Es heißt, dass die Zeit im Alter schneller vergeht. Dass es sich dabei lediglich um eine gefühlte Wahrnehmung handelt, zu der jeder seine eigene Meinung hat dürfte klar sein. Bei meinen bisherigen Reisen durch die USA hat es immer ein klares Ziel gegeben und der Zeitrahmen beschränkte sich dabei auf drei bis vier Wochen, die, wie sollte es anders sein meist wie im Flug vergingen.
Es gab Interessen, es gab Vorgaben und es gab klare Ziele. Und weil ich auf diesen Reisen nicht alleine unterwegs war, gab es ein, zwei weitere Interessenstränge, die verfolgt werden wollten und damit einen Einfluss auf die Zeit nahmen.
Nun bin ich bereits seit über zwei Monaten im Land. Vieles von dem, was mich auf den vergangenen Reisen in seinen Bann gezogen hat, spielt für mich auf dieser Reise keine Rolle mehr. Das Interesse an der indianischen Kultur, hat inzwischen deutlich nachgelassen. Wenn eine amerikanische Kampfsportschule am Rande meines Weges liegt, bleibe ich gerne am Fenster stehen, um den Kindern und Jugendlichen bei ihren Übungen zuzusehen. An einem Kontakt zu den Lehrern, mit denen ich mich in der Vergangenheit gerne ausgetauscht hätte, fehlt mir heute jedes Interesse.
Und auch die amerikanische Taikoszene, zu deren Lehrern ich auf den vergangenen Reisen eine Verbindung gesucht habe, spielt auf dieser Reise keine Rolle mehr. Wenn ich darüber nachdenken, was sich an mir und meinem Interesse geändert hat, stelle ich fest, das sich bei all den Wegen und Zielen, die ich in der Vergangenheit beschritten und verfolgt habe, vor allem um imaginäre Ziele gehandelt hat.
Um die Erlangung von Wissen, das möglicherweise vorhanden, aber nie direkt greifbar gewesen ist. Etwas, das man sich über den langen Weg der Übung erschließen musste. Etwas das einen Weg mit Inhalt füllt, der Fantasie eine Grundlage bietet und gleichzeitig das Ziel in sicherer Ferne hält. Immer direkt vor Augen und doch kaum zu erreichen.
Wie viel einfacher ist es, einfach nur zu schauen und dabei festzustellen, wie sensibel die Menschen auf den Schauenden reagieren. Wie seltsam und doch angenehm es sich anfühlt, durch all diese bunten Angebotswelten zu streifen und als Umherstreifendender und nicht als potenzieller Kunde wahrgenommen zu werden. Nur die wirklich dummen, unter den Krämerseelen halten mir noch ihren in China gefertigten Handwerksmüll hin. Die Bauernschlauen haben längst erkannt, dass mit mir kein Geschäft mehr zu machen ist.
Selbst das chinesische Mönchlein, das in den großen Metropolen den Touristen seine Holzperlenarmbänder überstreift, um danach eine Spende einzufordern, geht mir aus dem Weg. Die Erkenntnis, dass unter bestimmten Bedingungen doch noch so etwas wie Sensibilität existiert, bereitet mir Freude. Die Tatsache, dass sich diese Sensibilität vor allem bei den Bauernschlauen zeigt, mag jetzt nicht so positiv scheinen und doch ist es ein Anfang, der mir zeigt, dass ein Mensch durchaus in der Lage ist, allein durch die Sensibilität in der Erfahrung zu erkennen, wann sich ein Aufwand lohnt und wann er sinnlos scheint.
Eine perfekte Form des Haltens und Loslassens.
Das Schließen der Kreise
Peter Su Markus