Südkorea - ein Land im Vollgasmodus

Text und Fotos: Gasolin Alley Garage 2016

Geht es um Motorräder des asiatischen Marktes, dann stellt Südkorea eher einen weißen Fleck auf der Landkarte des motorisierten Interesses dar. Hier hat deutlich der Japanische Nachbar die Nase vorne und so steht das kleine isolierte Land am Ende des asiatischen Festlandes eher selten das Ziel Motorrad interessierter Reisender dar. Dabei stellt die koreanische Motorradszene nicht nur für Strategen des westlichen Motorradmarktes ein interessantes Betätigungsfeld dar, sondern hat auch für das betrachtende Auge durchaus das eine oder andere zu bieten.

    Doch stellen wir zu Beginn des Textes einmal die Frage, welches uns bekannte Motorrad seine Wurzeln in Südkorea findet? Nun, für viele wird das mit dieser Frage verbundene Fragezeichen unbeantwortet im Raum stehen bleiben. Und auch ich hätte diese Frage bis vor einigen Monaten nicht auf Anhieb beantworten können. Wenn man mir vor einigen Jahren gesagt hätte, dass ich einmal den Fuß auf südkoreanischen Boden setzen würde, hätte ich nur milde gelächelt und den Kopf geschüttelt. Durch den Kontakt zu einem koreanischen Tänzer und Trommler hat sich dies geändert und im Zuge einer kreativen Zusammenarbeit auf der musikalischen Ebene stand plötzlich die Einladung im Raum, in Seoul einen gemeinsamen Auftritt zu gestalten.
    Also machte ich mich auf den Weg in ein Land, über das ich so gut wie nichts wusste. Das Korea geteilt ist und die Geschicke des Bruderstaats von einer schrägen Persönlichkeit in fragwürdiger Familientradition gesteuert werden, gehört zur Allgemeinbildung. Dass beide Seiten ab und an die Muskeln spielen und dabei auch schon mal die eine oder andere Rakete fliegen lassen, wird man ebenfalls wissen. Das man den Süden ausschließlich über den Luft- oder Wasserweg erreichen kann, war mir jedoch neu. Und auch, dass die Gesellschaft Südkoreas erst in den 80ger Jahren den Wandel von einer Militärregierung in eine demokratische Staatsform vollzog, entzog sich meiner Kenntnis.
All diese Informationen erfuhr ich erst während meiner Reisevorbereitung und so war ich entsprechend gespannt auf das Land, das mit seiner Fläche etwa einem Drittel der Fläche Deutschlands entspricht. Motorräder spielten im Rahmen meiner Erwartungen zunächst jedoch keine Rolle.
Wie bereits erwähnt sind die Einreisemöglichkeiten begrenzt und so werden die meisten Reisenden Südkorea über den Luftweg erreichen. Da sich der neue Flughafen Seouls auf einer dem Festland vorgelagerten Insel befindet, nehmen die Reisenden in der Regel den Zug, um in die Hauptstadt zu gelangen. Die Fahrt dauert etwa eine Stunde und das, was man während dieser Fahrt zu sehen bekommt, macht bereits deutlich worum es den Menschen in diesem Land geht. Fortschritt und Industrie und das offensichtlich um jeden Preis.
So ist nahezu die gesamte sichtbare Küste mit riesigen Industrieanlagen verbaut und dort wo es keine Industrie gibt, reiht sich ein Hochhauskomplex an den Nächsten um die Industriearbeiter zu beherbergen. Es scheint als habe Südkorea einiges nachzuholen und dabei offensichtlich auch keine Zeit zu verlieren. Das muss einem auf Ruhe und Entspannung fixierten Westeuropäer wie mir nicht gefallen, bietet dem Besucher jedoch einen ersten Einblick in das, was hier im Augenblick Trumpf ist.
Tatsächlich hat sich Südkorea in nur einem halben Jahrhundert von einem Entwicklungsland der untersten Ebene, zu einer der führenden Wirtschaftsnationen Asiens gewandelt. Eine solch radikale Wende hinterlässt natürlich seine Spuren und die sind während der Fahrt in die Hauptstadt nicht nur in aller Deutlichkeit zu sehen, sondern finden dort auch ihre Fortsetzung.
