17. Swap Meet School Bar Atelier
Text und Fotos: Peter Su MarkusWir schreiben das Jahr 2014 n. Chr. Die Welt der Custom Schrauber befindet sich im Griff der Custom Industrie und Zulieferer ... ! Die ganze Welt der Custom Schrauber? Nein! Ein von unbeugsamen Schraubern bevölkertes Dorf im Department Lorraine im Nordosten Frankreichs, hört nicht auf, den Zwängen eines vordiktierten Kommerzes erbitterten Widerstand zu leisten.
Würde man einen Comic über die, unter der Leitung von Jean Claude Passetemps in dem kleinen verschlafenen Ort Mecrin 47 Km von Verdun jeweils am ersten Sonntag im Mai veranstaltete Swap Meet zeichnen und hätte man sie nicht bereits an anderer Stelle genutzt, könnte man ihn mit diesen Sätzen beginnen und damit die Protagonisten kaum treffender einführen.
Obwohl das Treffen mit seinen 17 Zählern inzwischen deutlich in die Jahre gekommen ist, scheint es sich nach wie vor um einen Geheimtipp unter Freunden der alten Schule zu handeln und es beschleicht mich angesichts der sich über die Jahre kaum verändernden Kulisse und Atmosphäre des Treffens, das Gefühl in eine Zeit einzutreten, die in Mecrin zum Stillstand gekommen scheint.
Zwar haben Händler preislich überteuerter, Chrom glänzender, sinn- und zweckfreier Zubehörteile in der vergangenen Jahren immer wieder Versuche unternommen, das Interesse der anwesenden Bikerschaft zu wecken, doch mussten sie allesamt am Ende ernüchtert feststellen, dass all ihre Bemühungen von vornherein zum scheitern verurteilt waren, weil das Interesse für diesen Zweig des Custom Marktes an diesem Ort auf sonderbare Weise nicht zu existieren scheint.
Entgegen der offiziellen Ankündigung beginnt das sonntägliche Treffen mit dem Eintreffen erster Bikergruppen und dem gewissenhaften Abstecken der Claims bereits am frühen Samstagnachmittag. Die große Wiese, die direkt am Ortseingangsschild als offizieller Campingplatz ausgewiesen ist und vor allem von Gruppen angesteuert wird, die noch nicht so lange dabei sind, wird von den Alteingesessenen selbstredend keines Blickes gewürdigt. Wer das Treffen seit seinen Anfängen anfährt, pocht auf das ihm, in den ersten Jahren zugesprochene Recht, sein Zelt direkt auf die Grünstreifen um die Dorfkirche oder auf die kleinen Rasenflächen der Häuser zu pflanzen, die den Kern des Dorfes bilden.
So entsteht im Laufe des Nachmittags ein Dorf im Dorf, in dem bereits kurz nach der Ankunft das Fleisch auf dem Grill brutzelnd seine Farbe wechselt und in fröhlicher Runde dem Genuss des Gerstensaft zugesprochen wird. Dazwischen schwingt man sich immer mal wieder auf den Bock, um eine Runde durch das, an Straßen überschaubare Dorf zu drehen, um zu sehen wer von den alten Bekannten auch in diesem Jahr den Abzweig nach Mecrin genommen hat.
Gegen 17:00 Uhr lädt Jean Claude Passetemps der Tradition entsprechend zur kleinen Ausfahrt in die nähere Umgebung, in der es außer Felder und einem entspannten Abspulen ruhiger Landstraßenkilometer so gut wie nichts gibt und damit genau dem entspricht, wonach sich die meisten hier sehnen.
