"Wax on, right hand. Wax off, left hand. Wax on, wax off. Breathe in through nose, out the mouth. Wax on, wax off."
„Detroit!“, antwortet Meister Miyagi, auf die Frage, woher die Autos kommen, die Daniel LaRusso in seinem Auftrag wachsen und polieren soll. Und ich kann mich noch gut daran erinnern, dass diese Szene so etwas wie ein Schenkelklopfer war, als Karate Kid damals in den Kinos lief.
Heute ist Detroit eine Station auf meinem Weg und auf die Frage, wo die Straße endet, auf der ich mich gerade befinde, würde Meister Miyagi möglicherweise „Kanada!“ antworten. In der Tat endet eine meiner Straßen für mich an der Auffahrt zur Brücke, an deren Abfahrt Kanada beginnt. Das ist zwar nicht das tatsächliche Ende der Straße, aber wie für die meisten Amerikaner, ist auch für mich hier Schluss und wenn ich mit Blick in Richtung Kanada stehe, dann ist Weite etwas, das sich in meinem Rücken befindet. Etwas von dem ich nun sagen kann, dass ich es kenne, weil ich es hinter mich gebracht habe.
Da sich die Menschen der alten Welt die USA nicht nur vom Osten her kommend erschlossen haben, sondern sich auch von hier aus mit allem versorgen mussten, was sie für die Erschließung des Kontinents benötigten, konzentriert sich die maschinelle Entwicklung, der Stahl, die Maschinen und Motoren über einen langen Zeitraum nahezu ausschließlich auf den Osten des weiten Landes. Und prägt so ein ganz eigenes Bild. Riesige Hallen, riesige Verwaltungsgebäude, tonnenweise Stahl, Glas, Stein und Beton. Während es die Menschen im Rest des Landes eher flach und in Leichtbauweise halten, ging es im Osten in die Höhe, die Breite und die Länge und vor allem ins Gewicht.
Die Wurzeln der amerikanischen Autoindustrie befinden sich in Detroit. Von Detroit ausgehend, wurde das Zeitalter der automobilen Bewegung beschworen und bis heute in Gang gehalten. An diesem Ort ist von wenigen Ausnahmen abgesehen, die gesamte amerikanische Autoindustrie versammelt, um ihre Fahrzeuge zu produzieren und die Relikte der automobilen Vergangenheit des Landes lassen sich nahezu an jeder Ecke finden. Dabei ist der Umgang, mit dem, was alt, nutzlos oder nicht mehr zu gebrauchen scheint, etwas mit dem die Stadt mich überrascht hat und mir gleichzeitig auch so etwas wie ein Spiegelbild des amerikanischen Denkens bietet.
Es muss hier einmal unermesslichen Reichtum gegeben haben und auf bestimmten Ebenen scheint es diesen Reichtum auch immer noch zu geben, denn anders ist es für mich nicht zu erklären, das man hier das Alte, das Unproduktive, das Unbrauchbare, einfach sich selbst zu überlassen scheint.
Der Eindruck, den mir eine bis zum Horizont reichende Straßenschlucht im Zentrum einer Wirtschaftsmacht vermittelt, in der es bis auf ein paar verlorene Seelen, dem Leerstand und dem Zerfall nichts weiter zu geben scheint, ist kaum zu beschreiben.
Ich fahre durch die Straßen und frage mich, wann sich die einst belebte und vor allem beseelte Stadt zu dem Bild gewandelt hat, das sie nun bietet. Häuser, die sich im Übergang zur Ruine befinden, aber noch bewohnt werden, stehen direkt neben bereits verfallenen oder niedergebrannten Gebäuden und doch scheint für die Menschen, die sich zwischen den Häusern bewegen, das Leben in diesen Häuserzeilen ein Teil der Normalität zu sein.
Meist sind es Schwarze und wenn ich mit kalifornischem Kennzeichen und offensichtlich ohne Ziel durch die Straßen fahre, taucht irgendwann im Rückspiegel das zerbeulte Auto der Jungs auf, die hier das Sagen haben und es wird Zeit das Viertel zu verlassen.
Nach ein paar Tagen im inneren, den Stadtkern fest umschließenden Ring, weiß ich wo die Opfer einer nach wie vor herrschenden Profitgier, der Maßlosigkeit der Spekulanten und der geplatzten Immobilienblasen zu suchen und zu finden sind und wie eine vom wirtschaftlichen Niedergang ausgelöste Gesellschaftsdepression aussieht. Für die Dramaturgie eines ausdruckstarken Fotos kann das durchaus Interessant sein. Aber für den Sinn eines Lebens…
Detroit, ein Spiegel des Landes und seiner Menschen
Peter Su Markus