Wer Tokyo so liebt, wie ich es tue, der wird auch Seoul sofort ins Herz schließen. Eine Metropole die, weil von allen Seiten von Bergen eingefasst, schier ungebremst in die Höhe schießt, um Millionen fortschrittsinteressierter Südkoreaner aufzunehmen, die ihrerseits das Rad des Fortschritts über 24 Stunden am Tag in Bewegung halten. Dazwischen immer wieder alte Tempel, riesige Paläste und Parkanlagen, die nicht nur an die Zeiten vor der Wende erinnern, sondern vielmehr die rastlose Seele dazu einladen zur Ruhe zu kommen. Nie aufdringlich und auch nicht mahnend, stellen diese Inseln der Ruhe ein Angebot dar, das man nutzen kann, wenn man es benötigt oder am Wege liegen lässt, wenn man seinem Lebensweg mit einer anderen Gewichtung folgt.  
Doch kommen wir mit dem Blick auf die Motorräder des Landes nun auf das Grundthema dieses Artikels zurück. Im Straßenbild der Metropolen allgegenwärtig, dauert es lange bis sie das auf Custombikes fixierte Auge überhaupt zur Kenntnis nimmt. Wie in anderen Millionenmetropolen der Erde kommt der Verkehr, trotz der zum Teil sechsspurigen Straßen auch in den Städten Südkoreas an seine Grenzen. Doch die Millionen wollen versorgt sein und dort wo sich der PKW im täglichen Stau die Reifen platt zu stehen scheint, wird diese Versorgung über das Motorrad gesichert. Wie ein Heer geschäftiger Ameisen suchen sich diese Lastenkräder ihren Weg an den zum Stillstand verurteilten vorbei, um sich an der nächsten Ampel in vorderster Front zu positionieren, zur Vollgasattacke zu blasen, sobald die Fußgängerampel von Grün auf Rot wechselt und sich in der Folge in den Gassen eines der riesigen Märkte zu verlieren. Diese für Asien typischen Märkte lassen sich in jedem Stadtteil finden und erstrecken sich nicht selten über mehrere Kilometer und zahlreiche Häuserblocks. In den für Autos zu engen Gassen, stellt der Transport mit dem Motorrad die einzige Möglichkeit dar eine Ware schnell von A nach B zu bewegen. So wird auf dem Motorrad nahezu alles transportiert, was sich bewegen lässt.       
Wer bisher der Meinung war, dass man die Last, die man einem Motorrad zumuten kann, sicher in angebauten Koffern, im Topcase verstauen oder zumindest gleichmäßig auf den dafür vorgesehenen Gepäckträgern verteilen sollte, wird von den hier agierenden Transportunternehmern eines besseren belehrt. Und auch wer glaubt, dass unter jedem Gepäckberg eine dem Gewicht entsprechende leistungsstarke Maschine werkeln sollte, kommt hier schnell an seine Glaubensgrenze.
Erinnern wir uns an unsere eigene Vergangenheit, dann wurden im Ostteil unserer Republik ein Teil der zu transportierenden Lasten ebenfalls mit Hilfe von durchaus als abenteuerlich zu bezeichnenden Zwei- und Dreiradumbauten auf Simson, MZ oder Ural Basis bewegt. Man nahm was man hatte und in der noch jungen Demokratie Südkoreas waren das zu 99,9 % Motorräder der Marke Daelim, die inzwischen zur Hyosung Motors & Machinery Inc., einem in unterschiedlichen Geschäftsfeldern aktivem Mischkonzern gehört und dabei ist es bis heute geblieben. Alles andere wäre für die zweirädrige Transportunternehmerzunft ein Luxus, den sich niemand leisten kann und offensichtlich auch niemand leisten will. Zwar verirrt sich schon mal die eine oder andere Honda oder Kawasaki in die Reihen der Lastenträger, doch den meisten Unternehmern sind die Bikes aus Japan nicht nur in der Anschaffung, sondern auch im Unterhalt, sprich der Wartung und Reparatur zu teuer und auch zu anfällig.         
Dies führt uns auf direktem Wege zu der Frage, was denn dann sonst noch so auf südkoreanischen Straßen bewegt wird. Nun wenn es um Motorräder geht, dann scheint so etwas wie eine Motorradkultur, so wie wir sie kennen und auch schätzen, gerade erst zarte Knospen zu schlagen. Den oftmals stark heruntergekommenen Lastenesel des Landes allgegenwärtig vor Augen, scheint es für kaum einen, zu Wohlstand gekommenen Südkoreaner ein erstrebenswertes Ziel zu sein, sich auf ein Motorrad zu schwingen.
