Bei der Auswahl meiner Unterkünfte, gehe ich nicht sonderlich wählerisch vor. Sie sollen günstig sein und möglichst einfach in der Abwicklung. Die Motels der Kette Motel 6, haben sich hier als besonders praktisch erwiesen und stellen für mich so etwas wie ein Bindeglied der ursprünglichen Motel Philosophie und den Hotels des gehobenen Anspruchs dar.
Die Möglichkeit auf einfachem Wege praktisch an jedem Ort eine Unterkunft zu finden, war einer der Gründe, warum ich mich bei meiner Idee einer Straße bis zu ihrem Ende zu folgen, für die USA entschieden habe.
Da Legenden die Fantasie in Bewegung halten, gibt es auch eine zum Ursprung des Motels. Es heißt, das der Besitzer eines nicht so gut laufenden Hotels am Rande der Straße in der Überlegung sein Haus aus dem Angebot der Masse hervorzuheben, auf die Idee kam, das (H)otel gegen ein (M)otel zu tauschen.
Der Legende zur Folge, sollen danach tatsächlich die Menschen angehalten haben, um den Besitzer darauf hinzuweisen, dass er Hotel falsch geschrieben habe und nicht wenige sollen dann über Nacht geblieben sein.
Ich gehe eher davon aus, dass das M etwas mit Motor oder Mobilität zu tun hat und mit der Möglichkeit in Verbindung steht, sein Fahrzeug direkt vor dem Eingang seines Zimmers abzustellen. Daisys Motel ist eines dieser ursprünglichen Motels und ich habe es über das Internet eher zufällig gebucht.
Es ist offensichtlich, das Daisy mit ihrem Motel fest verbunden ist und in Ihrem Office bereits seit vielen Jahren ihres Lebens auch zu wohnen scheint und dabei auch so etwas wie eine feste Verbindung zu ihrem Stuhl auf Rollen eingegangen ist. Mit ihm rollt sie kreuz und quer durch den Raum. Selbst wenn sie sich erheben wollte, um einige Schritte zu gehen, würde das der Bullterrier verhindern, der mit Ihrem Schoß ebenso fest verwurzelt scheint, wie sie mit dem Stuhl.
So oder ähnlich, habe ich mir das bei einem echten, ursprünglichen Motel eigentlich immer vorgestellt und das sie mich bereits mit dem Schritt durch die Türe Sweety nennt, setzt dem Ganzen die Krone auf. Es ist noch früh am Nachmittag und so steht das Angebot im Raum mir selber ein Zimmer auszuwählen. Was sie mir damit sagen will, kann ich zunächst nicht verstehen. Für mich ist ein Zimmer schlicht ein Zimmer und in der Motel typischen U-Form, in der die einzelnen Zimmer hier angeordnet sind, scheint eins so gut wie das andere.
In Daisys Motel nicht! Die Atmosphäre jedes einzelnen Raums, wird hier wohl durch so etwas wie ein Thema bestimmt. So etwas habe ich bereits im Zusammenhang mit japanischen Stundenhotels gehört. An diesem Ort überrascht es mich. Und weil ich das Ganze offensichtlich nicht zu kapieren scheine und es in Daisys Leben weitergehen muss, gibt sie mir kurzerhand den Schlüssel für das Waschbärenzimmer.
Was das bedeutet, erfahre ich, als sich mir das Zimmer nach kurzem Kampf mit der Fliegengittertüre und dem Türschloss in seiner ganzen Vielfalt präsentiert. Obwohl ich direkt in die Augenpaare zweier Waschbären blicke, kommt mir als erstes der Begriff Wanzenbude in den Sinn und ich überlege kurz, ob ich Badelatschen im Gepäck habe.
Auch wenn das Zimmer mit viel Liebe zum Detail eingerichtet ist, stammt es mit Ausnahme der Mikrowelle und dem Fernseher in seiner Ausstattung sicher aus den Gründerjahren der Motel Idee und so ziemlich alles in diesem Raum belegt die Jahrzehnte eines intensiven Lebens durch die Spuren, die dieses Leben hinterlassen hat.
