7. Der Rahmen

"Vertrauen bedeutet, Du weißt, dass es einen Ozean gibt, nur weil Du einen Fluss gesehen hast."  Glückskeks Weisheit


1951?

Der Ghostrider auf David Manns Bild folgt seinem ihm vorbestimmten Weg über den Asphalt auf einem klassischen Starrrahmen. Was lag also näher, auch für mein Projekt einen solchen Rahmen zu verwenden. Darüber, dass sich ein solches Vorhaben jedoch nicht so einfach beziehungsweise kostengünstig würde umsetzen lassen, war ich mir von Anfang an im Klaren.

Starre Rahmen wurden innerhalb der Company nur bis 1958 gefertigt und weil sie für die Summer der Old School Begeisterten die Krönung eines Choppers darstellen, sind sie entsprechend begehrt. Wer einmal einen originalen Starrrahmen sein Eigen nennt, wird ihn nicht einfach wieder hergeben und so würde sich ein solcher Rahmen von mir nicht ohne größere Probleme auftreiben lassen.   

Sieg oder Niederlage im Rahmenkauf würde am Ende vor allem durch die Höhe der eingesetzten finanziellen Mittel bestimmt sein. Doch da meine Mittel in dieser Richtung beschränkt waren, erregte ich bei der Summe der Profischrauber, die ich auf der Suche nach einem solchen Rahmen mit meinem Anliegen konfrontierte lediglich ein mitleidiges Lächeln. Es war immer dasselbe:

  • Es befinden sich nur wenige dieser Rahmen auf dem Markt.
  • Diejenigen die einen solchen Rahmen besitzen, werden ihn nicht mehr hergeben.
  • Und wenn sie doch bereit sind sich von dem guten Stück zu trennen, dann nur zu einem Preis den ich nie hätte zahlen können.

Außerdem gab man zu bedenken, das ein Rahmen wie er mir vorschwebte, bereits ein halbes Jahrhundert über die Straßen der Welt bewegt worden war und wahrscheinlich in einem  entsprechenden Zustand sein würde.

Generationen von Schraubern hätten Hand an ihn gelegt und der Erfahrung nach war kaum einer dieser Rahmen nicht bereits auf die eine oder andere Weise umgestaltet worden. Wenn man ihn nicht in der Vergangenheit vor irgendeine Wand gesetzt, zusammengestaucht und wieder auseinander gezogen hatte, waren inzwischen alle möglichen und unmöglichen Halterungen und Rahmenrohre der Säge oder der Trennscheibe zum Opfer gefallen.

Nein, ein solcher Rahmen würde Erfahrungsgemäß mehr Ärger als Freude bereiten und genau darum sollte man lieber die Finger davon lassen. Ich wollte es trotzdem mit einem solchen Rahmen versuchen.

Wie ein Suchender schnell erfahren wird, gibt es eine ganze Palette legaler und auch illegaler Möglichkeiten an einen solchen Rahmen zu kommen und immer lagen diese Möglichkeiten dicht beieinander.

Bei all den Gesprächen die ich in der Folge meiner Rahmensuche führte, wurde immer deutlicher dass ich die Möglichkeit einen alten Rahmen bei einem kommerziellen Händler zu erstehen bereits Aufgrund der Kosten aus meinem Aufgabenheft streichen konnte. Was blieb, war die  Möglichkeit ständig Augen und Ohren offen zu halten, um eine der seltenen Glücksfälle die sich trotzdem immer mal wieder boten nicht zu verpassen.

Ein zugegeben schwieriges Unterfangen, wenn man, wie in meinem Fall nicht zu den ständigen Mitgliedern der Szene gehörte und auch nicht vorhatte sich einer der in Frage kommenden Gruppierungen anzuschließen. So blieb man an der Oberfläche, an der sich die Möglichkeit eines Glücksgriffs entsprechend übersichtlich gestaltete.

