Bottrop Kustom Kulture 2011

Eine Veranstaltung zwischen Kustom Kulture und Hot Rod Zirkus

"Wären da nicht die Ungewaschenen und Halbgebildeten, die Sonderbaren und Unvollkommenen, die Unvernünftigen und Lächerlichen, die unzähligen Entwicklungsformen der wunderbaren menschlichen Kaulquappen, würde der Horizont uns längst nicht so breit angrinsen."  Frank Moore Colby

Text und Fotos: Peter Su Markus
Was man genau unter dem Begriff „Kustom Kulture“ versteht, wird sich von mir an dieser Stelle kaum klären lassen und als außen stehender Betrachter dieser Szene habe ich auch nicht den Anspruch dies zu tun.

Wer sich in der Welt umsieht, steht in der ständigen Gefahr dem einen oder anderen kulturellen Einfluss, dem er dort ausgesetzt ist zu erliegen und so habe ich mich bereits vor vielen Jahren in den USA mit dem Hot Rod Virus infiziert. Veranstaltungen wie die alljährlich im Juni stattfindende „Kustom Kulture“ betrachte ich als immer willkommene Möglichkeit die Auswirkungen dieses Virus abzumildern und zu kultivieren. Ich besuche sie nicht, um mich wie in einem Vergnügungspark bespaßen zu lassen. Vielmehr dient sie mir als Quelle der Inspiration und so stehe ich den Stimmungen, den Ereignissen und auch den lauten und leisen Stimmen denen ich dort begegne offen und interessiert gegenüber.

Das Fazit zu dem ich nach der diesjährigen Veranstaltung komme weist eine gewisse Konstante zu denen der Vorjahresveranstaltungen auf. Einiges könnte besser sein, vieles könnte aber auch deutlich schlechter sein. Die Crew um Michael Perrech, der die Veranstaltung 2004 ins Leben rief, hat sich auch in diesem Jahr wieder alle Mühe gegeben, dem Besucher die Möglichkeit zu bieten in die Welt der Kustom Kulture einzutauchen und unter Gleichgesinnten zwei entspannte Tage zu verbringen. Dass diese Crew in diesem Bemühen jedoch an der einen oder anderen Stelle an ihre Grenzen stößt und gerade in den Bereichen, in denen der freie Geist der Kustom Kulture auf die engen Regeln bundesdeutscher Bürokratie trifft, einfach überfordert ist, liegt in der Natur der Sache und so wird sich die alljährlich wiederholende und gerade durch unklare Ordneranweisungen angespannte Atmosphäre um das am Samstagnachmittag ausgetragene Rennen gerade aus Sicht der Zuschauer, die auf hohem Niveau unterhalten werden wollen, in der Summe wohl auch in Zukunft nicht entspannt gestalten lassen.

Doch sind es gerade diese Ecken und Kanten, die die Veranstaltung für mich als Besucher so interessant machen. Hot Rodding, so wie ich es in den USA kennen und schätzen gelernt habe,  bedeutet für mich in erster Linie Coolness. Eine Coolness, die sich vor allem durch Ruhe und entspannte Gelassenheit auszeichnet und zwar genau in den Augenblicken, in denen es einmal nicht so rund zu laufen scheint. Alles andere wäre nichts weiter als der oben genannte Hot Rod Zirkus und wird dem Kern der Sache damit nicht gerecht.

 Wer sich die Zeit nimmt und sich mit wachen Augen auf dem Veranstaltungsgelände am Flughafen „Schwarze Heide“ umsieht, wird schnell zu dem Schluss kommen, dass die Verhältnisse der gebotenen Unterhaltung deutlich geklärt und durch die genannten Regeln auch klar formuliert sind:

Bottrop Kustom Kulture

Zufahrt zum Gelände haben: Hot Rods und Kustoms bis Bj. 65

Kustoms = es sind mehrere deutlich sichtbare Modifikationen am Fahrzeug erforderlich!

Hot Rods = traditionelle Hod Rods, keine Billet, kein High Tech.