Natürlich sind alle Marken, die in der Welt etwas auf sich halten, auch auf dem Südkoreanischen Markt vertreten. Die Absatzzahlen dürften sich jedoch noch in Grenzen halten. Sicherlich können es sich zunehmend mehr Südkoreaner leisten, sich das Leben angenehm zu gestalten und viele sind auch dazu bereit Geld in die Hand zu nehmen, doch wenn es um Fahrzeuge geht, dann investieren die meisten lieber in ein Fahrzeug, das mit vier Rädern sicher am Boden steht.
Wenn im Bereich des motorisierten Freidenkertums überhaupt jemand ein zweirädriges Zeichen setzen will, dann greift er zu einem Model das extrem schnell, extrem aggressiv oder zumindest extrem fortschrittlich und damit extrem teuer daherkommt. Hier stehen vor allem Motorräder der Marken BMW, Ducati, Triumph und Yamaha hoch im Kurs und treffen mit der von diesen Marken neuerdings vertretenen Kultur hochpreisiger Umbaukonzepte direkt in Herz zahlungswilliger Südkoreaner. So rollt die Neuerwerbung direkt in die Werkstätten der Händler um sie dort mit allem zu versehen, was sich so aus den gut gefüllten Regalen anschrauben lässt. Da vieles davon zwar teuer ist, in der gewählten Kombination jedoch mitunter überaus Gewöhnungsbedürftig aussieht, lässt sich inzwischen mit einiger Mühe auch der eine oder andere Kreative finden, der in der eigenen kleinen Werkstatt etwas Customizing anbietet.     
Natürlich drängt sich in diesem Bereich dann auch das amerikanische Eisen ins Bild, wobei man sich auch hier zunächst an Neuware und der breiten Zubehörpalette der Company orientiert. Die breite Palette angesagter Strömungen, wie sie bei uns wie selbstverständlich vertreten sind, muss man in Südkorea dagegen lange suchen. Im Gegensatz zum Rest der Welt  hat der durchaus gebotene Einfluss der Amerikaner offensichtlich nicht dazu geführt, den Geist der Freiheit auf zwei Rädern auf die Südkoreaner zu übertragen und es scheint auch nicht genügend Material im Land verblieben zu sein, um eine solche Welle in Bewegung zu bringen und zu halten. Und auch wenn der eine oder andere an altem Eisen schraubt und sich darüber durchaus eine engere Beziehung zwischen Mensch und Maschine entwickelt, hat man sich in Südkorea im Zuge einer auf Fortschritt fixierten Bewegung, doch sehr gründlich und wohl auch nachhaltig alter Technik entledigt.
An den Stellen an denen es um technischen Fortschritt, um Tempo, Kraft und edle Komponenten und Materialien des Augenblicks geht, scheint es keinen Zweifel zu geben und der Markt in der Lage zu sein die Waage zwischen Angebot und Nachfrage zu halten. Geht es jedoch um kreative Individualität, um eigenständige Linienführung oder gar um die Inhalte der Oldschool Bewegung, wird das Ganze schnell plakativ oder droht ganz aus dem Gleichgewicht zu geraten.
Die wenigen sogenannten Themenbikes, die mir auf meiner Reise durch Südkorea begegneten, wiesen allesamt einen deutlichen Hang zum Kitsch auf und sollten damit den Bogen des Themas deutlich überspannen. Die wenigen Oldschool Schrauberbuden die ich fand, schienen mir sehr stark in Richtung Japan zu schielen und im Augenblick noch zu wenig eigene Energie zu entwickeln, um glaubwürdig, stilsicher und kreativ zu wirken.
Für den Moment scheint es in Südkorea noch wenig Eigenes, wenig Südkoreanisches  auf dem Gebiet der Custombikes zu geben. Doch ich bin sicher, dass sich auf diesem Gebiet in absehbarer Zeit einiges tun wird. Und vielleicht werden wir in einigen Jahren an dieser Stelle darüber berichten, dass sich Südkorea im Bereich der Custombikes in kürzester Zeit zu einer der führenden Nationen entwickelt hat.