Was blieb waren die Anzeigenrubriken in diversen Fachzeitschriften und das von ebay gebotene Portal zur virtuellen Auktion. Bei dem Gros der Angebote die sich dort fanden, handelte es sich um Zubehörrahmen. Einige von zweifelhafter Herkunft und die meisten ohne Papiere. Da es sich zudem meist um Festpreis Angebote und Auktionen handelte, befanden sich die Preisvorstellungen der Verkäufer in der Regel jenseits von gut und böse, sprich meiner Zahlungsfähigkeit und auch Zahlungswillen.
 
Wer bei ebay den Suchbegriff HARLEY-DAVIDSON eingibt; wird sich schnell mit einer unüberschaubaren Flut von Angeboten konfrontiert sehen. Doch ebay ist längst nicht mehr das was es einmal war. Aus eigener Erfahrung wusste ich, dass der von ebay heraufbeschworene Appell an die Ehrlichkeit aktiver Verkäufer und Käufer im Zuge des rasanten Wachstums des Auktionshauses stark gelitten hatte.

Allen Sicherheitsbekundungen zum Trotz hatte ich es mir in der letzten Zeit zur Angewohnheit gemacht nur noch auf Gegenstände zu bieten, bei denen sich bei Nichtentsprechung der Beschreibung der Schaden finanziell und auch ideologisch in Grenzen hielt oder die bei größeren Beträgen über eine PayPal Abwicklung ein halbwegs abgesichertes Handeln ermöglichten.

Um nicht der Versuchung der Angebotsflut zu erliegen, suchte ich so gezielt wie möglich nach Gegenständen, von denen ich glaubte sie besitzen zu müssen. Hatte ich zu Beginn meiner Suche noch HARLEY-DAVIDSON RAHMEN in das Suchfeld eingegeben, beschränkte ich mich sehr schnell darauf nur noch STARRRAHMEN einzutippen. In der Regel wurden mir daraufhin zwischen fünf und zehn Treffer angezeigt. Bei den meisten handelte es sich jedoch lediglich um Anbauteile für Starrrahmen, Blaupausen und Rahmen für Motorräder anderer Marken und doch fand sich auch ab und zu ein Starrrahmen unter den Angeboten, wie ich ihn suchte.

Natürlich waren auch viele der über ebay zum Verkauf stehenden Rahmen von zweifelhafter Herkunft, doch da die meisten der Verkäufer die Bereitschaft zum Pokern in sich trugen und darum ihre Rahmen nicht selten zu einem Startpreis von einem Euro einstellten, bot ich bei einigen von ihnen zum Spaß mit. Bei Summen die deutlich über der 999 Euro Marke lagen, stieg ich bereits wieder aus. Die Rahmen an deren Herkunft es kaum einen Zweifel gab, erreichten ohne Probleme einen Kaufpreis jenseits der 3000 Euro Marke.

Mit einigen der Verkäufer, deren Angebot aus welchem Grund auch immer schleppend anlief, nahm ich Kontakt auf und immer waren ihre Angaben so dürftig und wenig Vertrauen erweckend, dass ich die Überlegung ernsthaft zu bieten bereits im Ansatz wieder verwarf. Mit verstreichen der Zeit verlor ich zunehmend an Risikobereitschaft und die Rücksprache mit meinen beiden Schraubern bestärkte mich in meiner Befürchtung eigentlich nur an den Falschen geraten zu können.

"Sie bieten auf einen Harley-Davidson Starrahmen Baujahr 1951. Fahrzeughersteller ist Harley-Davidson mit TP-Nummer. Es können EVO-, Shovel- und Pan-Motoren verbaut werden. Der Rahmen ist unfallfrei und rot kunststoffbeschichtet. Deutscher Fahrzeugbrief ist vorhanden mit unzähligen Eintragungen, wie z. B. 205er Autohinterreifen usw. Fahrzeugbrief kann gefaxt werden. Der Rahmen befindet sich in einem sehr guten Zustand."  
Eine Anzeige von vielen. Der Starpreis betrug 999 Euro und so gab ich in dem Bewusstsein die Auktion sowieso nicht zu gewinnen einen Betrag von 1501,- Euro ein. Gleichzeitig bat ich den Verkäufer darum mir eine Kopie des Briefs zuzusenden. Obwohl es sich bei dem Rahmen keinesfalls um ein Originalrahmen der Company und auch nicht um das Baujahr 1951 handeln dürfte, sprach die Kopie des Fahrzeugbriefs eine andere Sprache. Dort war als Hersteller tatsächlich Harley-Davidson und als Tag der Erstzulassung der 1. Juli 1951 eingetragen.

