Hot Rod Hayride 12
„Du kannst dein Auto überall abstellen! Außer an den Stellen an denen Geschossen wird!“
Text und Fotos: Peter Su MarkusFür das Wochenende 27. - 29. Juli lautet mein Ziel Bisley Camp in Brookwood, England.
Zugegeben, nicht gerade um die Ecke gelegen, doch was von mir im Vorfeld zum Ziel meiner Fahrt auf die Kanalinsel in Erfahrung zu bringen war, genügte um mein Interesse zu wecken. Seit gut einem Jahr liegt der Flyer zur diesjährigen Veranstaltung nun schon auf meinem Schreibtisch. Ein aufwendig gestaltetes Fallblatt im Stil der 60ger Jahre, das auf acht Seiten mit Bildern und Infos lockt. Die Summe derjenigen, mit denen ich in den vergangenen Monaten auf ähnlichen Treffen über das Hot Rod Hayride spreche, äußert sich beeindruckt. Doch obwohl sich viele kundig geben, treffe ich niemanden der tatsächlich dabei war. Dementsprechend wird das Treffen also ausschließlich aus zweiter Hand, von jemanden der jemanden kennt, der bereits dort gewesen sein soll, als eine Veranstaltung mit einzigartigem Flair gepriesen und angesichts des, vom Veranstalter aufgerufenen Eintrittspreises, muss das wohl auch so sein. 59 britische Pfund, für den Besuch eines Hot Rod Treffens? Dies scheint mir eine Summe, für die man durchaus einiges erwarten darf. Entsprechend gespannt mache ich mich also auf den Weg.
Nach dem Zirkus, den die Briten im Rahmen ihrer EU Mitgliedschaft regelmäßig veranstalten, um den Rest Europas wie die letzten Deppen dastehen zu lassen, muss ich gestehen, das ich dem Inselvolk zunächst mit vorbehalten gegenüberstehe. Ein Volk, mit Neigung zu deutlichen Eigenheiten und einem Hang zu ausdrucksstarker Persönlichkeit? Ein Volk, das seine Besucher verkehrstechnisch auf die andere Seite zwingt und dem Euro als Zahlungsmittel nur so weit traut, wie ihn ein neugeborener Brite werfen kann? Ein Volk, mit Drang zu merkwürdigem Bier, noch merkwürdigeren Würstchen und einem offenen Bekenntnis gegenüber allem Traditionellen, das uns Deutsche angesichts unserer geschichtlichen Vergangenheit bis ins Mark erzittern lässt? Ein Volk, das in kollektiver Verbundenheit auf EU Kennzeichen pfeift und stattdessen lieber mit einem fetten GB Aufkleber auf dem Heck auf seine Herkunft verweißt? Was soll man als ein, von seiner Kanzlerin in das europäische Gedankengut geknechteter von einem solchen Volk halten?
Bereits nach dem dritten, vierten Verteilerkreis den ich im Sog britischer Andersartigkeit in der für mich falschen Richtung meistere und von denen noch unzählige vor mir liegen, merke ich wie meine Vorbehalte gegenüber der Insel und seiner Bewohner schwinden und sich in Richtung einer zunächst noch diffus empfundenen Sympathie entwickeln. Im Zuge dieser Entwicklung beschleicht mich ein Gefühl, das ich in den vergangenen Jahren eher selten empfunden habe.
„Es fühlt sich richtig und es fühlt sich gut an hier zu sein!“
Autobahnen sind auf der Insel eher selten und häufig wartet hinter der nächsten Ausfahrt etwas auf den verdutzten Resteuropäer, das man in den meisten westeuropäischen Ländern wohl eher unter der Kategorie - Dorfstraße mit starker Tendenz zum Feldweg - einordnet.
