2. Ghost Rider

"Dinge von großer Bedeutung sollten gelassen angegangen werden"

Fürst Naoshige

"Dinge von geringer Bedeutung sollten ernsthaft angegangen werden"

Ittei


Wer die Chopper der 60ger und 70ger mag, der wird die ausdrucksstarken Biker Porträts des 2004 verstorbenen amerikanischen Malers David Mann kennen und schätzen. Einem Künstler, der sich in seinen Arbeiten mit Herz und Seele dem amerikanischen Eisen und dessen Fahrern verschrieben hat.     

Zu seinen weltweit bekanntesten Werken gehört der "Ghostrider". Ein Bild, das im November 1983 erstmals im Magazin "Easyriders" veröffentlicht wurde und mit dem Geist das es ausdrückt  unzählige Biker unmittelbar in ihrem Inneren berührte.

Ob der Traum vom "Ghostrider" für David Mann mit dem letzten Pinselstrich seinen Abschluss fand, ist eine Frage, die unbeantwortet bleiben wird. Für unzählige Biker auf der ganzen Welt wurde diesem Traum mit dem Betrachten dieses Bildes eine Gestalt verliehen und auch in meiner Idee einer zweirädrigen Freiheit, nahm es eine besondere Position ein.

Ich lud mir das Bild aus den unendlichen Weiten des wwweb auf meinen Computer und installierte es als Hintergrundbild auf dem Monitor.

Wann immer ich in den folgenden Jahren den Computer hochfuhr, wurde ich von der Vision David Manns begrüßt. Und die Zeit in der ich darauf wartete, dass sich die einzelnen Programme aufbauten, reichte immer, um meine Gedanken mit auf eine mehr oder weniger lange Reise der Gedanken zu nehmen, bevor ich mich wieder meinem alltäglichen Leben zuwenden musste.

In den ersten Wochen und Monaten in denen ich es auf diese Weise betrachtete, war es vor allem der Fahrer selbst, der für mich den Geist des Bildes verkörperte.

Die Maschine auf der er saß, sollte für mich zu Beginn der Betrachtung eine untergeordnete Rolle spielen. Meine Aufmerksamkeit konzentrierte sich zunächst auf die, auf mich ausgesprochen zielgerichtet wirkende Körperhaltung und den Ausdruck des Fahrers. Neben sich den Reiter, der sein Pferd im Galopp durch den Sand der Wüste treibt. Obwohl der eine den anderen nicht wahrzunehmen scheint und beide ihren eigenen Geist besitzen, verfolgen sie doch unbeirrt einen gemeinsamen Weg, der sie zu dem Zeitpunkt an dem sie in dem Bild verewigt wurden in eine Richtung führt.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begann die Maschine genauer zu betrachten.

Scheinbar in der Tradition eines "Easy Riders" stehend, besitz sie jedoch kaum etwas von dem, was einen der angesagten Aufbauten der damaligen Chopper Kultur ausmachte.

Stattdessen zeigt das Bild ein eher normales amerikanisches Eisen aus der Zeit der wilden 60ger und 70ger Jahre. Eine robust und zuverlässig wirkende Maschine. Eine Maschine zum fahren. Mit diesen Attributen würde ich ihre Wirkung auf mich beschreiben.

Im wesendlichen zwei Räder, Motor, Tank, Gabel, ein halbhoher Lenker und ein starrer Rahmen der die Summe der Teile miteinander verbindet und zusammen hält. Alles in allem eher schlicht. Gebaut um zu fahren, nicht mehr und nicht weniger. Kein aufwendiger Effektlack, kein überflüssiges Bling Bling und nichts von dem üblichen Choppergeraffel, das einem Chopper seine, ihm unter normalen Umständen anhaftende Attribute verlieh.

Eine Maschine, in ihrer Erscheinung so unscheinbar, dass mir lange Zeit nicht bewusst wurde, wovon der Fahrer überhaupt bewegt wurde.

Da unter dem Tank deutlich die vordere Rockerbox eines Shovelhead Motors zu erkennen war, ließ sich die Frage nach dem Antriebsaggregat scheinbar einfach Beantworten. Man sagt David Mann nach, viele seiner Bilder aus der Fantasie heraus zu Papier gebracht zu haben, ohne die Abbildung einer Maschine auf einem Foto zu Hilfe zu nehmen. Ob dies der Wahrheit entspricht, spielt an dieser Stelle keine Rolle. Wichtiger für mich ist die Tatsache, dass sich immer wieder Menschen gefunden haben, die von seinen Bildern dazu inspiriert wurden, die Maschinen seiner Fantasie auf reale Räder zu stellen.

Während die umfassenden Bildberichte zu den Kreationen professioneller Bikebauer kaum noch Platz für offen Fragen bieten, sehen sich diejenigen, die sich mit ihrem Aufbau von einer Maschine inspiriert fühlen, wie sie von David Mann gemalt wurde, alle vor das gleiche Problem gestellt.

Obwohl jede dieser Maschinen ihren eigenen Geist besitzt und darüber möglicherweise den einen oder anderen zu einem Nachbau anregt, so ist ihre Existenz auf die Abbildung einer Seite beschränkt. Die andere, die unsichtbare Seite bleibt für den Betrachter ein Geheimnis. Und da die meisten, die sich an den Nachbau eines dieser gemalten Träume machen, damit gleichzeitig dem Künstler zur Ehre gereichen wollen, stellt sich für jeden die Frage, wie hätte David Mann die andere Seite gestaltet.

Ich lese sie gerne, die Geschichten der Männer, die sich der Aufgabe stellen eine dieser Maschinen bis ins Detail nachzubauen.
Doch auch wenn sie selber immer ihr Bemühen ausdrücken, der Vorlage auf den Bildern so nahe wie möglich zu kommen um damit den Vorstellung des Künstlers zu folgen und gerecht zu werden, habe ich selbst diese Maschinen niemals als eine auf Räder gestellte Kopie eines Bildes betrachtet. Denn für die Seite die sich dem Blick des Betrachters entzieht, musste jeder dieser Männer seine eigene Fantasie einbringen.

Der Typ des Motorradfahrers, den David Mann in seinen Bildern zeichnete, schien immer einer bestimmten Tradition zu folgen und die Maschine mit der er den Asphalt der Straße unter die Räder nahm, war der in Metall geschlagene Ausdruck dieser Tradition.

Wer den Entschluss fast eine dieser Maschinen nachzubauen, wird sich dieser Tradition verpflichtet fühlen und kann mit der Harmonie, in der die bekannte und die unbekannte Seite der Maschine dann zueinander stehen, einen Beleg dafür erbringen, dass er diese Tradition nicht nur versteht, sondern auch zu seiner eigenen gemacht hat.

Doch wie ich bereits geschrieben habe, galt meine Aufmerksamkeit zunächst dem Fahrer und mit dem Geist, den der Künstler diesem eingehaucht hatte, wurde dieser für mich zu einer eigenständigen, fast schon real existierenden Persönlichkeit.
 
Beim Betrachten des Bildes verlor die Frage, nach dem was der Künstler ausdrücken wollte, schnell an Bedeutung und das, was der Fahrer mir geben konnte rückte in den Vordergrund.

In jedem, der seine Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum konzentriert auf ein bestimmtes Bild fokussiert, wird es irgendwann zu arbeiten beginnen und sich der Wunsch regen von der geistig imaginären auf eine körperlich greifbare Ebene zu wechseln.

So war es auch bei mir. Was den Geist über so lange Zeit beschäftigte, wollten meine Hände nun berühren.

Damit für mich der Zeitraum, in dem ich mich mit dem Gedanken anfreundete, mal wieder ein entsprechendes Projekt auf den Weg zu bringen. Keinen Nachbau der abgebildeten Maschine und doch in der Tradition des Geistes der diesem Bild inne wohnte.

Die Frage nach einem geeigneten Rahmen ließ sich schnell beantworten und warf damit gleichzeitig das wohl größte Problem meines Vorhabens auf. Auf Grund der geraden Unterzüge tippte ich auf einen Starrahmen im Straighteg Stil. Dieser Rahmen wurde von Harley Davidson lediglich in von 1956 - 1957 verbaut und weil er neben dem Wishbone Rahmen damals wie heute zu den beliebtesten Rahmen im Chopperbau der alten Schule gehörte, sind originale beider Rahmenausführungen entsprechend gesucht. Da dieser Markt einschlägigen Kreisen nicht verborgen blieb und für einen solchen Rahmen inzwischen ein kleines Vermögen gefordert und auch gezahlt wird, wurden diese Rahmen im Laufe der Jahre zu beliebten Fälschungsobjekten.
 
So behaupten Spötter gerne, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt um ein vielfaches mehr "originale" Starrahmen mit angeblich originalen Papieren bewegt werden, als die Company in den Jahren der Starrahmen überhaupt gebaut hat.

Einen entsprechend sauberen Rahmen, mit den dazugehörigen Papieren zu finden, dürfte also nur mit einer unglaublichen Portion Glück zu realisieren sein. Und da ich auf dieses Glück zwar hoffte, jedoch aus Erfahrung wusste, dass sich dieses Glück nicht erzwingen lässt, entschied ich mich dazu mich zunächst den Teilen zu widmen, die sich leichter würden beschaffen lassen.

Der Blick auf die Rockerboxen hatte bereits den Shovelhead Motor verraten. Doch bei genauerer Betrachtung viel mir der gerippte Seitendeckel der Kurbelwelle auf, der hinter der Hacke des Fahrer hervorlugte und eine andere Sprache sprach. Dem Deckel zu Folge müsste es sich statt des Shovelheads einen Panhead Motor handeln.

Zunächst ratlos schrieb ich diesen Hybridmotor der Fantasie des Künstlers zu, die einen Motor entworfen hatte, wie es ihn so nicht gegeben hatte. Mein guter Freund Gustel wird natürlich auf Grund seiner Erfahrung mit altem amerikanischen Eisen wissen um was für einen Motor es sich handelte und auch ich begann vom aufkommenden Zweifel an der Richtigkeit meiner Vermutung getrieben, begann eines der dicken Standartwerke zu wälzen, in denen alle Motoren, die jemals die heiligen Hallen in Milwaukee verlassen haben, detailliert beschrieben sind. Da der Panhead Motor vom Shovelhead Motor abgelöst wurde, konzentrierte ich mich mit meiner Suche auf die Übergangsära dieser beiden Motoren und sollte schnell fündig werden.

Die Lösung war ebenso einfach, wie für unser heutiges Produkt- und Markenverständnis  unglaublich. Zwar sollte der Shovelhead Motor den Panhead Motor ablösen, doch da in den Werksregalen noch eine große Zahl von Kurbelgehäusen des Panhead Motors lagerten, versah man in dem Zeitraum von 1966 bis 1969 zunächst die Gehäuse des alten, mit den Zylindern des neuen Motors und schuf damit das, was heute unter dem Namen Early Shovel bekannt ist.

Nun da auch die Frage des Motors geklärt war, verstand ich es als besonderes Glück, dass gerade dieser Motor in der dargestellten Maschine seinen Dienst verrichtete, die meinen Geist zur Umsetzung eigener Ideen beflügelte.

Die gelungene Symbiose zwischen alt und neu, zwischen der Tradition und der Modernen, schien mir so reizvoll, das es genau solch ein Motor sein musste. Doch da es sich bei diesem Motor um ein Übergangsprodukt gehandelt hat, dürfte er sich ebenso wie auch der Rahmen kaum in größerer Stückzahl auf dem Markt befinden.

Es gab natürlich die Option sich einen solchen Motor aus Neuteilen zusammenzustellen oder ihn direkt komplett bei einem der großen Zulieferer zu ordern. Lediglich eine Frage des Preises, lässt sich heute im Bereich Harley Davidson so beinahe alles bewerkstelligen und jeder Wunsch erfüllen. Doch so wie sich die Bauer einer der gezeichneten Maschinen bemühten sich in die Gedanken des Künstlers zu versetzen, um sich seiner mentalen Unterstützung beim Bau ihrer Maschinen zu versichern, richtete ich mich mit der Frage nach der Wahl des Motors direkt an den Fahrer.

In meiner Fantasie stellte ich mir vor, dass er diese Maschine fuhr, weil sie das war, was es gerade gab und in seinen zur Verfügung stehenden finanziellen Rahmen passte. So wie er auf mich wirkte, stand einer der angesagten Fahrspäße, die auch in seiner Zeit bewegt wurden, weder auf der Kostenebene zur Disposition, noch entsprach er seiner Ausstrahlung. Somit verbot es sich auch für mich den Weg eines neuen, teuren Motors zu beschreiten Ein Augenblick der klaren Erkenntnis, an dessen Richtigkeit ich bereits im nächsten Augenblick zu zweifeln begann.
 
Die Mail eines Freundes, der sein Leben wie Gustel in Bayern fristet, sollte schließlich die Zeit der ambivalenten Gedankenspiele beenden. Ich hatte mich vor einiger Zeit mit ihm ganz allgemein über meine zukünftigen Pläne und Projekte unterhalten und obwohl er, im Gegensatz zu Gustel mit Motorrädern eigentlich nichts im Sinn hat, wies gerade er mich darauf hin, dass er im Internet zufällig über eine Anzeige gestolpert sei, in der genau so ein Harley Davidson Motor zum Verkauf stand, wie ich ihn suchte.

Zwar hatte ich wenig Hoffnung, dass sich hinter diesem gut gemeinten Hinweis tatsächlich ein Motor der von mir gesuchten Baureihe verbarg. Trotzdem wollte ich ihn mir ansehen. Ein Klick auf die eingefügte Adresse belehrte mich eines besseren.

Wie Summe der Betroffenen, angefixt an der Nadel eines Projekts hängend, wissen wird, spielt die Vernunft im Rahmen eines solchen Projektes wie es mir vorschwebte wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle und ein Anruf beim Verkäufer des Motors gab mir zunächst lediglich Auskunft darüber, dass der Motor angeblich lief. Zumindest soll er das bis zu seinem Ausbau getan haben. Alle anderen Vernunft gesteuerten Fragen sollten ungestellt bleiben. Trotzdem teile man mir vom anderen Ende der Leitung aus mit, dass man sich bei der Überlegung Restauration oder Neuteil, für einen neuen Motor entschieden hätte und aus diesem Grund stünde er nun zum Verkauf.

Ich entschied mich für den Kauf und mir war klar, dass ich mit dieser Entscheidung Glück und Schicksal gleichermaßen beschwor. Auf der einen Seite könnte es sich um eine durchaus brauchbare Basis handeln, auf der anderen Seite könnte er genauso gut ein Staub fangendes Dekorationsobjekt sein, durch das nie wieder ein Rad bewegt werden würde.  

Die für den Motor aufgerufene Summe war für den Augenblick alles was ich hatte und ich war bereit sie hier und jetzt einzusetzen. Eine zweite Chance würde sich für mich schon auf Grund der mangelnden finanziellen Mittel nicht so schnell wieder ergeben.

Ohne weitere Sicherheiten wies ich den Kaufbetrag an und mit dem Öffnen der nun ungeduldig erwarteten Kiste würde es sich entscheiden ob die Realisierung meines Projektes an dieser Stelle ihren Anfang nehmen sollte oder ob es bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auf unspektakuläre Art und Weise sein Ende fand.