Als ich Jörg das Angebot und die Kopie des Briefs vorlege, entlocke ich ihm damit zunächst lediglich ein süffisantes Grinsen.

"Du bist dir hoffentlich darüber im Klaren, dass es sich bei dem Rahmen nicht um einen originalen Rahmen handeln kann"
 
Ich zuckte mit der Schulter. Da ich einen Chopper aufbauen wollte und nicht an der Restauration einer alten Maschine im Originalzustand interessiert war, konnte es mir egal sein, was der Rahmen war, solange es mit den Papieren keine Schwierigkeiten gab. Und nach Jörgs Einschätzung waren keine zu erwarten. Zwar wusste auch er auf die Frage wie diese Papiere zustande gekommen sein konnten keine Antwort, doch sollte die TP Nummer des Briefs mit der des Rahmens übereinstimmen, dann sollte es seiner Einschätzung nach mit der Zulassung auch keine Probleme geben.

Obwohl ich gehofft hatte, bis zur Fertigstellung meines Projektes auf meiner Sportster durch die Gegend zu prötteln, stand ich nun vor der Entscheidung Rahmen oder Sportster. Ich hatte nicht das Geld um parallel zum Aufbau des Motors auch den Rahmen zu finanzieren. Trotzdem hatte es mir der Rahmen auf sonderbare Weise angetan. Obwohl ich es nicht näher zu beschreiben wusste, war ich davon überzeugt, dass dieser Rahmen der Rahmen für mein Projekt sein würde.

Doch um ihn bezahlen zu können, würde ich meiner Sportster das Herz aus dem Rahmen reißen und bei ebay einstellen müssen. Die Tatsache, dass ich sie in diesem Jahr aufgrund des miesen Wetters erst vier oder fünf mal bewegt hatte und mir zu dem Zeitpunkt als das Wetter endlich besser zu werden schien, erst mal einen Plattfuß eingefangen hatte und tagelang auf einen neuen Schlauch und Reifen warten musste, erleichterte mir meine Entscheidung zugunsten des Rahmens.

Also rief ich die Seite mit dem Rahmen auf, gab als neue Gebotsobergrenze 2551,- Euro ein und überließ es dem Schicksal ob ich den Zuschlag bekommen sollte oder die Suche weitergehen würde. Ein weiteres Mal würde mein Gebot auf diesen Rahmen nicht mehr erhöhen und bis zum Ende der Aktion hatte ich auch keine Zeit mehr sie weiter zu verfolgen.

Wenn die Zeit gekommen wäre, würde ich eine Mail erhalten in der sich die Niederlage schlicht in der Überschrift "Sie wurden überboten" ausdrückte, während "Herzlichen Glückwunsch, Sie haben diesen Artikel gekauft!" möglicherweise einen weiteren Schritt in Richtung meines Ziels markierte. "Möglicherweise", weil bei ebay immer häufiger, selbst im Falle eines Siegs die eventuelle Niederlage so lange drohte bis man genau wusste was man in Händen hielt.

Da an diesem Wochenende einige Auktionen endeten, auf die ich mehr oder weniger ernsthafte Gebote abgegeben hatte, war ich auch nicht weiter erstaunt, dass die meisten der Mails mit "Sie wurden Überboten" überschrieben waren. Dazu ein Wust von Nachrichten, die mich obwohl ich überboten worden war, motivieren sollten auch weiterhin bei der Stange zu bleiben und auf der Welle der Auktionshysterie zu reiten.

"Los man, du bist überboten worden! Soll das etwa schon alles gewesen sein? Also schwing deinen Hintern vor den Computer und biete auf anderen Kram aus der bunten Auktionswelt!"