Das bedeutet, dass es eng wird. Sehr eng! Dies wiederum bedeutet, dass man sich möglichst schnell an die auf der Insel herrschenden Verhältnisse gewöhnen sollte. Es bedeutet auch, dass es ratsam ist, schnell eine Stoßstange zu finden, an die man sich hängen kann, um alles zu lernen, was man für das Überleben auf britischen Straßen benötigt.
Da die Insel zumindest im Süden zu einem großen Teil aus Landschaft im Stil einer Rosamunde Pilcher zu bestehen scheint, verläuft die Fahrt nach Brookwood beschaulich und ohne große Vorkommnisse. Schon weit vor dem Ziel erleichtert die zunehmende Dichte an Hot Rods und Choppern das auffinden des Veranstaltungsortes. Bei der Einfahrt auf das Veranstaltungsgelände stellt sich allerdings die drängende Frage, warum hier so viele Briten mit halbautomatischen Waffen herumstehen.
Die zunächst wichtigere Frage nach einem Parkplatz beantwortet einer der Ordner mit einem Hinweis auf das Zelt der „Reception“. Dort zeigt man sich erfreut über den Besuch aus Germany und nach einer ersten Einweisung in das Programm des Wochenendes erfahre ich, dass man sein Fahrzeug mit Ausnahme der Bereiche an denen geschossen wird, eigentlich überall abstellen kann. Das Fragezeichen in meinem Kopf dehnt sich weiter aus, zumal nun im Hintergrund zunehmend Schüsse aus großkalibrigen Waffen zu hören sind.
Entsprechend irritiert reihe ich mich in Demut mit meinem Golf III in den steten Fluss der Hot Rods ein und folge ihnen direkt ins Zentrum des Geschehens. Ein Zentrum, das aus einer bunten Ansammlung von Gebäuden besteht, die zu großen Teilen aus Holz gebaut, wie aus einer längst vergangenen Zeit eine unglaubliche Kulisse für das Hot Rod Hayride bilden und direkt der kolonialen Geschichte britischer Vergangenheit entsprungen scheinen.
„London Rifel Club“, ein schlichtes Schild über dem Eingang eines der Gebäude, bringt das Fragezeichen in meinem Kopf endlich zum platzen und schafft Platz für neues. Allmählich dämmert es mir, das es sich bei dem gesamten Gelände um eine riesige Schießanlage handelt, die offensichtlich von unterschiedlichen Gruppen, Vereinen und Clubs genutzt wird. Das die Straßen dazwischen und auch die meisten der zentralen Gebäude an diesem Wochenende im Zeichen der Hot Rods und ihrer Besitzer stehen, scheint weder die Rodder noch die Schützen zu stören.
Doch während sich kaum eine Rodder für die schießenden Schützen interessiert, nutzen einige der Schützen, darunter ganze Einheiten der britischen Ordnungsmacht, die Gelegenheit sich auf ihrem Weg zum Schießübungsplatz von den Hot Rods der Rodder zu einer kurzen Reise in die Vergangenheit inspirieren zu lassen.
Das die Briten die Fahne der Tradition in vielen Bereichen wie in kaum einem anderen europäischen Land hochhalten, weiß man nicht erst seit dem Asterix und Obelix die Briten besuchten. Doch das Flair des Alten, das dieses Treffen begleitet und verbreitet, wird meiner Meinung nach von kaum einer anderen europäischen Hot Rod Veranstaltung geboten und es ist kaum zu glauben, das die Veranstaltung in diesem Jahr erst in die achte Runde geht. Für alle die Hot Rods in einer dem Hot Rodding entsprechenden Atmosphäre erleben wollen, dürfte das Hot Rod Hayride nach der ersten Begegnung so etwas wie das Mekka der europäischen Hot Rod Szene darstellen. Zumal der durchaus als horrend zu bezeichnende Eintrittspreis auf der einen Seite eine hohe Dichte an Kernmitgliedern der britischen Hot Rod Szene garantiert und auf der anderen Seite den von anderen Treffen gewohnt hohen Anteil des Tagespublikums gleichzeitig auf ein Minimum reduziert.