Alle Fahrzeuge auf dem Gelände können nach einer technischen Prüfung auch am Rennen teilnehmen.

Für original belassene Oldtimer und US Cars gibt es einen extra ausgewiesenen Parkplatz!

Den Anweisungen der Ordner ist Folge zu leisten!

Soweit die Regeln. Doch auch in dieser von knackiger kürze geprägten Klarheit scheint es zwei Formen des Hot Rodding zu geben, die sich im Rahmen der Veranstaltung mit gefühlt gemischten Gefühlen gegenüberstehen. Da sind auf der einen Seite diejenigen, die das Hot Rodding offensichtlich als natürlich gegeben in den Mittelpunkt ihres Lebens gestellt haben und sich kaum Gedanken darüber machen dürften, wann und wie das Ganze für sie begonnen hat. Diejenigen, die mir als Betrachter das Gefühl vermitteln, dass es in ihrem Lebensumfeld kaum etwas gibt, was nicht direkt mit diesem von ihnen gelebten Lebensgefühl in Verbindung steht und die finanziellen Mittel über die sie verfügen zu einem wesentlichen Teil in ihr Hot Rod investieren. Diejenigen also, die mich inspirieren und meine Fantasie anregen. Diejenigen, deren Lebensphilosophie sich in einen Satz fassen lässt. „Mach dein Ding und mach das Beste daraus!“

Dann scheint es die „Zugekauften“ zu geben, diejenigen, die über die Mittel verfügen sich in die gerade angesagte Coolness quasi auf kürzestem Weg einzukaufen und nun eben die Coolness eines Hot Rods für sich entdeckt haben. Diejenigen, die vor kurzer Zeit noch ohne mit der Wimper zu zucken eine astronomisch hohe Summe für ein Kustombike auf den Tresen des Coolness Dealers geblättert haben, weil es als Cool galt ein Kustombike zu fahren und sich für die gleiche Summe nun mal kurz einen Hot Rod aus Amiland geordert haben, um bei den entsprechenden Events entsprechende Coolness zu demonstrieren.

Doch wahre Coolness scheint Gesetzen zu folgen, in die man sich nicht einfach einkaufen kann. Während die „Rodder“, die jede Schraube ihres Rods bereits selber in der Hand gehalten haben, in allen Bereichen Gelassenheit demonstrieren, überlegen die anderen mit einem nervösen Blick zum Himmel, ob sie ihren offenen Ami Import nicht doch besser noch vor dem ersten Regentropfen Richtung heimische Garage lenken sollen, bevor sie uncool baden gehen.

Und so trennen die unterschiedlichen Gedankengänge und Lebensphilosophien in Sachen wahrer Coolness unter den bedrohlich aufziehenden Wolken auf dem Weg der natürlichen Auslese schnell die Spreu vom Weizen und es bietet sich mir als außen stehenden Betrachter die Möglichkeit eines Theaters, wie es nur das Leben schreibt. Kustom Kulture als die pralle Packung eines besonderen Lebensgefühls. Futter für die Sinne, schrill, bunt und überaus unterhaltsam.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich das Thema völlig fasch verstanden habe, bedeutet die Überschrift Kustom Kulture in Bottrop für mich weit mehr als die bloße Reduktion auf Autos, die in einem ganz speziellen Stil aufgebaut wurden und damit eine eigenständige und klar umrissene Kultur verkörpern.

Es bedeutet für mich einen Lebensstil, den wahrscheinlich jeder einzelne Besucher der Kustom Kulture individuell zu beschreiben weiß. Kustom Kulture scheint etwas zu sein, das einen ganz bestimmten Lebensstil umschreibt und sich trotzdem immer wieder neu erfindet.

Was es an Hot Rods und Bikes zu sehen gab, wird man später in den Blogs lesen können. Insgesamt 230 Rods und über 100 Bikes sollen es gewesen sein und 40 von ihnen sollen am Rennen teilgenommen haben.