Nein, ich gehörte nicht zu den Taktikern unter den alten ebay Hasen, die bis auf die letzte Sekunde warteten, um dann im alles entscheidenden Augenblick zuzuschlagen. Ich ging mit einem einfachen und dementsprechend langsamen Modem ins Internet und allein diese Tatsache nahm mir die Möglichkeit an solcherlei taktischem Handeln aktiv teilhaben zu können. Die Dinge auf die ich bot, besaßen für mich einen Wert den ich zum Zeitpunkt der ernsthaften Gebotsabgabe festsetze. Höher ging ich nur selten und im Grunde war es mir in den meisten Fällen egal ob ich den Zuschlag erhielt oder nicht.

Da es jedoch zur Antifrustrationsstrategie der ebay Betreiber zu gehören schien auch die weniger erfolgreichen unter den Mitgliedern bei Laune zu halten, fanden sich neben den Mitteilungen das man wieder einmal den kürzeren gezogen hatte umgehende Benachrichtigungen, das in der ebay Welt weitere, ähnliche Angebote die mich ebenfalls interessieren könnten, auf ein Gebot von mir warteten. Das diese Angebote in der Regel nichts mit dem Angebot zu tun hatten auf das man tatsächlich geboten hatte, sei hier nur am Rande erwähnt.

Meinen Nachrichten zur Folge war ich an diesem Wochenende weder der Besitzer einer 2 Zoll Drag Pipes Anlage, noch einer Paugho Springer Gabel oder eines angeblich nagelneuen Nirve Cannibal Cruisers geworden und mit der Flut ähnlicher Angebote, über die ich über das möglicherweise in mir aufsteigende Gefühl ein kompletter Loser zu sein hinweggetröstet werden sollte, wanderte die einzige wichtige Information, nämlich die das ich die Auktion für den Rahmen zu meinen Gunsten beenden konnte, um ein Haar im virtuellen Papierkorb.

"Herzlichen Glückwunsch, sie haben diesen Artikel gekauft! Strarrahmen Harley-Davidson BJ 1951 - unfallfrei"

So wie es aussah war dieses Wochenende doch noch zu einem Erfolg für mich geworden. Für schlappe 2286,- Euro sollte der Rahmen in meinen Besitz übergehen und wenn ich auch nur eine der anderen Auktionen gewonnen hätte, dann hätte ich ein ernsthaftes Problem finanzieller Natur. Doch so würde sich, wenn nicht noch etwas unvorhergesehenes Eintreten sollte alles halbwegs realisieren lassen und da der jetzige Besitzer des Rahmens bevor ich ihn abholen konnte erst einmal in Urlaub fahren wollte, verschaffte er mir bei der Beschaffung der Summe noch zusätzlich etwas Luft.


Die Freude darüber, dass ich den Zuschlag noch gut 250,- Euro unter meinem Limit erhalten hatte, konnte auch nicht durch die von Jörg an den Tag gelegte Skepsis getrübt werden. Für einen originalen Rahmen in welchem Zustand auch immer, wäre es seiner Meinung nach ein sehr guter Preis. Doch für einen Zubehörrahmen und um nichts anderes konnte es sich bei diesem Rahmen handeln, läge die Summe bereits an einer, wenn auch akzeptablen oberen Grenze, klärte er mich auf und fügte mit einem grinsenden Hinweis auf das Foto in der Auktion hinzu, das ich mir nun zumindest ein ungefähres Bild davon machen könnte, wie mein Moped später einmal aussehen würde.

Etwa zwei Wochen später benachrichtigte mich der Besitzer des Rahmens das er aus dem Urlaub zurück sei und der Rahmen nun abgeholt werden könne. Also machte ich mich an einem Montagmorgen auf den Weg nach Bad Königshofen in der bayerischen Rhön. Während der Routenplaner mir die Strecke Dortmund - Kassel - Fulda riet, entschied ich mich für die Stecke Köln - Siegen - Giesen - Fulda und landete selbst zur frühen Stunde erst einmal im alltäglichen Stauwahnsinn des Kölner Rings. Nachdem dieser überwunden war, wurde es für den Rest der Fahrt beschaulicher und in Bayern aufgrund eines christlichen Feiertags sogar kurzzeitlich ein wenig besinnlich.

