Ein Fahrbericht
Frisch getestete Fahrzeuge werden gern mit anderen verglichen. Leistung, Fahrwerk, Bremsen, Preis stehen dabei im Vordergrund. Vergleiche sind der Tatsache geschuldet, dass Menschen Differenzwahrnehmer sind. So können wir weiße Schrift auf weißem Papier deshalb nicht sehen, weil die Differenzen fehlen.Es ist dennoch durchaus möglich, einen Fahrbericht anders zu gestalten. Ich frage mich vor allem, ob das Fahrzeug das kann, wofür es gebaut wurde. Die modernen Motorräder, die auf alt machen, werden primär dazu gebaut, verkauft zu werden. Das war es. Das machen sie gut. Bei Royal Enfield hingegen macht man nicht auf Retro, sondern ist auf dem präsentierten Stand der Technik gerade erst angekommen. Die größtenteils in Asien vertriebenen Fahrzeuge, werden vor allem für den Gebrauch gebaut. Dort sind Motorräder noch richtige Fortbewegungsmittel, die Hitze, Kälte, Staub, schlechte Straßen und hohe Zuladung verkraften müssen. Die paar nach Europa gelieferten Modelle sind lediglich ein Vorgang der Imagepflege. Die Inder sind stolz, dass ihre Fahrzeuge auch in der als fortschrittlich wahrgenommenen westlichen Welt gefahren werden. Finanziell gesehen, ist unser Markt für derart große Konzerne bedeutungslos geworden. Von den vielen jährlich hunderttausenden gefertigten Fahrzeugen, landen ein paar tausend bei uns.
Scrambler sind Vorläufer von Enduros. In den 50er Jahren schraubten sich wilde Jungs hohe Auspufftöpfe an Straßenmaschinen und zogen grobstollige Reifen auf. Fertig. Eventuell noch das Schutzblech höher, der Sitz tiefer. Ziel war die Fahrt über die schlechten Straßen und Pisten der Nachkriegsjahre. Die Sache mit den Feldwegen, Pisten und schlechten Straßen meistert die Himalayan gut. Mit 25 PS ganz ohne Fahrmodi auskommend, brettert das Fahrzeug problemlos über Stock und Stein. Die 100er bzw. 120er Enduro-Reifen aus dem Hause Ceat bieten ausreichend Grip im trockenen Gelände und dämpfen ein wenig die Fahrt auf den lochfreudigen Straßen Nordrhein-Westfalens, bis hin zum Kopfsteinpflaster. Die hydraulische 41mm Teleskopgabel spricht gut an, die 180 hinten, 190 vorn Milimeter Federweg verrichten bei den moderaten Geschwindigkeiten die geplante Arbeit. Mit 220 Millimeter Bodenfreiheit kann so manches Schlagloch durchquert und Bordsteine problemlos bestiegen werden. Wendigkeit und leichtes Handling sind dank der schmalen Reifen und dem breiten Lenker eine außerordentliche Qualität. Der 19 Zoll Reifen vorn lenkt leicht ein, die Fuhre ist auch bei Vollgas um 120 km/h spurstabil und ohne Wackeln unterwegs. Durch den langhubig ausgelegten Motor kann in hohen Gängen gecruist werden. Langhuber ist ein Begriff aus dem Verbrennungsmotorenbau und bezeichnet einen Motor, dessen Kolbenhub größer ist als die Zylinderbohrung, das Hubverhältnis ist dann größer als 1. Bei der Scram 78x86 mm. Ab 40 km/h im vierten Gang, ab 50 km/h im fünften Gang. Der Motor blubbert bei diesen Geschwindigkeiten mit einem angenehm warmen Klang entspannt vor sich hin und benötigt dabei etwa geringe 3,2 Liter E10 Benzin, die Reichweite bei vollem Tank beträgt stolze 450 Kilometer. In Sachen Beschleunigung passiert nichts Aufregendes, Mann oder Frau fahren unspektakulär los und gleiten entspannt durch Stadt und Flur. Hohe Drehzahlen und hastiges Beschleunigen sind nicht das Ding des gutmütigen Motors. 70-90 Stundenkilometer auf der Straße, 60 Stundenkilometer auf der Piste ideal. In der Stadt einen Parkplatz zu finden, kostet dank der schmalen Bauweise keine Freizeit. Das 185kg leichte Motorrad lässt sich leicht vor wie zurück schieben und von Hand einparken. Ein Fahrradständer reicht. Apropos Ständer. Nee, nicht was ihr denkt. Ich vermisse einen Hauptständer zum bequemen Schmieren der Antriebskette und für den einfachen Radwechsel. Die Einscheiben-Bremsen verzögern gut, benötigen einen beherzten Zugriff. Der Sitz ist gemütlich, zumindest haben 3 Stunden Landstraßenfahrt am Stück keine Spuren hinterlassen. Auf dem Soziussitz können Personen bis 170 Zentimeter entspannt mitreisen. Meine 180 Zentimeter passen gut in den Sattel, die Knie sind nicht zu stark angewinkelt. Der Motor springt gut an und blubbert akustisch behaglich im Standgas vor sich hin. Die Armaturen sind einfach gehalten, der Blinkerschalter etwas hakelig. Weitaus weniger hakelig ist das Getriebe. Keine Schaltprobleme. Es wird zügig nach oben geschaltet, bei 80 km/h ist man schon im fünften Gang. Einen Drehzahlmesser bietet das spartanische Cockpit nicht. Der Motor gebietet den Fahrzeuglenkern, zügig durchzuschalten. Der Halogen-Hauptscheinwerfer sitzt in einem schicken Cockpit, ist hell, die Blinker gut zu sehen. Lediglich das Rücklicht setzt auf LED-Technik. Ein Vorteil bei Fernreisen, da gibt es überall Ersatzleuchtmittel. Erwähnenswert ist auch das bis dato kostenlose Navigationssystem TbT, ausgeschrieben Turn by Turn. Im ersten Schritt wird die Navigationsapp von Royal Enfield auf ein Smartphone geladen. Standort, Mobile Daten und Bluetooth eingeschaltet. Dann wird die App geladen und unter Einstellungen mit dem TbT verbunden. Dazu wird ein Passwort eingegeben, das im Display der TbT Navigation einige Sekunden nach dem Anschalten erscheint. Bei jedem Start verbinden sich Smartphone und TbT Navigation in Zukunft automatisch. Navigiert wird mit Google-Maps. Einfach den Zielort eingeben und Pfeil für Pfeil, Abbiegung für Abbiegung wird das Ziel angesteuert. Wenn Mobile Daten in Tunneln abreißen, muss der Zielvorgang wiederholt werden. Ansonsten navigiert das Gerät problemlos. Die einzige Änderung, die die Scram benötigt sind Adapter für die Spiegel, sie zeigen ansonsten den nachfolgenden Verkehr nur bei nach rechts und links gebeugtem Oberkörper.
Fazit: Die Scram ist ein richtiges Motorrad für alle Tage, für Anfänger genauso wie für Fortgeschrittene. Ein perfektes Zweitmotorrad zur Entschleunigung oder für die Fahrt zum sonntäglichen Treff. Gern auch zu zweit. Ein Motorrad für die Stadt, Pisten und engste, holprige Landstraßen. Ich hatte 400 Kilometer lang Spaß am Fahren, benötigte dabei nicht mal eine vollständige Tankfüllung.
Probefahrten mit der Royal Enfield Himalayan Scram 411 können in der Royal Enfield World in Duisburg gemacht werden. http://royal-enfield-world.de