Auffallend viele der Besucher begaben sich mit ihrem Fotoapparat auf die Suche nach dem einen Motiv. Dem Augenblick, der möglicherweise die Seele der Kustom Kulture widerspiegelt und auch hier wird man später in den Blogs lesen können, dass sich der eine oder andere „Hobbyfotograf“ gegenüber den etablierten Profis benachteiligt fühlte.

Nachdem ich diesen Profis in den vergangenen Jahren auf vielen Veranstaltungen immer wieder begegnet bin und nicht ohne Neid auf die ihnen gegebenen Möglichkeiten geschielt habe, sehe ich diese scheinbare Benachteiligung inzwischen eher als sportlicher Herausforderung. Es ist schließlich so, das die Jungs ihren Job machen und von ihren Fotos leben wollen. Für mich ist es dagegen der pure Spaß. Die Freude am Bild und so soll es auch bleiben.

Schöne Bilder von startenden Hod Rods auf einer endlos scheinenden Strecke? Fahrzeuge, die sich am Horizont verlieren? Frauen und Männer, die Fahnen schwingend vom Rauch durchdrehender Reifen eingehüllt werden?

Es liegt in meinem Ermessen, mich mit dem Fotoapparat in der Hand am Rande der Rennstrecke über die bevorzugte Position anderer zu ärgern oder statt dessen den kurzen Augenblick der Ruhe auf dem Gelände und die Zeit zu genießen, die mir mit den Fahrzeugen gegeben wird, die sich nicht am Rennen beteiligten.

Obwohl sich der Himmel zum wiederholten Mal dramatisch verdunkelt und mit Sturm droht, hänge ich in Gedanken immer noch der Seele der Kustom Kulture nach. Während im Zelt der Pinstriper die Künstler aus Japan, USA und Europe ihre Linien auf alle möglichen und auch unmöglichen Untergründe ziehen und damit ihren Beitrag zu dieser Seele leisten, beschränken sich im Bikezelt die aus den USA angereisten und überaus auf Old School geimpften Jungs darauf Teile für Old School Bikes sowie Old School geprägte Klamotten an den Mann oder die Frau zu bringen  und ansonsten einfach nur Cool zu sein, um damit ebenfalls ihren Beitrag zum Ganzen zu leisten.

Zu der Zeit, als der eine oder andere Händler angesichts des sich abzeichnenden Unwetters mit dem Gedanken spielt die Segel zu streichen, denke ich darüber nach, wie es wohl sei, selber ein aktiver Teil des Ganzen zu werden. In diesem Jahr habe ich Alex aus Essen für 15 € den alten Rückspiegel eines VWs abgekauft. Ihn am Abend kurz mit Stahlwolle aufpoliert und am nächsten Tag von Ghost aus Japan für 40 € mit einem seiner unverkennbaren Pinstripes versehen lassen, um ihn zu gegebener Zeit in ein ´71 Commodore A Coupe Projekt zu verpflanzen, das ich für 1350 € bei EBAY geschossen habe.

Zwar kann ich mich vom dem Gedanken mit diesem Fahrzeug im nächsten Jahr aufs Gelände zu gelangen, schon aufgrund des Baujahrs verabschieden. Doch im nächsten Jahr steht das „10jährige“ der Veranstaltung an und weil ich noch ein ´59 AWO Projekt in der Hinterhand habe, fällt es mir zunehmend leicht, mich für eine aktive Teilnahme zu begeistern. Bis zur nächsten Kustom Kulture bleibt ab jetzt noch gut ein Jahr. Das bedeutet, dass mir wenn ich ernsthaft mit dem Gedanken spiele, meinen eigenen Traum von Kustom Kulture ans Rollen zu bringen, noch genügend Zeit bleibt mein Vorhaben wie auch immer es Aussehen mag eine reale Gestalt zu verleihen. Und wenn es nicht auf vier Rädern klappen sollte, dann werden es eben Zwei.

In diesem Sinne, man sieht sich so oder so im Juni 2012 in Bottrop