Statt des normalen Verkehrs wurden die Straßen dort lediglich von Kirchgängern gesäumt. In Bad Königshofen angekommen gestaltete sich die Übergabe des Rahmens wenig spektakulär. Er stand mit einer Decke abgedeckt neben dem neuen Aufbauprojekt des Besitzers in dessen Kellerwerkstatt. "Hier ist der Rahmen", war im wesentlichen schon die wichtigste Information die zwischen uns ausgetauscht werden sollte. Es schien sich bei dem Verkäufer nicht gerade um einen Mann zu handeln der viele Worte verlor. Ich erfuhr eigentlich nur das, was ich bereits wusste. Wo der Rahmen herkam, dass er in einem technisch einwandfreiem Zustand sei und das mit dem Brief alles in Ordnung war.

Ich dachte, dass es wenig Sinn machen würde die Originalität des Rahmens in Frage zu stellen, also ließ ich es und beschränkte mich darauf die Nummern auf Rahmen und Brief zu vergleichen und ihm das Geld zu geben. Bevor er mir half den Rahmen aus dem Keller zu tragen, erfuhr ich dass er noch alle möglichen Teile hatte, die für mich von Interesse sein könnten. Doch da er sich noch keine Gedanken über einen möglichen Verkauf gemacht und damit auch noch keine konkreten Preisvorstellungen hatte, blieb es an diesem Tag zunächst beim Rahmen. Wegen der anderen Teile könne man ja noch einmal telefonieren. Nachdem wir ihn auf die Ladefläche gelegt hatten, standen wir noch ein paar Minuten an meinem Bus und tauschten ein paar letzte Worte aus. Dabei schien der Mann jedoch mit seinen Gedanken schon ganz woanders zu sein.

Ohne besonderen Zusammenhang teile er mir unvermittelt mit, dass er einen Händler gefragt habe, was der Rahmen seiner Einschätzung nach wert sei. Zwischen 3500,- und 4000,- Euro hätte dieser gesagt.

Ich hatte das Gefühl, dass es ihm nicht leicht zu fallen schien sich von seinem Rahmen trennen zu müssen. Doch möglicherweise täuschte mich mein Gefühl. Noch bevor ich den Zündschlüssel im Schloss drehte, befand er sich ohne einen weiteren Gruß oder Blick wieder auf dem Weg zurück ins Haus. An der nächsten großen Kreuzung stand ich vor dem Entschluss den gleichen Weg zurück zu nehmen oder bis Fulda über die Dörfer zu fahren und dann über Kassel - Dortmund zurück zu fahren. Die geschlossene Wolkendecke hatte inzwischen hier und da Risse bekommen und unter dem Einfluss der Sonne begannen die Farben der spätsommerlichen Natur um mich herum zu strahlen. Da ich mir Zeit nehmen konnte, entschied ich mich zugunsten der Dörfer.

Kurz vor Kassel machte ich Rast und nutzte die Gelegenheit mir in der Sonne sitzend bei einer Tasse Kaffee in Ruhe den Brief anzusehen. Für die meisten, die eine Harley-Davidson erwerben wollen, ist der übliche Weg der, in einen Laden zu gehen, ein Bündel Geldscheine über den Tresen zu schieben oder einen Finanzierungsvertrag zu unterzeichnen und den Laden auf einer neuen Maschine verlassen. Dieser normalen Form des Erwerbs eines Motorrades, steht eine kleine Gruppe von Menschen gegenüber, die gerade diesen Weg nicht gehen und stattdessen ihre Zeit und ihr Geld in ein Projekt mit ungewissem Ausgang investieren.

Das schöne an solch einem Projekt ist, das es einen bis zu seinem Abschluss mit immer neuen Fragen in Bewegung hält und das man bis zum Ende nie mit Sicherheit sagen kann, welche Richtung es letztendlich einschlagen wird. Hinter jeder Hürde die man überwunden glaubt, wartet bereits eine neue Frage, eine neue Aufgabenstellung die es zu lösen gilt und es liegt wohl in der Natur eines solchen Projektes genau diese Probleme und Fragen zu suchen und sich ihnen zu stellen.

