigenregie auf den Grund zu gehen.
Da die Schäden, die sie bei dem Versuch einer Fehlerbehebung verursachen, einen Großteil der Erwerbsquellen der Profiwerkstätten ausmachen, ist man dort ob der handwerklichen Selbsteinschätzung vieler Harley Fahrer in der Beziehung zum Kunden eher geteilter Meinung.
Die Behebung der ursprünglichen Störungsursache hätte bereits Geld in die Kasse gespült. Die Reparatur eines Schadens, der bei dem unqualifizierten Versuch einer Schadensbehebung entstanden ist, birgt oft noch mehr Einnahmen. Jedoch kosten sie häufig auch weitaus mehr Nerven, da der Verursacher des selbstverschuldeten Schadens diesen nur selten bereitwillig preisgeben wird.
So beschreibt dieser erfahrungsgemäß sehr detailliert den ursprünglichen Schaden, vermeidet es dabei jedoch geschickt darauf hinzuweisen, dass er sich bereits selber daran versucht hat und löst so in der Folge eine umständliche Zeit, Mühe und letztendlich auch Geld kostende Suche aus.
Da es außer einem Motor, der auf seine Grundsanierung wartete, noch nichts gab, was im Vorfeld hätte vermurkst werden können, war diese Möglichkeit im Falle meines Projektes eigentlich nicht gegeben.
"Schöner Mist mit deinem Motor. Das Ding macht bereits Ärger, bevor ich es überhaupt angefasst habe!", sprach er und nickte gleichzeitig in Richtung des Motors, der auf seinem Halter an der Wand der Werkstatt auf dem Boden stand.
Während ich mich noch über Jörgs Feststellung wunderte und mich gleichzeitig fragte, warum der Motor in einer Pfütze stand, klärte er mich ergänzend auf.
"Dein Motor stellt meinen Glauben an einen Shovel auf eine harte Probe. Ohne das er einen ersten Ton von sich gegeben hätte, schmeißt er das Öl raus!"
Schon war es da, das schlechte Gewissen des Vermurksens. Nachdem der Motor ein paar Tage unberührt auf meiner Werkbank gestanden hat, ohne dass sich darunter auch nur der kleinste Öltropfen gezeigt hätte, hatte ich nichts weiter getan als ihn oberflächlich zu reinigen und nun die Pfütze. Zwar konnte ich mir nicht vorstellen, dass eine gründliche Kaltreinigerdusche einen Motor dazu anregen könnte Öl zu spucken, doch sollte das nicht zu Ausflüchten meinerseits führen. Es sollte dem Motor mit all seinen Dichtungen sowieso an den Kragen gehen und alles was zählte war, ob er nach seiner gründlichen Überholung immer noch Öl spucken würde.
"An einer Harley kannst du das meiste noch selber machen!" Ich denke, dass sich die Summe der Harley Fahrer, die diese Meinung vertreten, auf im Irrtum befinden. Amerikanischem Eisen haftet generell der Ruf an, grob und robust verarbeitet und auf einer total veralteten Technik aufgebaut zu sein.
Die wesentlichen Komponenten der alten Maschinen sind mit Ausnahme des Sportster Motors räumlich voneinander getrennt. Das Herzstück bildet das Kurbelgehäuse mit den beiden Zylindern. Alle weiteren Teile, wie das Getriebe, die Kupplung und die Lichtmaschine befinden sich in separaten Gehäusen. So kann theoretisch jedes einzelne Teil im Falle eines Schadens leicht repariert oder ausgetauscht werden ohne dafür sofort den gesamten Motor zerlegen zu müssen.
Alles in Dimensionen gefertigt, die echten Männerhänden gerecht werden, sollten also auch normal gewachsene Finger eine Chance haben einen Fehler in den Griff zu bekommen. Unter den Harley Fahrern der älteren Generation gilt eine denkbar einfache Regel. Schraube einen Deckel ab und alles was raus fällt ist kaputt und muss repariert werden!
Das mag bei den frühen Modellen bis einschließlich der Maschinen die von einem Shovel Motor angetrieben werden der Fall gewesen sein. Doch spätestes seit die Elektronik in Verbindung mit den neu entwickelten Motoren der Evolution Generation eine immer größere Rolle zu spielen begann, gehört das Attribut - geeignet zur simplen selbst Schrauberei - wohl ins Reich der Legenden.