Das Angebot nicht wahrgenommen zu haben, bedeutet hier für niemanden ein Beinbruch. Wer es verpasst hat, nicht mitfahren konnte oder wollte, findet sich auf der zentralen Kreuzung des Dorfes ein, um sich mit Gleichgesinnten in erste Benzingespräche zu vertiefen oder sich an den abgestellten Bikes und dem Leben auf zwei Rädern zu erfreuen. Dieses Lebensgefühl unterstreichend, werden mit durchdrehenden Reifen noch kurz ein paar Donuts in den Asphalt gebrannt, bevor man sich dann entspannt wieder dem Grillgut und dem Gerstensaft zuwendet.
Der sonntägliche Teilemarkt gilt als eröffnet, sobald sich der morgendliche Nebel, der einem zu dieser Jahreszeit noch empfindlich klamm und kalt in die Glieder fahren kann, gelichtet hat. Während in den Zelten die einen nach durchzechter Nacht noch mühsam ihre Knochen sortieren, schleppen die frühen Vögel unter den Sammlern und Jägern begehrter Motorradteile bereits erste Beutestücke in Richtung Lager.
Bedauerlicher Weise hatte am Vorabend einer der Biker Nüchtern City mit dem Alkohol Express Richtung Koma verlassen und damit sein Herz an die Grenze seiner Leistungs- beziehungsweise Leidensfähigkeit geführt. Das mit der mit der Entdeckung seiner sterblichen Überreste die Gendarmerie der gesamten Region in Alarmbereitschaft versetzt wird, nimmt man vor Ort mit einem schlichten Schulterzucken zur Kenntnis.
Der eine oder andere wird in seiner Ratlosigkeit tatsächlich der Überzeugung sein, das man keinen Alkohol trinken sollte, wenn man keinen verträgt, doch für einen Menschen wie mich, der den neuen Tag ausgeschlafen und frei von Restalkohol begrüßte, entwickelt sich das Ganze zu einer sonderbar skurrilen Atmosphäre. Während sich die Spurensucher der Gendarmerie am Fundort, einer Scheune am Ende des Marktes, auf die Suche nach Spuren begeben, um entsprechende Schlüsse ziehen zu können, suchen Biker einen Steinwurf von der Scheune entfernt nach brauchbaren Teilen für das bereits bestehende oder kommende Projekt. Da man mit dem Geschehen in der Scheune nichts zu tun hat, zeigte man auch an möglichen Erkenntnissen kaum ein Interesse.
Was in Deutschland nicht nur zu einem Menschenauflauf und vor sich hin spekulierender Gaffergruppen geführt, sondern auch den gesamten weiteren Verlauf der Veranstaltung in Frage gestellt hätte, scheint an diesem Ort kaum jemanden zu interessieren. Eine Lebenseinstellung die mich in ihrer an den Tag gelegten Ignoranz gegenüber des Ereignisses auf der einen Seite abstößt und mich auf der anderen Seite mit ihrer ausschließlichen Konzentration auf die eigenen Dinge fasziniert.
So trete ich mit meiner eigenen Beute, einem Paar für kleines Geld erstandenen Showa Gasdruckstoßdämpfer, zunächst ein wenig ratlos auf der Stelle und versuche mir einen Reim auf das Ganze zu machen. Dass man dem Einschlag des Todes in den eigenen Reihen hier so gelassen gegenüber steht, erkläre ich mir schließlich mit der großen Zahl anwesender MC Mitglieder auf der einen und des inzwischen immens großen Aufgebots der Gendarmerie auf der anderen Seite.
Auf beiden Seiten wird man seine Erfahrungen mit der jeweils anderen Seite gesammelt haben und so hält man sich vermutlich in jeder Richtung so bedeckt, das man bereits einige Schritte vom Ort des Geschehens entfernt keinerlei Notiz mehr voneinander zu nehmen scheint und so wende auch ich mich am Ende meiner Gedankenkette wieder dem ursprünglichen Grund meiner Anwesenheit zu.