Das Zentrum des Geschehens wird vom Gebäudekomplex des Bisley Pavilions markiert und ist den traditionellen Hot Rods pre´66 und Old School Choppern und Bobbern pre´69 vorbehalten. Eine Regelung, die dem Betrachter ein lebendiges, sich beständig wandelndes Bild motorisierter Geschichte präsentiert. Mit einem Pott Kaffee in der Hand auf einer Bank gegenüber dem Hauptgebäude sitzend, habe ich schon nach kurzer Zeit das Gefühl aus der Gegenwart direkt in den amerikanischen Süden der 50/60ger Jahre des vergangenen Jahrhunderts versetzt worden zu sein.
Über das hier gelebte Hot Rodding hinaus, gibt es an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt nichts was in irgendeiner Form von Bedeutung scheint. Wer nach der Leichtigkeit des Lebens sucht, findet sie an diesem Ort. Wer nicht danach sucht, bekommt sie trotzdem.
Eine Bank an einem ruhigen Plätzchen, ein steter Fluss vorüber ziehender Hot Rods, Menschen denen das Hot Rodding in der Seele geschrieben steht, gutes Essen und Trinken, Musik die in die Zeit passt und aus dem Pavilion herüber schallt und im Hintergrund das Knallen großkalibriger Waffen. Was könnte es mehr geben, was sollte man mehr wollen?
Nun, das es da sehr wohl noch etwas gibt, wird dem Besucher des Hot Rod Hayrides über das umfangreiche Programm vermittelt. Und damit niemand etwas von Bedeutung verpasst, bekommt jeder an der Reception ein kleines, alles wichtige umfassende „Handbook“ in die Hand gedrückt, das mit dem Hinweis „Your Glovebox Survival Guide“ versehen ist und sicher stellen soll, das später niemand sagen kann, er hätte von nichts gewusst.
Pünktlich um 20:00 Uhr beginnt am Freitag- und Samstagabend die musikalische Bespaßung in den heiligen Hallen des Bisley Pavilions, die sich ganz im Zeichen des Hillbilly an beiden Abenden bis 2:00 Uhr in der Nacht erstreckt und in der Samstagnacht ihren Höhepunkt in einer Burlesque Show findet.
Diejenigen, die dieses Angebot nicht nutzen wollen, können sich die Zeit in einer der spätabendlich gebotenen „Circus Freak Shows“ vertreiben, einen Blick in das Rund der legendären Wall of Death des „Demon Drome“ werfen, in dessen hölzernem Rund bereits seit 1927 der Schwerkraft getrotzt wird oder im Kreise von Freunden einfach ihre eigene Party feiern.
Wer den Freitag so hinter sich gebracht hat, folgt am Samstagvormittag dem Ruf des Detnators C.C. in die Wildnis und macht sich den Vorgaben des Handbooks entsprechend gegen 11:00 Uhr auf den Weg zum etwa fünf Meilen entfernten Hillclimb Gelände. Während es im vergangenen Jahr noch über die 1/8 Meile ging, sucht man in diesem Jahr sein Glück auf dem losen Schotter einer ansteigenden Waldpiste.
Ebenfalls auf einem Schießübungsplatz der britischen Verteidigungskräfte gelegen, rät der Veranstalter vor allem den männlichen Teilnehmern dazu, in dem als unwegsam beschriebenen Gelände auf High Heels zu verzichten und diese durch festes Schuhwerk zu ersetzen. Ansonsten ist die direkte Nähe zur Strecke nicht nur ohne Vorbehalt erlaubt, sondern ausdrücklich gewünscht.