Und seit Porsche für die Entwicklung des neuen Motors der V-Rod verantwortlich zeichnete und damit die Reihe der Revulution Generation auf den Weg brachte, übernimmt wohl auch bei Harley eher das anschließbare elektronische Mäusekino die präzise Ortung und Zuordnung einer Störung, als das man sich auf das Ohr des Fahrers oder das Gefühl der Hände eines Mechanikers verlassen würde.
Fehler werden an den modernen Maschinen der Gegenwart auch bei Harley Davidson nicht mehr gefunden, sondern mit Hilfe modernster Analysetechnik ausgelesen. Wird eine Störung angezeigt, wird diese oft nicht mehr nur simpel repariert, sondern lediglich Komponenten ausgetauscht um den Fehler zu beseitigen.
Durch all das wird deutlich, das der Fortschritt auch vor der Company nicht halt gemacht hat und obwohl sich die Legende vom groben amerikanischen Eisen, das sich in jeder noch so abgefuckten staubigen Wüstentanke unter Einsatz eines Hammers, einer Zange, einem Satz grober Schraubenschlüssel und einer Rolle Bindedraht reparieren lies, hartnäckig hält, haben wohl selbst solche Seelchen wie die meiner Freunde Blue Chondro, Djambo und Gustel in ihrem tiefsten Inneren erkennen müssen, das sich diese Epoche ihrem unaufhaltsamen Ende zuneigt.
Ich betrachte solche Biker wie sie Blue Chondro, Djambo und Gustel verkörpern inzwischen als liebenswerte Auslaufmodelle einer der Vergangenheit angehörenden Harley Davidson Kultur. Es wird oft davon gesprochen, dass gerade sie das Bild dieser Kultur maßgeblich geprägt und bestimmt haben und dass die Company ihnen dafür so etwas wie Dank schulde.
Doch gerade wegen ihres Rufes, der stark an die vom wilden Freiheitsdrang geprägte Zeit des amerikanischen Westens erinnert und damit der darwinschen Lehre folgt, nach der nur der Stärkste überlebt, wundere ich mich immer wieder über die Verbitterung, die in den Worten dieser alten Haudegen mitschwingt.
Dabei müssten sich die letzten noch lebenden Zweirad Outlaws doch nur das Schicksal der urzeitlichen Dinosaurier ansehen, um sich Klarheit über ihr eigene Zukunft zu verschaffen. Auch wenn jeder einzelne dieser Dinosaurier seine Umgebung geprägt haben wird, sind sie letzten Endes trotzdem alle ausgestorben.
Ich bin mir jedoch sicher, dass sich neben all den Blue Chondros, Djambos und Gustels unter den Fahrern eines alten amerikanischen Eisens auch noch eine intelligentere Spezies entwickelt hat. Eine Spezies, die ihren Lebensinhalt ausschließlich darin sieht eine Zylinderkopfdichtung unter erschwerten Bedingungen am Straßenrand wechseln zu können, sondern die Fähigkeit zum Wechseln einer Kopfdichtung als Handlung eines zum besonderen Bewusstsein erwachten Geistes betrachtet.
Menschen die sich im Rahmen ihrer Fähigkeiten auf eine besondere Art bewegen lassen wollen und gleichzeitig das Bedürfnis in sich tragen zu verstehen, was sie bewegt und wie diese Bewegung entsteht. Menschen, die das Bedürfnis haben eine Kraft an ihrer Wurzel zu begreifen.
Ich bin zwar nicht besonders scharf darauf, eine Kopfdichtung am Straßenrand wechseln zu müssen. Doch denke ich, dass ich nach intensiver Beschäftigung mit einem Motor, der sich noch zu großen Teilen auf der ursprünglichen Basis einer nachvollziehbaren Verbrennungstechnik aufbaut, dazu in der Lage bin.
Und vielleicht hat ja Blue Chondro, Djambo oder Gustel das Glück während einer seiner Touren am Straßenrand verschüttet zu werden, um sich in einigen tausend Jahren mit folgendem Kommentar in einem Museum wieder zu finden:
Stunde der Wahrheit
Bis zur tatsächlichen Öffnung des Motors sollte noch einige Zeit ins Land gehen. Zwar war die Arbeit an dem anderen Aggregat inzwischen beendet und die Werkbank zur Motormontage frei. Doch da laut aktueller Wettervorhersage sonnige Pfingstfeiertage bevorstanden, war in der unmittelbaren Zeit danach zu erwarten, dass der eine oder andere Biker nach einer längeren Tour auf die Hilfe einer Fachwerkstatt angewiesen sein würde und so legten wir unseren Termin zur Motordemontage noch etwas weiter nach hinten.
