Lebensracer - Schrauberprojekt der Lebenshilfe in Weeze

Text und Fotos Frank Bick
26.12.2015
Frank Sommer ist gelernter Erzieher sowie gelernter Automechaniker. Der 50 jährige Mann ist Heimleiter einer Wohngruppe für betreutes Wohnen der Lebenshilfe in Weeze. Die Schützlinge seiner Wohngruppe haben leichte geistige und auch körperliche Behinderungen und werden in dem Haus darauf vorbereitet in eigene Wohnungen zu ziehen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Damit dieses Vorhaben auch klappt, lassen sich die Mitarbeiter der Lebenshilfe eine Menge an Maßnahmen einfallen die zu den notwendigen Kenntnissen führen. Bei Frank ist es seit diesem Jahr eine Doppel-Garage direkt am Haus. Dort werden in mehreren Stunden wöchentlich in Zukunft Custombikes gebaut. Die komplette Einrichtung der Garage stammt von Motorradfahrern die über Facebook Gruppen von dem Projekt erfahren haben. Die Lebenshilfe übernimmt lediglich die Kosten der Betreuung und zahlt den Strom in der Garage.

Am ersten offenen Sonntag im Frühjahr kamen etwa 50 Motorradfahrer zu Besuch, wurden mit Kaffee und Kuchen versorgt und hinterließen eine fast komplette Werkstatt-Einrichtung. Es sei fantastisch gewesen, meint Frank Sommer, wie vorbehaltslos die Biker mit den Behinderten in Kontakt und in rege Kommunikation kamen. "Meine Leute hättest Du in der Menge nicht mehr ausmachen können, sie waren mitten drin in den Benzingesprächen. Durch den hohen Frauenanteil im sozialen Breich sind die Maßnahmen häufig sehr weiblich orientiert, meine Jungs haben aber ein normales Männerbild, in das die Bikes sehr gut passen".

3 Motorräder sollen in kommender Zeit umgebaut werden, allesamt Geschenke von Motorradfahrern. Erst kam eine 1980er Moto Guzzi V35 in Teilen an, dann eine Yamaha XS 400 von 1981 sowie ein Roller. Den Anfang macht aber jetzt eine Honda CB 400 von 1980 die am Stück kam und zum Scrambler umgebaut werden soll. Das gute ist dass nun beim Vorgang des Zerlegens eine Kenntnis der Einzelteile und ihrer Funktion bei den ersten beiden Schraubern aufgebaut werden kann. Manuel Orts ist 35 Jahre alt und ist richtig begeistert von dem Projekt. Er träumt jetzt schon davon mit dem Scrambler einmal die Straße vor dem Wohnheim rauf und runter zu fahren. Alexander Scheffler ist 28 Jahre alt und hat am meisten Freude am umbauen, am an- und abschrauben. Ordnungssinn, Teamfähigkeit und Kommunikationskompetenzen sind der informelle Lehrplan des Projekts. Frank erwartet zudem wachsende Kreativität und ein gesteigertes Selbstwertgefühl bei den Teilnehmern. Das scheint auch plausibel und wer genau wissen möchte wie das funktioniert sollte einmal Matthew B. Crawfords "Ich schraube, also bin ich: Vom Glück, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen" und  Robert M. Pirsigs "Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten" lesen. Bei der Einrichtung der Garage hat das gesamte Haus geholfen, da wurde gestrichen und penibel aufgeräumt.

