Stadtstruktur und Stadtentwicklung im interkulturellen Vergleich
Die angloamerikanische , lateinamerikanische , schwarzafrikanische , orientalische , chinesische oder japanische Stadt
Literatur:
Bähr, Jürgen und Günter Mertins (1995): Die lateinamerikanische Großstadt. Darmstadt: Wiss. Buchges. 238 S. = Erträge d. Forsch. 288.
Ehlers, Eckart (Hg.) (1992): Modelling the city. Cross-cultural perspectives. Bonn: Dümmler. 132 S. = Colloquium Geographicum 22.
Hofmeister, Burkhard (1980/96): Die Stadtstruktur. Ihre Ausprägung in den verschiedenen Kulturräumen der Erde. Darmstadt: Wiss. Buchges. 3. Aufl. 1996 (11980). 194 S. = Erträge d. Forsch. 132.
Holzner, Lutz (1981): Die kultur-genetische Forschungsrichtung in der Stadtgeographie - eine nicht-positivistische Auffassung. In: Die Erde 112, S. 173-184.
Lichtenberger, Elisabeth (1986/91): Stadtgeographie. Bd. 1: Begriffe, Konzepte, Modelle, Prozesse. Stuttgart: Teubner 2. Aufl. 1991 (1. Aufl. 1986). 303 S. = Teubner Studienbücher d. Geogr.
Knox, Paul L. und Peter J. Taylor (Hg.) (1995): World cities in a world-system. Cambridge: Cambridge Univ. Press. 335 S.
Sassen, Saskia (1994): Cities in a world economy. Thousand Oaks, Cal.: Pine Forge. 157 S. = Sociology for a New Century. (Schlechte) deutsche Übers.: Metropolen des Weltmarkts. Die neue Rolle der Global Cities. Frankfurt a.M.: Campus 1996. 188 S.
Das Konzept der globalen Gliederung des Städtewesens in Kulturerdteile bzw. "Zivilisationen"
Forschungsansatz versteht sich als Alternative zur positivistisch-nomologischen Stadtgeographie und betont die regionalen Eigenarten von Städten. Diese werden zunächst im Sinne des morphologischen Forschungsansatzes beschrieben und dann als Ergebnis histo-risch-kultureller Prägekräfte (einschl. sozialer, wirtschaftlicher und politischer Faktoren) erklärt bzw. interpretiert. Die dabei verwendete Typologie knüpft meist an das Konzept der "Kulturerdteile" von Albert Kolb an und unterscheidet meist 10 Typen bzw. Regionen von Städten:
Europa (Mittel-, Nord-, West-, Südeuropa; nicht: Osteuropa);
Sowjetunion (Rußland/GUS/ehem. sozialistische Staaten; Stellung der ostmittel-europäischen Länder und der mittelasiatischen Länder umstritten);
Vorderer Orient (Nordafrika und Südwest-Asien);
Südasien (Indien, Pakistan, Bangladesch);
Ostasien (China, Japan, Korea);
Südostasien;
Australien, Neuseeland, Südpazifischer Raum;
Subsaharisches Afrika (Tropisch-Afrika und Südafrika);
Nordamerika bzw. Angloamerika (USA, Kanada);
Iberoamerika (Südamerika, Mittelamerika).
(Hofmeister nennt 12 Regionen; er unterscheidet zusätzlich zwischen Tropisch-Afrika und Südafrika sowie zwischen China und Japan).
Dies ist eigentlich ein ziemlich traditioneller Ansatz, der bereits vor dem Zweiten Weltkrieg entwickelt wurde (z.B. S. Passarge: Stadtlandschaften der Erde, 1930). In den 60er und 70er Jahren geriet er in die Kritik mit dem Argument: Solche kulturgenetisch gedeuteten morphologischen Unterschiede seien nur verblassende historische Reminiszenzen (wenn nicht gar Konstrukte von Wissenschaftlern, die mit der Realität kaum etwas zu tun haben). Dies ist die sog. "Konvergenz-These", die vor allem von modernisierungstheoretisch orientierten Sozialwissenschaftlern, insb. aus Nordamerika vorgebracht wurde:
Schnore, L. F. (1965): On the spatial structure of cities in the two Americas. In: Hauser u. Schnore (Hg.): The study of urbanization, 1965.
Hawley, A. H. (1971): Urban society: an ecological approach, 1971.
Stewig, R. (1983): Die Stadt in Industrie- und Entwicklungsländern, 1983.