Die Zeit des Wartens sinnvoll nutzend, hatte ich mich über das reichhaltige ebay Angebot mir ein Paar der für das Projekt benötigten Teile versorgt, doch in der Hauptsache kreisten meine Gedanken immer wieder um Eventualitäten, die in Verbindung mit der bevorstehenden Motorsanierung eintreten könnten. Szenarien in denen beim herunternehmen der Köpfe und Zylinder oder dem Abnehmen des Seitendeckels wesentliche Teile nur noch in Bruchstücken aus dem Gehäuse fallen könnten und damit möglicherweise das vorzeitige Ende meines Projektes einläuteten. In diesem Fall würden die Teile, die ich in den vergangenen Wochen in der Hoffnung, dass alles ohne Probleme verlaufen würde zusammengetragen hatte, wieder auf der ebay Plattform landen.
Zu der alten, nur wenig Zuversicht weckenden Lichtmaschine, die mit einem chromblitzenden Regler zu Punkten suchte, gesellte sich neben diverser Kleinteile, ein Ölfässchen aus Edelstahl, das später seinen Platz einem aus Alu abtreten sollte, ein Sitz, der am Ende ebenfalls keine Verwendung finden würde und das gut erhaltene und hoffentlich brauchbare Vierganggetriebe einer alten Panhead. Alles in der Zuversicht erstanden, dass mit dem Motor alles so läuft, wie ich es mir vorstellte, würde sich bei den meisten Teilen erst noch zeigen, was sich davon letztendlich verwenden ließe.
An einem Mittwochmorgen wurde es dann endlich ernst und es sollte sich klären, ob das Geschäft mit dem Motor Top oder Flop war.
Als ich in der Werkstatt ankam, stand der Motor bereits auf der Werkbank und anstelle von Jörg, rieb sich Heinz mit einem breiten Grinsen die Hände. Ob ich noch einmal ein Foto von dem Motor in seinem Urzustand machen wolle, war wohl eher eine rhetorisch gestellte Frage und so setzte er ohne jede weitere Verzögerung den Druckluftschrauber an.
Bisher kannte ich das Geräusch dieser Druckluftgeräte nur aus der Reifenwerkstatt und verband sie dementsprechend mit einer gewissen Brachialgewalt. Doch in dieser kleineren, handlicheren Ausführung schien es ein durchaus hilfreiches Werkzeug zu sein und Heinz verstand sich offensichtlich darauf es zielgerichtet einzusetzen.
Während sich Schraube um Schraube der Kraft des Druckluftschraubers ergab, gab er mir durch ausführliche Erläuterungen die Möglichkeit sein Tun nachzuvollziehen. Das erste was mir in dieser Unterrichtstunde der Motorkunde bewusst wurde war die Tatsache, wie wenig an diesem so genannten "amerikanischen Eisen" tatsächlich aus dem Schwermetall gefertigt war.
Die ersten Teile, die er mir in die Hand drückte, waren die beiden Rockerboxen. Von ihnen hatte ich Eisen erwartet und hielt stattdessen zwei mit einer Chromschicht überzogene Leichtmetall Gussteile in der Hand. Da es sich seiner Einschätzung nach bei den Boxen um Teile in einem der Motorbaureihe entsprechendem Alter zu handeln schien, erklärte sich der schlechte Zustand des Chroms von selber. Die Möglichkeit die Boxen, ebenso wie auch die anderen verchromten Teile, mit einer neuen Chromschicht überziehen zu lassen wurde weder von Heinz noch von mir in Erwägung gezogen. Der Gedanke bei mir bloßer Instinkt, konnte von Heinz umgehend mit wissendem Inhalt gefüllt werden.
Er erklärte, dass sich an den verchromten Leichtmetallteilen der alten Motoren über feine Risse und sonstige Schäden in der Chromschicht im Laufe der Jahre ihres Gebrauchs jede noch so kleine Unregelmäßigkeit in der Oberfläche mit Öl und Fett gefüllt habe und selbst nach der gewissenhaftesten Reinigung würde es in der Summe dazu führen, dass kleinste Ölrückstände die neu aufgebrachte Chromschicht von Innen heraus zerstörten. Also sei es ratsamer alle Leichtmetallteile behutsam Strahlen zu lassen und im Anschluss daran einfach nur zu polieren. Damit wäre man auf der sicheren Seite und würde gleichzeitig dem Altersstil des Motors gerecht.
Das verbrennen von Öl auf ungesunde Weise
Während ich gedanklich noch dem Zustand und der möglichen Zukunft der Rockerboxen nachhing, hatte er bereits routiniert die Köpfe von den Zylindern und die Zylinder vom Gehäuse gelöst. Die Ventile des vorderen Zylinderkopfes wiesen ein zufrieden stellendes Verbrennungsbild auf und der Kolben hatte seinen Dienst geleistet ohne nennenswerte Riefen in die Wanddung des Zylinders zu fressen.
Beim zweiten Zylinderkopf sah das Verbrennungsbild der Ventile schon entschieden schlechter aus. Während beim vorderen Kopf das Auslassventil ein gesundes Verbrennungsbild mit einem hellbraunen Zentrum und dunklem Rand zeigte, war die Oberfläche des Auslassventils im hinteren Zylinderkopf mit einer russschwarzen Schicht überzogen und auch die Einlassventile zeigten deutliche Unterschiede.
Während das gesunde Ventil einfach nur schwarz war, war das andere mit einer hässlich feuchten Schmierschicht aus Öl und Ruß überzogen. Laut Heinz ein deutlicher Hinweis darauf, dass hier an einer Stelle Öl verbrannt wurde, wo keins hätte verbrannt werden sollen. Da es jedoch für den Motor als solches noch keinen großen Schaden darstellte, blieb er weiterhin gelassen und ich zuversichtlich.
An irgendeiner Stelle des Zylinderkopfes wird es eine Stelle gegeben haben, an der sich das Öl an der Dichtung vorbei in den Verbrennungsraum drücken konnte. Bei der Überarbeitung des Motors würde die mögliche Fehlerquelle automatisch mit behoben und sollte dementsprechend in Zukunft nicht mehr auftreten. Der hintere Zylinder selbst hatte keinen Schaden genommen und so würde es vermutlich bei der Überarbeitung der Zylinder, der Ventilführungen und dem Einsetzten neuer Ventile und Kolben bleiben.
Bei der weiteren Demontage bestätigte sich meine Vermutung, dass sich in der Vergangenheit bereits die eine oder andere ungeübte Hand an dem Motor versucht hatte. Einige der Gewindegänge waren wie befürchtet hinüber und zu allem Überfluss hatte jemand versucht einige der Zollgewinde mit metrischen Schrauben zu bestücken.
Die Ölpumpe schien zumindest optisch in Ordnung zu sein, obwohl an der Innenseite des Gehäusedeckels leichte Schleif- und Kratzspuren darauf hinwiesen, dass sich neben dem Öl auch einiges an Spännen seinen Weg durch die Pumpe gesucht hatte.
Doch vertrat Heinz die Meinung, dass amerikanisches Eisen wohl kaum amerikanisches Eisen wäre, wenn bereits ein paar Späne sein Ende einzuläuten vermochten.
An der Flanke eines der Steuerräder zeigten sich ebenfalls deutliche Schleifspuren. Dort wurde offensichtlich bei einem früheren Eingriff eine Distanzscheibe vergessen. Ansonsten schienen alle anderen Zahnräder in Ordnung zu sein.
Dass das Lager der Nockenwelle ausgeschlagen war, konnte Heinz auch ohne den Einsatz der Messuhr bereits durch gefühlvolles Bewegen der Pleuelstangen ertasten. Doch damit hatte er bereits im Vorfeld gerechnet. Leider wies die Nockenwelle auf der hinteren Nocke ein paar unschöne tiefe Riefen auf. Das bedeutete, dass eine Neue eingebaut werden musste und war angesichts der ansonsten unverschlissenen Welle besonders ärgerlich.
Von Seiten der Schrauben hatte ich mit mehr Widerstand gerechnet. Dem zum Trotz ließen sich, auch wenn einige der Gewinde unrettbar vermurkst waren, der größte Teil der Schrauben ohne größere Probleme lösen. Doch was wäre das für ein Projekt, wenn wirklich alles wie geschmiert laufen würde. In meinem Fall sollte dem Gewindebolzen, der das Gehäuse an dem schmalen Steg zwischen den Zylindern zusammenhielt, die Rolle des unliebsamen Widersachers zukommen.