Wer auf Absperrgitter, Zäune oder sonstige bürokratische Sicherungsmaßnahmen gehofft hat, die es zu überwinden gilt, um möglichst Dicht ans geschehen zu kommen, sah sich enttäuscht. Die Strecke, die von einem ansteigenden Waldweg mit scharfer Rechtskurve im letzten Drittel gebildet wird, ist lediglich mit einer Lage Flatterband gegen Zuschauer geschützt und an den Stellen, an denen das Band zu weit vom Rand der Strecke entfernt scheint, wird es vom Publikum kurzerhand um die ihm sinnvoll scheinende Entfernung zur Strecke hin versetzt.
Ein Vorgehen, das in Deutschland zum sofortigen Abbruch der Veranstaltung führen würde, kostet die Ordnungskräfte lediglich ein müdes A....runzeln. Hier genügt der schlichte Hinweis, dass ab sofort jeder für das Heil seiner Haut selbstverantwortlich ist. Ein Hinweis, der in Folge von allen mit einem Fuß auf der Piste stehenden, abgenickt und als durchaus ernst zu nehmen angenommen wird.
Wie angekündigt, rollen gegen Mittag die aktiven Teilnehmer des Rennes den Hang hinunter, um ihn kurze Zeit später im Renngang und mit mehr oder weniger Mut am Gas wieder hinauf zu donnern. Das der Hinweis für das Heil der eigenen Haut selbst verantwortlich zu sein seine Berechtigung hat, wird kurz durch einen, auf halber Strecke Richtung Zuschauer schlingernden Ford Pick Up unterstrichen und veranlasst den einen oder anderen im Zuge seiner Eigenverantwortlichkeit zu einem beherzten Sprung in die Büsche. Alles in allem kommt am Ende jede Haut heil über die Strecke und nach zwei Stunden Spaß am Hang tritt man zufrieden und geordnet den Rückzug an.
Am Bisley Pavilion warten neben der Bank mit Panoramablick, fette Hamburger und guter kräftiger Kaffee zu zivilen Preisen auf ihren Verzehr und so gibt es im Herzen Englands nichts, das einem Ausklang des Tages im Zeichen amerikanischer Kultur den Weg verstellen könnte.
Auch wenn das Programm der vergangenen zwei Tage deutliche Spuren in die morgendlichen Gesichter zeichnet, steht für den Sonntag neben einem, das Wochenende abschließenden Seifenkistenrennen ein Besuch des, ausdrücklich ohne Beteiligung professioneller Händler, abgehaltenen Trödel- und Teilemarkts auf dem Plan. Parallel dazu lassen dunkle Wolken über dem Gelände zunehmend mit Regen drohend ihre Muskeln spielen.
Wer etwas findet, nach dem er immer schon gesucht hat oder etwas gebrauchen kann, nach dem er noch nie gesucht hat, greift auf dem Markt noch kurz ein paar Teile ab und sieht zu das er seine Brocken anschließend noch halbwegs trocken zusammenbekommt. Dann zieht der einsetzende Regen einen Schlussstrich unter ein mehr als Phänomenal zu nennendes Wochenende.
Während sich die, die vorausschauend gepackt haben, bereits verabschieden, nehmen es diejenigen, die ihre Heringe immer noch im Boden haben mit ruhiger Gelassenheit. Recht haben sie! Warum auch, sollte man des Regens wegen ein Wochenende das so ruhig, friedlich und überaus inspirierend ins Land gegangen ist in Hektik beenden?
Da ich meine Erinnerungen an die vergangenen Tage im trocknen weiß, fällt es mir leicht diese Ruhe aufzunehmen und zu teilen. Bevor die an diesem Ort gewonnenen Gedanken, Eindrücke und Erfahrungen im Fluss des Lebens dem Tagesgeschäft der Gegenwart weichen, bedanke ich mich mit einer tiefen Verbeugung für das einmalige Geschenk, dieses Wochenende an diesem Ort verbracht zu haben und verabschiede mich in der Gewissheit, dass er mich bei einer der hoffentlich kommenden Auflagen des Hot Rod Hayride im Bisley Camp in Brookwood, England wieder sieht.