Am Samstag den 19.07.war es dann soweit, die Honda wurde das erste mal laufen gelassen, inklusive Hörprobe mit Schraubendreher am Motorgehäuse. Dann wurde bei der Sichtprüfung festgestellt was neu angeschafft werden muss und ans weiße Brett geschrieben. Neue Zündkerzen, Ölwechsel, Bremspumpe, Reifen und so weiter müssen her. Wer noch Teile abgeben möchte oder Werkzeug hat, ein Schweißgerät fehlt noch, oder das Projekt unterstützen möchte kann zu Frank Sommer Kontakt aufnehmen. Oder schaut doch mal beim nächsten Tag der offenen Garage rein:

https://www.facebook.com/lebensracer
Telefon 0 28 37 68 64
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Interview mit Frank Sommer und 2 Teilnehmern

Wie bist Du auf die Idee zum Projekt gekommen?
Frank Sommer: Beim betreuten Wohnen geht es darum Menschen zusammen zu führen und sie dazu befähigen mit anderen ihr Leben zu meistern. Hier sind ja Menschen zusammen die sich den anderen nicht ausgesucht haben. Zwangsgemeinschaften von Menschen mit unterschiedlichen Interessen, Handycaps und Behinderungen. Ich war schon immer der Meinung das wir über handwerkliche Zusammenarbeit zueinander finden. Das geht sicher auch über andere Themen aber wenn ich ehrlich bin, vom Customizing habe ich am meisten Ahnung und es macht mir wirklich Spaß. Das fertige Motorrad ist also hier nicht das Ziel, sondern der gemeinsame Weg dorthin. Hier bauen wir allesamt Vertrauen füreinander auf, zudem steigt das Selbstvertrauen und das Vertrauen auf die Technik bei den Teilnehmern.

Wie haben Deine Vorgesetzten den Plan aufgenommen?
Frank Sommer: Ich hatte eigentlich mit Widerstand gerechnet, trat aber ein offenes Scheunentor ein. Es kamen zwar ein paar Auflagen, die habe ich aber wie Vorschläge gesehen und im Prinzip erweitern sie mein Konzept. So ist das Projekt nun offen für alle Einrichtungen der Lebenshilfe unserer Gegend. All unsere Schützlinge, derzeit kpmmen etwa 60 in Frage, haben ein Budget an Fachleistungsstunden zur Verfügung. Mit diesem Budget holen sie sich die Hilfe und Anregung unserer Mitarbeiter um ein eigenständiges Leben in den Griff zu kriegen. Das kann ein Gang zum Amt sein, aber auch eine erfüllte Freizeitgestaltung. Menschen mit geistiger Behinderung haben zwar die gleichen Wünsche wie wir, aber durchaus weniger Möglichkeiten. Eine Motorrad Werkstatt ist in diesem Zusammenhang wirklich ein absolutes Prestigeprojekt. Der Stundenpool eines geistig behinderten Menschen beträgt 8-10 Stunden und wird mit zunehmender Selbstständigkeit geringer.

Was erwartest Du in der Zukunft mit diesem Projekt?
Frank Sommer: Es ging träge los, die Lebenshilfe ist ein schwerfälliger Apparat. Ich musste Kostenvoranschläge einholen, Sicherheitsfragen klären und zusehen das die Garagen entrümpelt wurden. Meine Hoffnung nachdem diese Hürden genommen wurden, ist die Verselbstständigung des Projekts. Es würde mich freuen wenn sich Teams ausbilden und die Teilnehmer auch ohne Fachleistungsstunden weiterhin zur Garage kommen. Im Grunde wünsche ich mir eine Hinterhofatmosphäre wie wir sie auch in der Jugend erlebt haben. Und es ist auch super wenn Motorradfahrer vorbeikommen die nicht zur Einrichtung gehören, denn dann bekommen meine Leute Kontakt zum Leben außerhalb betreuter Systeme. Sie können Bekannte von außerhalb gebrauchen und auch deren Unterstützung. Unsere Möglichkeiten von der Einrichtungsseite her sind beschränkt. Daher wird es ein paar Mal im Jahr offene Tage geben an denen wir Kaffee und Kuchen servieren. Manuel und Sandy meinten aber, dass Grillen und Bier passender wären. Na also, der Anfang für ein normales Leben ist gemacht.