Bereits bei der Demontage der Ölpumpe hatte Heinz durch einen gezielten Schlag mit dem Hammer versucht ihn zu einer Seite aus dem Gehäuse zu treiben. Leider hatte sich der Bolzen von dem Schlag unbeeindruckt gezeigt und da Heinz die Schrauben des hinteren Lifter Blocks auch so lösen konnte, sollte es ihm später an den Kragen gehen. Allerdings wies er mich bereits zu diesem Zeitpunkt darauf hin, dass der Bolzen normalerweise ohne Widerstand aus dem Gehäuse zu lösen sei. Als alle anderen Bolzen entfernt waren, widmete er sich ihm also noch einmal mit besonderer Aufmerksamkeit. Ein weiterer vorsichtiger Schlag mit dem Hammer, das Gehäuse drehen und ein weiterer Schlag auf die andere Seite, dann war klar, das der Bolzen fest saß und unser Demontagetermin damit für heute beendet war.
Da der Widerstand leistende Bolzen an einer besonders kritischen Stelle saß, verzichtete Heinz auf übermäßige Kraftanwendungen. Stattdessen hieß seine Lösung für das Problem WD - 40. Er wollte das Kriechöl mit dem Ruf eines universellen Wundermittels über die nächsten Tage einsetzten, um den Bolzen so zur gewaltfreien Aufgabe zu zwingen und erst wenn er sich nach zwei Tagen immer noch nicht gelöst haben sollte, wäre er bereit das Problem als echtes Problem anzuerkennen.
Am nächsten Tag hatte er sich immer noch nicht bewegt und er gab mir mit dem üblichen breiten Grinsen den Rat, dass ich mich für den Fall, das der Bolzen am nächsten Tag immer noch nicht aufgegeben haben sollte, schon mal nach einem neuen Gehäuse aus dem Zubehörhandel umsehen sollte.
Möglicherweise wird alles gut
Also fuhr ich am darauf folgenden Tag mit einem entsprechend unguten Gefühl zur Werkstatt. Während Jörg bei meiner Ankunft vor dem Tor mit einem Kunden beschäftigt war, saß Heinz bei einer Tasse Kaffee. Auf meine Frage wie es aussehe, grinste er mich an und Jörg, der hinter mir in die Werkstatt gekommen war, setzte mit der Bemerkung nach, ob er mit mir schon über den Restschrott gesprochen habe.
Es fällt mir schwer zu beurteilen, ob sich durch solcherlei Witzeleien der Arbeitsalltag eines Schraubers angenehmer gestalten lässt, doch auch wenn ich äußerlich möglichst gelassen wirken wollte, versetzten sie mich in Unruhe. Also versuchte ich dem nächsten verbalen Hieb zuvorzukommen, indem ich mir mit einem Blick in die Motorecke Klarheit verschaffte.
Über einer Tischfläche von etwa 2,50 m in der Länge und einem halben Meter in der Breite verteilte sich das, was früher einmal ein kompletter Motor gewesen war. Offensichtlich war der Einsatz des Wunderkriechmittels von Erfolg gekrönt, denn am Ende des Tisches lagen die beiden Gehäusehälften und soweit ich es beurteilen konnte, hatte der Steg beim Trennen keinen Schaden genommen.
Während ich mich darüber freute, dass bis zu diesem Zeitpunkt alles so glatt verlaufen war, dürfte der Erfolg für Heinz, der nun wieder ernsthaftere Töne anschlug, wohl kaum mehr als ein Häkchen auf der Liste der üblichen Alltagsroutine gewesen sein.
Mit den restlichen Motorteilen schien soweit alles in Ordnung zu sein und bis auf die, bei einer Motorinstandsetzung als normal anzusehenden Arbeiten, stand nichts außergewöhnliches in seinem Auftragsbuch. Er würde in den nächsten Tagen eine Übersicht aller benötigten Teile und Arbeiten erstellen und dann sollte alles seinen üblichen Gang gehen.
Die Bilder, die ich mit meiner Kamera aufnahm, machte ich ganz im Stil der "Old School" ohne jede Ausleuchtung und ohne jeden technischen Aufwand. Mit einer alten Nikon FE, die über eine Belichtungsautomatik verfügt, ließ ich jedem Bild die benötigte Zeit. Während sie auf dem Stativ vor sich hin belichtete, glitten meine Gedanken ab.