So sehen, die Motels, die ich so gerne fotografiere also von innen aus. Die Nachbarn, die sich im Laufe des Nachmittags einfinden, entsprechen ebenso dem Klischee. Eine Gruppe Biker ein zwei ältere Ehepaare. Der Holzfäller mit seinem alten Pickup und dem Kaffeebecher in der Hand und direkt neben mir die allein Reisende, etwas verschüchtert wirkende junge Frau.
Als ich zu den Bikern gehe, um mir ihre Motorräder anzusehen, steht sie in praktischen Outdoor Klamotten neben ihrem Auto und scheint mit irgendwas im Kofferraum beschäftigt. Eine Beschäftigung, der Frauen offensichtlich auf der ganzen Welt gerne nachgehen. Als ich zurückkomme, fragt sie mich irgendwas, das mit Werkzeug zu tun haben könnte und ich weil ich mal wieder nur die Hälfte verstehe und vermutlich kein Werkzeug im Auto habe, antworte ich mit einem schlichten Kopfschütteln und nicke dann kurz in Richtung der Biker. Sie folgt mit den Augen der Richtung meines Nickens. Die Biker scheinen keine Option zu sein.
Eine gute Stunde später höre ich wie draußen jemand leise vor sich hin flucht. Meine Nachbarin hat offensichtlich ein Problem mit dem Auto, das sich über den platten rechten Vorderreifen zur Seite neigt und hat sich, wie es sich für einen guten Handwerker gehört in ein bequemes Arbeitsoutfit geworfen.
Warum sie zum Wechseln ihres Rades die Outdoor Klamotten aus und so etwas wie einen Hauch von Nichts in Form eines Babydolls übergeworfen hat, kann ich nicht nachvollziehen. Dass sie die Radmuttern mit dem Winkelschlüssel des Bordwerkzeugs nicht lösen kann schon. Ich fand Winkelschlüssel im Bordwerkzeug immer schon überflüssig und die Tatsache, dass meine Zimmernachbarin nun im Babydoll mit einem Bein ihrem Winkelschlüssel herumwippt um die Schrauben zu lösen, bestätigt mich in meiner Einstellung zu diesem Werkzeug.
Inzwischen verstehe ich ihre zuvor gestellte Frage nach dem Werkzeug, biete ihre meine Hilfe an und hoffe gleichzeitig, dass sie das nicht auf ihre Kleidung zurückführt. In der Befürchtung gleich wie ein Loser dazustehen, bringe ich mein gesamtes Gewicht auf die lange Seite des Winkels und ganz gegen meine Erwartungen macht es kurz fünfmal Knack. Die Schrauben sind los und ich der Held meiner Nachbarin.
Wagenheber? Sie sieht mich mit großen Augen an und flitzt mit wehendem Babydoll nach hinten, um den Heber zu holen. Während ich ihn ansetze, um den Wagen zu heben, beginnt sie fröhlich an den Schrauben zu drehen. Die Frage, ob sie die Handbremse angezogen hat, beantwortet das Auto, in dem es sich über den kippenden Heber hinweg langsam nach vorne bewegt.
Zum Glück steckt das Rad noch auf den Bolzen und sie hält von den fünf Muttern erst vier in ihrer Hand. Also Handbremse fest und das Ganze noch mal von vorne. Nach einer Viertelstunde ist die Sache dann erledigt und ich höre noch eine geraume Weile wie sie fröhlich in ihrem Zimmer vor sich hin summt, während ich mich mit dem Thema meines Zimmers beschäftige.
Als sie am nächsten Morgen in ihren praktischen Outdoor Klamotten und einer Tasse Kaffee neben dem Auto steht und ich sie Grüße, sieht sie mich mit einem Blick an, der mir signalisiert, dass sich selbst Helden das Geschenk der Aufmerksamkeit jeden Tag von neuem erkämpfen müssen.
Sie sagt, Ihr Name sei Daisy und sie nennt mich Sweety
Peter Su Markus