Die Betrachtung von Bikes der alten Schule und meiner damit verbundenen Gedanken zur Kreativität ihrer Erbauer, die sich vor allem durch ideenreiche, wenn auch nicht immer verkehrssicher scheinenden Problemlösungen abseits des Mainstreams auszeichnet. Die von mir, für mein eigenes Projekt erworbenen Stoßdämpfer sicher verstaut, begebe ich mich mit der Kamera erneut auf die Suche und meide dabei mehr oder weniger bewusst die Nähe der Scheune, in der sich die folgende Ermittlungsarbeit im Laufe des Tages eher wie eine zeitgleich durchgeführte Übung der Gendarmerie gestaltet.
Dabei hätten die eintreffenden Biker mit ihren fahrbaren Untersätzen unter anderen Umständen mit Sicherheit zu einem regen Interesse der Ordnungskräfte geführt. Denn was man über die Summe dieser Fahrzeuge mit Bestimmtheit sagen konnte, war das es ihnen in aller Deutlichkeit an Sicherheit mangelte, sie damit unter Garantie ein hohes Maß an Spaß versprachen, jedoch ebenso sicher nicht den Bestimmungen einer vermutlich auch in Frankreich existierenden Zulassungsordnung entsprachen.
Die Basis dieser Bikes wurde vor allem von Motoren der Shovel-, Pan- und Knucklehead Ära angetrieben. Viele davon mit Springergabeln ausgerüstet, von denen einige inzwischen jedoch kaum noch eine erkennbare Verbindung zum Original aufwiesen. Man hatte sie gereckt, gestreckt, sie deutlich breiter oder extrem schmal gestaltet, um ihnen einen ganz eigenen Charakter einzuhauchen.
Dass man dabei, diesem Charakter entsprechend im Frontbereich auf eine Bremse verzichtete, versteht sich hier natürlich von selbst. Zeichneten sich die Vorderräder in ihrer besonderen Ausdruckskraft doch vor allem durch den Einsatz so genannter Garnrollennaben aus, deren Stil sicherer Auftritt selbstverständlich nicht durch ein von Sicherheitsdenken geprägtes Verbauen einer funktionstüchtigen Bremse zunichte gemacht werden durfte.
Will man sich dem Kommerz in all seinen Facetten widersetzen, dann lautet die oberste Direktive Eigenbau und zwar in allen denkbaren Bereichen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Was unter der pflichtgemäßen Erfüllung dieser Direktive zu verstehen ist, wird dem Betrachter in Mercin mit herzerfrischender Gelassenheit in ununterbrochener Folge vor die Linse der Kamera gerollt und es gibt im Bereich des Eigenbaus ganz sicher nichts, wovor man hier zurückschrecken würde.
Alles was aus eigener Kraft rollt, wird einer simplen Logik folgend auch als fahrbar betrachtet und sollte es in Frankreich so etwas wie einen TÜV geben, dann geht es an diesem Ort nicht darum dessen Regeln zu widersprechen, sondern darum sie nachhaltig außer Kraft zu setzen.
Als ich Mecrin am Sonntagnachmittag zufrieden und inspiriert den Rücken kehre, trage ich das Gefühl in mir, wieder einmal Teil einer Aufführung gewesen zu sein. Einem kleinen Stück aus dem großen Theater des Lebens, das mich mit all seinen wandlungsfähigen Facetten immer wieder geradezu magisch anzieht und mich mit all seinen ihm innewohnenden Zweifeln doch auch immer wieder auf Distanz hält.
Wenn es so sein soll, werde ich im nächsten oder übernächsten Jahr wieder dem Abzweig nach Mecirn folgen, um mich für einige Stunden durch die Zeit der alten Schule treiben zu lassen. Um in Gesichtern zu lesen, Gedanken und Eindrücke zu sammeln und mit der Kamera Bilder einer Kultur zu zeichnen, die mir Einblicke gewährt, ohne selbst Fragen oder Forderungen zu stellen und es mir erlaubt mich leise zu entfernen, wenn mir die Zeit dazu gekommen scheint.