In Gedanken an das was wird
Als bekennender Easyriders Leser, freute ich mich jeden Monat auf das Erscheinen der neuesten Ausgabe. Ich hatte Spaß an den Fotos der schönen Maschinen und der kleinen Geschichten, die sich um die Entstehung der abgebildeten Chopper ranken. Dabei machte es mir meist nichts aus, dass viele dieser Geschichten so nur der Fantasie des Schreibers entsprungen sein können und kaum etwas mit der realen Geschichte der Maschinen und ihrer Fahrer zu tun hatten.
All diese kurzen Geschichten waren Teil eines Choppertraums, der so oder ähnlich in unzähligen Köpfen auf der ganzen Welt geträumt wurde. Doch beim Anblick der Chopper, die in der Easyriders in monatlicher Folge vorgestellt wurden, begann sich in mir irgendwann die Frage zu regen, wo der Choppergeist der ursprünglichen Subkultur geblieben war.
Obwohl es den dort vorgestellten für den normalen Choppertraum wohl unerschwinglichen Custom Bikes immer wieder gelang, mich auf kurze Gedankenreisen über den imaginären Asphalt der Freiheit zu tragen, fehlte mir an den chromblitzenden keimfreien Motorradskulpturen immer das entscheidende Staubkorn um einen wirklich glaubwürdigen Gefährten für die Straße darzustellen.
Ihnen mangelte es all zu deutlich an den Spuren, die das Verfolgen eines Traums in den Lack rissen. Bis in die allerletzte Pore von allem befreit was das Auge des Betrachters stören könnte, blieben sie auch in der Realität eher Motive der geistigen Anregung. Im Laufe der Zeit stellte ich fest, dass ich mich beim Betrachten dieser Maschinen tatsächlich mehr und mehr auf das Betrachten beschränkte und auch wenn sie mir auf einer der der von mir besuchten Bike Shows begegneten, stellte sich für mich nur selten die Fantasie ein, wie es sein würde, eine von ihnen zu fahren. So begann ich mich wieder mehr auf das zu konzentrieren was für mich die Basis eines Choppers ausmachte.
Die Beantwortung der Frage, was einen Chopper ausmacht, hat bereits Generationen von Motorradfahrern beschäftigt, geteilt oder miteinander verbunden. Eine alle Seiten befriedigende Antwort hat bisher wohl niemand gefunden und so scheint es einfacher zu sein festzustellen, was ein Chopper nicht ist.
Ein Chopper scheint mir auf ist auf gar keinen Fall etwas zu sein das man als fertiges Serienmotorrad im Geschäft kaufen kann und auch wenn uns gerade die japanischen Motorradhersteller mit ihren auf Chopper gestylten Cruisern dies glauben machen wollen, fehlt es diesen Motorrädern doch an allem was einen Chopper wirklich ausmacht: Den Geist seines Erbauers und Fahrers.
Ein Chopper, das ist in seinem Ursprung etwas, dass das Licht der Straße als Serie erblickt hat.
Serie, an der dann der Asphalt gefressen hat und die sich über lange Kilometer hinweg von allem unnötigen Ballast befreit hat.
Viele aus der Serie haben sich erst zu Choppern gewandelt, als sie ihren ursprünglichen Wert aufgrund des Alters oder mehr oder weniger zerstörerischer Unfälle bereits verloren hatten.
Als sie von ihren Besitzern bereits aufgegeben worden waren, fanden sich andere, die den Wert hinter dem scheinbar wertlos gewordenen sahen und ihnen ein neues Leben in der Gestalt eines Chopper einhauchten.
Ein Chopper ist für mich die in Metall geschlagene Fantasie seines Besitzers. In ihm drücken sich Wünsche und Sehnsüchte aus. Er besitzt die Fähigkeit den Betrachter mit auf die Reise in eine Welt zunehmen, in der all das möglich wird, was in der realen Welt durch Vorbehalte und Einschränkungen nicht möglich zu sein scheint.
Ein Chopper ist der real existierende Ausdruck eines Traums von der Freiheit eines ansonsten in Ordnungen gepressten Geistes.
Dabei halte ich es für kurzsichtig einen radikalen Umbau über das Anbringen eines aufbegehrenden Aufklebers zu stellen. Im Geiste eines Choppers ist dies wohl gleichzusetzen.
Wer weiß schon, meine Freunde Blue Chondro, Djambo und Gustel ausgenommen, zu beurteilen über welche Hürden ein eingezwängter Geist auf dem Weg zu seiner Befreiung steigen muss und das schlimmste für einen sich befreienden Geist ist es gerade von denen verlacht zu werden, für die sich diese Befreiung bereits vollzogen hat oder schon weiter vorangeschritten ist.
In den Anfängen der Chopper wäre wohl niemand auf den Gedanken gekommen eine neue Maschine zu einem Chopper umzubauen. Die Entstehung war immer mit dem nagenden Zahn der Zeit verbunden. Heute gehen zahlungskräftige Kunden in einen Laden und lassen sich ihre neu erworbene Harley direkt zu einem Chopper umbauen oder erwerben direkt eine Maschine, die zwar wie eine Harley daherkommt, jedoch kein einziges Teil der Company an sich trägt. Der Begriff Chopper im Sinne von - choppen - abschneiden - soll an dieser Stelle nicht noch einmal beschworen werden.
Doch angesichts des ungeordneten Haufens einzelner Teile, die vor wenigen Tagen noch einen mehr oder weniger kompletten Motor dargestellt haben und nun nichts weiter waren als die Summe ihrer Teile, wuchs in mir der Wunsch dem ursprünglichen Geist des Choppers nachzufühlen. Obwohl es sich bei einigen Teilen noch um original Harley Davidson Teile handelte, bestand er zu einem großen Teil aus Fremdteilen die in seiner bisherigen Lebensspanne von wem und aus welchem Grund auch immer verbaut worden waren.
Alles hat bis zu einem Punkt an dem sich sein Besitzer dazu entschied es zu verkaufen seinen Dienst verrichtet und dabei eine eigene Seele entwickelt. Da im Inneren des Motors kein nennenswerter Schaden auszumachen war, blieb es ein Rätsel warum sich sein Besitzer von ihm getrennt hat.
Natürlich bot ein solcher Motor im heutigen Zeitgeist nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten. Da sich der Trend immer mehr zu schneller, dicker und stärker entwickelte, war dem Vorbesitzer der Motor möglicherweise nicht mehr zeitgemäß genug und obwohl er robust zu sein schien, wurde er möglicherweise aus diesem Grund zum alten Eisen. Für jemanden der auf ein Optimum an technische Zuverlässigkeit setzt, wäre dieser Motor mit Sicherheit das Falsche.
Dieser Motor verkörperte eher eine Sicherheit die den Geist von "Men´s Heart and Soul" in sich trug. Ein zeitloses Antriebsaggregat das sich durch den Geist den es in sich trug, jeder Modeströmung entzog.
Seit mit Peter Fondas Ritt auf seinem Easy Rider die Räder der Chopper auch bei uns zu rollen begannen, übten diese langgabeligen Kunstwerke für den Alltagsgebrauch auf mich eine ungebrochene Faszination aus.
In all den Jahren die seitdem vergangenen waren, sind zahlreiche Moden gekommen, gegangen und erneut gekommen. Das was wir heute Old School nennen, war bereits in den 60ger und 70ger Jahren Old School, orientierte es sich doch schon damals an Bikes, die Jahrzehnte davor über den Asphalt rollten. So befanden sich viele der Chopper in einem ständigen Kreislauf zwischen Top aktuell und aus der Mode. Dabei bestand das Herz das sie antrieb, doch zu allen Zeiten aus amerikanischem Eisen.
Das Hauptproblem mit der aktuellen Chopper Mode liegt meiner Meinung darin, dass es bei all dem Wettrüsten gar nicht mehr um den ursprünglichen Choppertraum geht, sondern vielmehr um das Wettrüsten selber.
Einer der großen amerikanischen Custom Bauer hatte einmal in einem Interview geäußert, er halte es für unmöglich einen Custom Aufbau auf Katalogbasis zu realisieren. Und natürlich fand sich umgehend ein anderer Großer der dagegen hielt, es sei sehr wohl möglich. Unzählige Garagenschrauber schraubten derweil von beiden Aussagen unbeeindruckt vor sich hin und realisierten sich ihren Chopper entsprechend ihrer Fähigkeiten.
Mit Blick auf die auf der Werkbank verstreuten Bestandteile meines Antriebsherzens und der spürbaren Gegenwart der beiden Schrauber, die hier in ihrer Werkstatt tagtäglich mit der Realisierung von Träumen zu tun hatten, löste sich meine Anspannung in Bezug auf das sich ständige wiederholende was wäre wenn?