Warum machst Du bei dem Projekt mit Sandy?
Sandy Schüppke: In erster Linie weil ich den Kontakt zu den Leuten hier aufrecht erhalten will. Ich wurde von meiner Familie ziemlich im Stich gelassen, sie waren mit meiner Behinderung überfordert. Daher kam ich vor vielen Jahren hier her und machte eine Ausbildung zum Gärtner. Die Lebenshilfe wurde für mich Familie und Freundeskreis. Ohne Frank wäre ich sicher versackt und in irgendeinem Heim gelandet. Jetzt bin ich 29 und habe mich direkt für das Projekt beworben um mir und anderen etwas zu beweisen, nämlich das ich trotz geistiger Behinderung vieles machen kann. Ich werde versuchen lange dabei zu bleiben und bin stolz darauf dabei zu sein.

Willst Du auch mal Motorrad fahren?
Sandy Schüppke: Mit meiner Behinderung könnte es nur das Mofafahren werden. Das wäre ein Traum für mich, da ich überall viel leichter hinkomme als mit dem Bus. Ich habe zum einen zu wenig Geld für den Führerschein, zum anderen bräuchte ich Hilfe von außen beim Lernen für die Prüfung. Ich kenne die Verkehrsregeln , verstehe aber die Fragen auf den Bögen nicht ohne fremde Hilfe. Wenn die Sätze verschachtelt sind kapiere ich den Inhalt nicht und kann mich deswegen auch nicht für die richtige Antwort entscheiden. Ich bräuchte also Geld, ehrenamtliche Hilfe von netten Leuten und eine gnädige Fahrschule um den Mofaschein zu machen.

Warum machst Du bei dem Projekt mit Manuel?
Manuel Orts: Ich habe seit fast 20 Jahren mit der Lebenshilfe zu tun und einige Projekte mitgemacht. Ich arbeite derzeit in einer Polsterei und habe als Hobby angeln. Ich habe sogar den Bundesfischereischein gemacht und gehe jetzt an der Niers angeln. Um den Schein zu machen brauchte ich die Hilfe der Lebenshilfe. Mir haben alle beim Pauken für die Prüfung geholfen. 60 Fragen musste man beantworten und eine Zeit lang an Kursen teilnehmen. Frank hat mich immer gefahren. Als ich von dem Garagenprojekt hörte wollte ich sofort dabei sein, war richtig begeistert. Ich bin absolut kein Teamplayer, aber herumzuschrauben war schon immer meine Leidenschaft, außerdem finde ich alte Sachen spitze, alte Autos und alte Motorräder. Alles Neue finde ich Kacke.

Willst Du auch mal Motorrad fahren?
Manuel Orts: Nichts lieber als das, aber daraus wird wohl nichts. Durch meine Arbeit verdiene ich nicht genug Geld für den Führerschein. Einen Lappen zu machen würde mich 1500 Euro, bei Schwierigkeiten eher 2000 Euro kosten. Das bedeutet selbst wenn ich auf vieles verzichte, bräuchte ich ein paar Jahre um das Geld zusammen zu kriegen. Und das Rauchen will ich auch nicht drangeben, es macht mir einfach Spaß. Einen Kredit kann ich auch nicht aufnehmen. Frank hat gesagt dass wir auf privatem Gelände mal ein wenig rumfahren können. Wir haben einen Roller im Projekt, damit werden wir die ersten Meter fahren.

Der hier vorliegende Artikel erschien in Custombike Magazin Ausgabe 12/15 und führte zu durchweg positiven Reaktionen bei den Lesern. Die Custombike Redaktion sandte den Jungs erst einmal Karten für die Custombike Show 2015, die dankend angenommen wurden. Dank des Artikels in der Zeitschrift kam es auch noch zu einem fantastischen Weihnachtsgeschenk, einem Schweissgerät der Firma Johnsen Controls Metal Forming Tech. GmbH & Co.KG aus Solingen. Alle folgenden Fotos sind von der Lebensracer Facekook Seite: