20171003 Mitgefühl 7Das mit dem Mitgefühl ist eine merkwürdige Sache. Seit ich mich auf meinem Weg befinde, bin ich von einer wahren Flut an Mitgefühl umgeben. Ganz zu Beginn setzte der Regen weite Teile von Texas unter Wasser, dann hat es die Menschen in Florida erwischt. Puerto Rico, wurde ebenfalls vom Sturm gebeutelt und nun das Morden in Las Vegas und immer setzt eine Flut an Mitgefühl ein. Die Menschen lassen einer fast schon hysterisch anmutenden Anteilnahme freien Lauf und setzen einen durchaus beeindruckenden Geld- und Unterstützungsfluss in Gang.

Beim Einkaufen in Los Angeles werde ich gebeten, etwas für die Opfer in Las Vegas zu geben. Beim Einkaufen in Oakland werde ich gefragt, ob ich etwas für die Opfer in Texas tun möchte und in New York spricht man mich auf der Straße an, doch etwas für die Opfer in Florida zu geben. Alles in allem eine gute Sache und doch  stellt sich mir die Frage, wo das Mitgefühl, wo die Anteilnahme für die schreiende Frau bleibt, die ich in meinem letzten Beitrag erwähnte.

Warum das Mitgefühl den Opfern von Las Vegas gilt, während die Fernseher lauter gedreht werden, wenn es in einem, ein paar Schritte entferntem Zimmer ebenfalls gewalttätig zur Sache geht. Als die Frau anfängt zu schreien, läuft im Fernsehen  gerade die lange Rocky Balboa Nacht und Rocky bekommt gerade im ersten Kampf gegen Mr. T gezeigt wo der Frosch die Locken hat. Das Geschrei der Frau ordne ich zunächst dem Film zu und als ich merke, dass es nicht so ist und den Ton leiser stelle, stelle ich fest, dass die Lautstärke in den anderen Zimmern hochgefahren wird.

Das Schreien wird schwächer und ich höre wie die Frau weinend an meinem Zimmer vorbei läuft. Ich liege bereits im Bett und bis ich wieder in den Klamotten stecke, dauert es eine Weile. Als ich auf den Gang vor meinem Zimmer trete, ist es dunkel und ruhig und bis auf den Schwarzen, der mich von anderen Ende des Gangs aus abschätzend mustert, bin ich der einzige, dessen Mitgefühl für die Frau sich in dem Schritt auf den Gang äußert.

Der Schwarze ruft mir zu ich solle meine verfickte Nase nicht in die verfickten Angelegenheiten andere Leute stecken, meinen verfickten Arsch in mein verficktes Zimmer bewegen und mich um meinen eigenen verfickten Kram kümmern.

Um Ihm zu signalisieren, dass ich kein Mitglied seiner Community bin, rufe ich Ihm auf Deutsch zu, das ich mich ebenfalls freue Ihn kennen zu lernen. Dabei halte ich den Klang meiner Stimme freundlich und winke Ihm zu. Er macht einen Schritt auf mich zu und ich sichere meinen Stand. Er zögert, geht dann in sein Zimmer und lässt die Türe ohne ein weiteres Wort krachend ins Schloss fallen.

Auf dem Gang herrscht nun absolute Stille. Die Lautstärke der Fernseher in den angrenzenden Zimmern wird auf ein normales Maß zurück gestellt und von der Frau ist nichts mehr zu hören oder zu sehen. So wie sie geschrien hat, gehe ich davon aus, dass in wenigen Minuten die Polizei anrücken wird, doch auch das wird nicht geschehen. Auf dem Gang stehend, frage ich mich ob dies die dunkle Seite der USA sein könnte.

Man hat mir bereits in einigen Gesprächen dazu geraten, mich möglichst auf die eigenen Dinge zu konzentrieren. Wenn du keinen Ärger mit den Schwarzen haben willst, solltest du ihnen aus den Weg gehen. Wenn du keinen Ärger mit den Mexikanern haben willst, solltest du den Kontakt zu ihnen meiden. Du willst alleine nach Mexico fahren, dann lass dir gesagt sein, das vor allem Tijuana nichts von Mexico hat und jeder auf der anderen Seite der Grenze nur darauf wartet, das du dort auf dich allein gestellt durch die Gegend läufst.

Im Falle eines Konfliktes, kannst du davon ausgehen, dass dir dort niemand helfen wird. Dessen bin ich mir nun in der Dunkelheit des Ganges vor meinem Zimmer sicher. Trotzdem stehe ich am nächsten Tag an der mexikanischen Grenze. Am Ende hindert mich nicht die Aussicht darauf überfallen zu werden daran die  Grenze zu überschreiten, sondern die Tatsache, dass ich mich dazu in der prallen Sonne in eine lange Schlange stellen müsste, für den Grenzübertritt von den Mexikanern eine Gebühr erhoben wird und die Grenze selbst von einer riesigen Drehtür markiert wird, die mich stark an den Eingang zum Duisburger Zoo erinnert, wie ich ihn aus meiner Kindheit kenne.

Am Abend gibt es dann im Fernsehen wieder eine ordentliche Packung Mitgefühl. Wie Stolz doch alle darauf sein können, in einer Community zu leben, in der man sich in grenzenloser Hilfsbereitschaft zur Seite steht, wenn sich der Hilfsbedürftige in sicherer Entfernung und nicht gerade im Nebenzimmer befindet.

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