Mit dem Menschen der hinter dem Dokument in meiner Hand stand schien es sich ähnlich zu verhalten, oberflächlich betrachtet ein ganz normaler Kraftfahrzeugbrief. Mit allen notwendigen Unterschriften und Stempeln versehen, um ihn gültig und rechtskräftig zu machen. Was mich stutzen ließ war nichts das seine Gültigkeit in Zweifel ziehen ließe, sondern die Tatsache das der Mann von dem ich den Rahmen übernommen hatte nicht als der letzte Halter eingetragen war.

Gedanken und Vermutungen

Der letzte eingetragene Halter hatte das Motorrad laut Brief erst vier Monate zuvor von dem Mann übernommen, von dem ich den Rahmen vor wenigen Stunden gekauft hatte. Da auf der Ladefläche meines Busses nur noch der nackte Rahmen lag, stellte sich mir die Frage was in der kurzen Zeit mit dem Rest geschehen war.

Der ursprüngliche Besitzer des Rahmens hatte ihn, wenn die Eintragungen korrekt waren 1995 aus den USA eingeführt und 1996 einen deutschen Fahrzeugbrief beantragt. Da die Maschine von 1996 bis 2004 durchgängig angemeldet war, ist davon auszugehen, dass sie in dieser Zeit auch von ihm gefahren wurde.

Bis zu diesem Zeitpunkt stellte sich die Geschichte um die Maschine wie einer der vielen Starrahmenträume dar.

"Am einfachsten wäre es sich einen Rahmen aus den Staaten zu besorgen!"

Wie oft hatte ich im Zusammenhang mit Starrahmenprojekten diesen Satz schon gehört und wie wenige sind dann letztendlich tatsächlich diesem scheinbar so einfachen Weg gefolgt? Als ich 2003 in Sturgis war, hatte ich mich angesichts der schier unüberschaubaren Angebotsflut an Teilen wie ein kleiner Junge im Spielzeughimmel gefühlt. Gekauft habe auch ich trotzdem nur ein paar Kleinteile. Warum? Weil meine Zweifel ganz einfach zu groß waren. Was ist Original? Was nicht? Wie sah es mit Papieren aus? Waren die Teile in Ordnung? Was würde der Zoll sagen und was der TÜV? Wie sollte man einen Rahmen oder gar einen Motor transportieren?

Steht man vor der Wahl, dann kommen einem urplötzlich unzählige Fragen in den Sinn, die in der kürze der Zeit vor Ort nicht so einfach zu klären sind. Am Ende kauft man dann weder einen der zahlreich und verlockend günstig angebotenen Motoren, noch einen der heiß begehrten Rahmen, die einen möglichen Käufer mit rostiger Originalität locken und versucht stattdessen seinen Traum doch lieber auf eine der althergebrachten Arten in der Heimat zu realisieren.

Es ist schon komisch, da träumt man davon sich mit einem alten Starrahmenaufbau gegen die Zwänge bürokritischer Regeln, Normen und Verordnungen aufzulehnen und scheitert dann doch an seinen eigenen Ängsten und Zweifeln, die sich aus gerade diesen Regeln, Normen und Verordnungen ergeben.

Wie dieser Rahmen bewies, schien jedoch nicht jeder an diesen Ängsten und Zweifeln zu scheitern und so hatte er seinen Weg nach Deutschland gefunden und war allen möglichen Widerständen zum Trotz mit einem deutschen Fahrzeugbrief ausgestattet worden. Sein Besitzer wird sich seinen Traum realisiert haben und was letztendlich den Ausschlag dafür gegeben haben mag sich wieder von ihm zu trennen wird sein Geheimnis bleiben. Dass er sich bereits bevor er den Rahmen nun an mich verkauft hatte, von ihm getrennt haben musste, belegt der Eintrag eines weiteren Halters im Brief. Dieser hatte die Maschine jedoch nur vier Monate besessen. Danach fand sie mit ihrer Demontage ihr endgültiges Ende. Möglicherweise gab es einen Grund für den neuen Besitzer die Maschine zurückzugeben. Vielleicht hatte er den Motor zu klump gefahren. Wie dem auch sei, letztendlich war an dieser Stelle ein Traum der 1996 Gestalt angenommen hatte, ein Jahrzehnt später wieder in seine Einzelteile zerfallen. Teile, die sich nun im Laufe der Zeit dank ebay in allen Richtungen verlieren würden, um in einem nicht enden wollenden Kreislauf an einer Vielzahl neuer Träume teilzuhaben.

Auch für mich wurde es Zeit sich wieder auf den Weg zu machen und nach 850 Kilometern schloss sich der Kreis für mich vor dem Werkstattor meiner beiden Schrauber. Heinz war bereits nach Hause gegangen und Jörg vertrieb sich die Zeit mit der Beobachtung einer ebay Auktion in der es um einen Uralseitenwagen ging, den er für kleines Geld zu ersteigen hoffte, um seinem Bullterrier eine angenehme Mitfahrgelegenheit zu ermöglichen.

Ich war froh, dass sich kein weiterer Kunde in der Werkstatt aufhielt, um mich sofort mit dummen Sprüchen zum Neuerwerb des Rahmens voll zuquatschen. Wir hoben ihn von der Ladefläche und stellten ihn an die gleiche Stelle, an der vor einigen Monaten bereits der Motor gestanden hatte. Ich beobachtete Jörg wie er den Rahmen schweigend von allen Seiten begutachtete und mir wurde wieder einmal bewusst, dass ich seine ruhige Art des Schauens mochte. Natürlich hatte er, wenn der Laden voll war, die ganze Palette lockerer Sprüche drauf, wie man sie offensichtlich von einem echten Harley Schrauber erwartete. Doch wenn man ihn alleine erwischte, stellte man fest, das er sich fern jedes Geschwätzes ernsthaft und ruhig mit den Dingen auseinandersetzte mit denen er sich gerade beschäftigte.

Als Ergebnis seiner Betrachtung kam er zu dem Schluss, dass es an dem Rahmen nichts auszusetzen gäbe. Trotzdem wollte er sich nicht festlegen was er nun sei. Original? Teilweise Original? Zubehörrahmen? Letztendlich konnte es mir egal sein. Mit dem dazugehörigen Brief wäre der Rahmen seiner Meinung nach auf jeden Fall sein Geld wert und es ließe sich was damit anfangen.

Das war zunächst alles was ich hören wollte. Noch vor wenigen Wochen hatte ich mich bereits mit dem Gedanken abgefunden, das sich mein Projekt was den Rahmen anging wohl noch über unbestimmte Zeit hinziehen würde und nun schien sich zumindest dieses Problem schneller als erwartet gelöst zu sein.

Dafür hatte er allerdings meine finanziellen Möglichkeiten bei weitem überschritten und so läutete die mangelnde Masse das vorläufige Ende ein. Doch bevor sich das Tor meiner Garage für die nächsten Wochen hinter mir schloss, verpasste ich dem Rahmen noch eine gründliche Reinigung. Unter Einsatz der Kaltreinigerspritze und einiger grober Lappen, erstrahlte die rote Kunststoffbeschichtung schon nach kurzer Zeit in ihrem ursprünglichen und so wie es aussah auch unbeschädigtem Glanz. Obwohl mich das rote Modell des Billy Bikes allmorgendlich auf meinem Schreibtisch begrüßte, war mir klar, das das Rot des Rahmens nicht meine Farbe war und es auch nicht werden würde. So bald ich wieder etwas flüssiger sein würde, sollte es der Beschichtung an den Kragen gehen.

Seit Jahren brachte ich Teile die ich beschichten lassen wollte zu einem Beschichter nach Düsseldorf. Rolf, der den Laden gemeinsam mit Frau und Sohn schmiss, hat selbst lange Zeit eine Harley bewegt. Inzwischen war er es jedoch leid nach jeder Tour sich lockernde Schrauben nachzuziehen oder bereits verlorene zu ersetzen und war auf eine, seiner Meinung nach wesentlich unproblematischere BMW umgestiegen. Doch für den Geist der Harleymanie hatte er nach wie vor ein offenes Ohr.

Ich kannte Biker für die die Kunststoffbeschichtung das größte war und ebenso viele, die dem guten alten Lack die Stange hielten. Da ich mit meinen Beschichtungen in der Vergangenheit gute und schlechte Erfahrungen gemacht hatte, entschied ich mich im Falle meiner Sportster für eine Mischlösung. Auf großen Flächen konnte der Kunststoff positiv punkten, während er bei kleinen Flächen mit vielen Schrauben und starker Beanspruchung meiner Meinung nach eher im minus stand. An Teilen wie zum Beispiel einem Seitendeckel, war es ratsam Schrauben nur mit größter Vorsicht anzuziehen. Es kam vor das die Beschichtung bei zu viel Druck einfach absprang und der dabei entstandene Schaden meist über den Durchmesser des Schraubenkopfs hinausging.

Bei diesem Projekt sollte der Rahmen, die Schutzbleche und ein paar Kleinteile beschichtet werden, während der Tank einen Überzug aus Lack erhalten sollte. Ein Punkt den die Lackfetischisten immer wieder in die Kontra Schale warfen, war das Gerücht, das der Kunststoff, war er erst einmal auf eine Oberfläche aufgebracht, einer späteren Entfernung massiven Widerstand leisten würde. Da ich bisher noch keine Erfahrungen mit dem Endkunststoffen sammeln konnte, befürchtete ich, dass es bei der Entfernung der roten Kunststoffschicht an meinem Rahmen Probleme geben könnte, die sich vor allem in den Kosten niederschlagen würden.

Rolf beseitigte mit seinem sonnigen Gemüt und seiner Fachkenntnis meine Befürchtungen bereits im Ansatz. "Alles was man drauf bekommt, bekommt man auch wieder runter!", lautete seine Devise. Er würde den Rahmen in ein Laugenbad hängen und den sich der Lauge widersetzenden Kunststoffresten würde er mit dem Sandstrahler vom Metall schießen.
 
Zwei Tage später rief er mich an, um mir mitzuteilen, dass der Strahler nicht zum Einsatz gebracht werden musste, da die alte Beschichtung bereits im Laugenbad in die Knie gegangen sei. Vor zehn Jahren sei das Material eben noch nicht so hochwertig gewesen, wie das das heute verarbeitet wurde. Mit einem Kostenaufwand von 40 Euro war die ganze Aktion nicht nur äußerst zufrieden stellend, sondern auch noch überaus Preiswert verlaufen. Ich hatte mit Jörg besprochen, dass wir nachdem der Kunststoff runter war, daran gehen wollten, überflüssige Haltepunkte zu entfernen, andere zu versetzen und noch nicht vorhandene neu anzubringen.

Als der Rahmen noch seinen durchgängig roten Kunststoffüberzug besaß, fiel es mir schwer, mir vorzustellen an der einen oder anderen Stelle des betagten Rahmens die Trennscheibe anzusetzen. Doch mit der Entfernung des Überzugs waren auch meine anfänglichen Skrupel beseitigt. Das rohe Rohrgeflecht des Rahmens stellte nun schlicht die Arbeitsbasis zur Entwicklung von etwas Neuem dar. Bei der Betrachtung dieser Basis, konnte ich die Begeisterung nachvollziehen, mit der sich viele der Bikebauer in ihre Kunstwerke vertiefen.

Auch aus diesem Rahmen sollte nun etwas Einmaliges entstehen. Selbst wenn es bei dem Endresultat des Projektes lediglich um einen Chopper handeln sollte. Würde sich auf der Welt kein zweiter seiner Art finden lassen. Da ich bisher den Motor als das Herzstück eines Motorrades betrachtete, hatte ich mich lange Zeit gefragt, warum die Papiere immer beim Rahmen blieben. In der Erkenntnis die mich bei der Betrachtung des Rahmens befiel, beantwortete sich diese Frage.