Wenn man es einfach haben möchte, kann man die Strecke von Rapid City nach Sioux Falls auf gerader Linie und einer Fahrtzeit von etwa 4 Stunden hinter sich bringen und dabei South Dakota von West nach Ost durchqueren.
Man kann sich aber auch die Zeit nehmen, einem Umweg über das Stammesgebiet der Oglala Sioux zu folgen. Das kostet etwa vier Stunden und ermöglicht einen weiteren Einblick in die Geschichte des Landes, seiner Bewohner und die Konflikte, die diese Bewohner miteinander geführt haben und zum Teil immer noch führen.
Zum Literaturbestand meiner Jugend, gehöhrten unter anderem auch die Bücher Karl Mays. Das er, wie ich später erfuhr, die Indianer nie mit eigenen Augen gesehen hat, tat meiner Faszination gegenüber der Lebensart und Selbstverständnisses dieses Volkes keinen Abbruch. Und wenn ich bereits den Custer Hügel als einen realen Ort indianischer Geschichte links liegen gelassen habe, möchte ich wenigstens das Massengrab auf einem staubigen Hügel besuchen, in dem der Weg eines Mannes endete, der mit dem Wunsch, sein Herz an der Biegung des Flusses zu beerdigen zwar die Herzen vieler berührt und doch von so wenigen im Sinne seiner Worte verstanden wird.
Es heißt, dass die Indianer immer schon im Einklang mit der Natur lebten. Das möchte ich so nicht unterschreiben. Es mag sein, das dies in der Vergangenheit so gewesen ist, doch selbst das wage ich zu bezweifeln, denn dazu haben sich die einzelnen Stämme im Konflikt um ihre Interessen untereinander zu sehr bekriegt. Das gilt natürlich nicht für jeden einzelnen Indianer, auf dem Stammesgebiet der Sioux wird es aber für viele gelten.
Dass sie ihre Verbindung zu diesem Einklang verbunden haben, mag an dem Deal liegen, den der gegenwärtige Präsident der USA sicherlich als einen sehr, sehr guten Deal bezeichnen würde. Gibt er der einen Seite doch so gut wie alles, während die andere Seite so gut wie nichts dafür bekommt.
Im Fall der Sioux, die damals die Black Hills als Land ihres Stammes bevölkerten, bedeutete das, dass sie die Black Hills zu verlassen hatten und dafür in den Sandkasten daneben umsiedeln mussten. Als Gegenleistung sollte es dann bis ans Ende verdorbenes Pökelfleisch und Wanzen verseuchte Decken geben.
Das ist zwar wieder einmal sehr vereinfacht dargestellt, bringt es aber wie ich glaube im Grundsatz ganz gut auf den Punkt. Die Sioux verloren mit diesem Deal also nicht nur ihr Land, sondern auch die Wurzeln, die sie im Einklang mit der Natur Leben ließen. Was das auf der psychischen Ebene für das Kollektiv bedeutete, spielte damals keine Rolle. Das was wir heute unter dem Begriff der Trauma Bewältigung kennen, hat es zur Zeit des Deals noch nicht gegeben und selbst wenn, wage ich zu bezweifeln, dass man sie gegenüber der Wilden zur Anwendung gebracht hätte.
Unter Touristen hat es sich herumgesprochen, dass es auf dem Stammesgebiet der Sioux nicht sonderlich viel zu sehen gibt und so verirren sich auch nur selten welche in diese Gegend. Den ersten Sioux wird man also in den Straßen von Rapid City begegnen und dabei zur Kenntnis nehmen, das es den meisten schwer fällt die Richtung ihres Weges zu halten. Im günstigsten Fall wird man feststellen, dass einige Betrunken oder zumindest angetrunken sind. Im ungünstigsten Fall wird man von dem einen oder anderen angepöbelt, wobei sich einem die Motivation des Pöbelns nicht immer erschließt. Obwohl es wohl immer noch darum geht, das die Weißen alles und die Indianer nichts haben.
Auf dem Land selber wird es dann wieder ruhiger. Das ist wohl so mit den Betrunkenen. Man trifft sie in großer Zahl an Orten an, an denen es etwas zu trinken gibt. In der weiten Ebene des Stammesgebietes selbst sind die Möglichkeiten des Saufens wohl enger gesteckt, dafür gibt es dann wieder die unglaublichen Müllansammlungen an den einzelnen Wohnstätten. Pine Ridge, das Zentrum des Stammesgebietes macht da keine Ausnahme.
Der Abzweig zu dem Ort, an dem das Wounded Knee Massaker verübt wurde, ist mit einem knappen Hinweis versehen. Will man die Stätte selber nicht verpassen, heißt es aufmerksam sein. Statt an einer Flussbiegung, liegt sie an einer Straßengabelung und ist nichts weiter als ein Stück Brachland am Rande der Straße.
Von all dem, was das Custer Schlachtfeld ausmacht, ist hier nichts zu finden. Auf der anderen Seite der Straße steigt das Gelände zu dem Hügel an, auf dessen Kuppe ein kleines, gemauertes Tor das Massengrab der Opfer des Massakers markiert.
An diesem Ort, wurden also am 29. Dezember 1890 300 Sioux von der Armee der Vereinigten Staaten niedergemacht. Unter den Opfern sollen sich etwa 100 Krieger befunden haben, der Rest waren Frauen, Kinder und Alte. Und so traurig wie die Tat selbst, präsentiert sich nun auch der Ort, an dem sie verübt wurde.
Als ich mich auf den Weg zum Tor auf dem Hügel mache, kommt mir auf halber Strecke ein junger Mann entgegen, der mir die Hand zum Gruße reicht. Er nennt mir seinen Namen, den ich aber nicht verstehe. Der Druck seiner Hand fühlt sich mehrwürdig an und während er wissen möchte, woher ich komme, stelle ich fest, dass die Farbe seiner Haut tatsächlich ins Rötliche geht.
Mit Deutschland weiß er offensichtlich wenig anzufangen und so will er wissen, wie weit ich reisen musste, um an diesen Ort zu gelangen. Ich beschränke mich auf die Angabe der Flugzeit von Deutschland in die USA. Das reicht Ihm wohl um ein Gefühl für die Entfernung zu bekommen und ohne weitere Fragen zu stellen, beginnt er von dem Ort zu erzählen, an dem wir uns gegenüber stehen.
Sichtlich aufgewühlt, erzählt er von dem Massaker an seinen Leuten und das es nicht richtig sei, was mit Ihm und seinen Vorfahren geschah und immer noch geschieht. Dabei entschuldigt er sich immer wieder für all den Schmutz und dem traurigen Zustand dieses Ortes, um den sich selbst die eigenen Leute kaum noch zu kümmern scheinen. Mitten im Satz zieht er dann so etwas wie eine 3D Brille aus der Tasche und fragt mich ob ich seine Brille aufsetzen möchte. Möchte ich nicht!
Ich weiß nicht genau, an welcher Stelle seiner gedanklichen Sprünge ich den Faden verloren habe, doch plötzlich ist er mit seinen Erzählungen beim FBI und bei irgendeiner Sache um ein nacktes Mädchen, die aber überhaupt nicht so gewesen sein soll, wie es die meisten annehmen. Und dann ist er wieder bei der Geschichte dieses Ortes und erzählt, das die Mitglieder des Stammes versucht haben aus dem Ort etwas zu machen, die Sache dann aber bereits am Streit um die Spendenbox wieder gescheitert sei und hält mir erneut seine Brille hin. Ich möchte sie immer noch nicht aufsetzen und lese in seinen Augen so etwas wie den tiefen Wunsch nach Veränderung, wie auch immer diese aussehen mag. Raus aus dem Staub, raus aus der Geschichte und möglicherweise ein neues Leben an einem anderen Ort.
Als er mich vor einer halben Stunde begrüßte, wirkte er interessiert und aufgeschlossen. Nun steht er mir niedergeschlagen und mit hängenden Schultern im Staub der Vergangenheit seines Volkes gegenüber. Ich verabschiede mich von Ihm mit einem kurzen Dank für den Einblick den er mir in seine Geschichte gab und stelle mir die Frage, wie oft Ihm schon jemand wie ich auf diesem Hügel entgegen gekommen ist. Wie oft schon, sich der Kreislauf seiner Geschichten wiederholt hat und ob es bis an sein Ende so bleiben wird oder man Ihn irgendwann in den Straßen von Rapid City suchen muss, um seine Geschichten zu hören.
Auf dem Weg nach Sioux Falls muss ich kurz anhalten, weil die Straße wegen Bauarbeiten nur einseitig befahrbar ist. Während ich darauf warte, das der Verkehr für meine Spur freigegeben wird, klopft die Frau, die den Verkehrsfluss regelt an meine Seitenscheibe, zieht so etwas wie eine 3D Brille aus der Tasche. Wie es mir geht, will sie wissen und ob ich ihre Brille benutzen möchte.
Ich frage mich inzwischen ob die Sioux etwas planen, bei dem diese Brillen eine Rolle spielen könnten, kann das Rätsel aber erst am Abend mit Hilfe des Präsidenten lösen, der wie es in den Nachrichten heißt, versucht hat die Sonnenfinsternis ohne Schutzbrille zu betrachten…
Indianerland II
Peter Su Markus