Die wesentlichen Prozesse der Stadtentwicklung zeigten statt dessen ganz andere Trends:
In der Auseinandersetzung um die Divergenz- bzw. Konvergenz-Hypothese nimmt u.a. E. Lichtenberger eine vermittelnde, genauer: eine differenzierende Position ein. Sie unterscheidet zwischen varianten (kulturraumspezifischen) und invarianten (global wirkenden) Faktoren:
Invarianzen: Technologien der Produktion, des Bauens, des Verkehrs, der Ver- und Entsorgung, der Information und Kommunikation;
Varianzen: Persistenz der Stadtmorphologie, traditionelle Normen und Verhaltensweisen, politisch-administrative Organisation, städtebauliche Gestaltung, politische Leitbilder.
Vgl. E. Lichtenberger: Stadtgeographie. 1991 (1. Aufl. 1986). - E. Lichtenberger: Stadtentwicklung in Europa und Nordamerika. Kritische Anmerkungen zur Konvergenztheorie. In: R. Heyer u. M. Hommel (Hg.): Stadt und Kulturraum. 1989, S. 113-129.
Die Sichtweise der globalen Differenzierung in die "drei Welten" ist jedoch heute aus zwei Gründen überholt: erstens wegen der Implosion der sozialistischen Gesellschafts-ordnungen und zweitens wegen der Einsicht, daß die sog. Dritte Welt kaum Gemeinsamkeiten aufweist (Denkfigur "Entwicklungsländer" oder "Dritte Welt" ist ein modernisierungstheoretisches Konstrukt! Vgl. U. Menzel: Das Ende der Dritten Welt und das Scheitern der großen Theorie, 1992).
Aber was tritt statt dessen an die Stelle der verschwundenen Weltstruktur der Nachkriegszeit? Zwei Interpretationsangebote werden z.Zt. diskutiert, die möglicherweise konkurrieren, möglicherweise aber auch komplementär zu verstehen sind:
In welchem Verhältnis stehen diese beiden Deutungsangebote der "großkulturellen Regionalisierung" und der "hierarchischen Integration"? Handelt es sich um unterschiedliche, vielleicht teilweise gegenläufige Prozesse der einen Realität und somit um komplementäre Erklärungsansätze? Oder handelt es sich um konkurrierende, d.h. sich widersprechende Interpretationen der einen Realität?
Die angloamerikanische Stadt
Hofmeister, Burkhard: The North American city. In: Ehlers, Eckart (Hg.): Modelling the city. Cross-cultural perspectives. Bonn: Dümmler 1992. S. 54-64. = Colloquium Geographicum 22.
Holzner, Lutz (1996): Stadtland USA: die Kulturlandschaft des American Way of Life. Gotha: Perthes. 142 S. = Peterm. Geogr. Mitt., Erg.-H. 291.
Grund- und Aufriß:
- Schachbrettartiges, orthogonales Straßennetz, beruhend auf 2 Ursachen:
(1) Renaissance-klassizistischer Stil der Kolonialmächte,
(2) quadratische Landvermessung ab 1785, d.h. außerhalb der früh besiedelten Räume,
Rechteckige Baublöcke oft durch Hintergassen (alleys) mit Versorgungsleitungen geteilt. Ergänzt durch Diagonalstraßen: diese oft Hauptstraßen(z.B. Broadway), oder sie dienen der Heraushebung bedeutender Gebäude (z.B. in Washington).- Weiträumige Flächenausdehnung, insb. der Wohnbebauung in das Umland ("Subur banisierung", "urban sprawl"), bedingt durch:
- großen Anteil der 1-Fam.-Haus-Bebauung mit großen Flächenansprüchen,
- frühe Privatmotorisierung und forcierter Bau von Schnellstraßen.
- Beide Faktoren bedingt durch Wohlstand insb. der Mittelschichthaushalte und deren sozialkulturelle Normen.
- Hochhausbebauung in den Stadtzentren (CBD), insb. für Büros, auch Geschäftszentren im Unterschied zu den oft aus historischen Gründen geschützten Silhouetten europäischer Städte!
Prozesse:
- Schrumpfungs-/Stagnations-/Verfallsprozesse in den Innenstädten ("urban blight"):
- "Commercial blight" (Bedeutungsverlust des CBD und der anderen innerstädtischen Geschäftszentren insb. durch Konkurrenz der Shopping Center),
- "Industrial blight" (ehem. Industriegürtel, früher auf Eisenbahn u. Pendler bezogen),
- "Residential blight" (Entwertung älterer, meist stadtnaher Wohngebiete, teilw. Slum),
- aber auch Wiederaufwertung innenstadtnaher Wohnviertel ("Gentrification"),
- Wohnsegregation weitaus stärker als in Europa, Ghettobildung, insb. von Schwarzen teilw. bedingt durch hohe Mobilität der Bevölkerung,
- Suburbanisierung (residential, commercial, industrial),
- Bedeutungsverlust des altindustriellen Nordostens (frost-belt - sun-belt)
- "Counter urbanisation", d.h. überproportionales Wachstum kleinstädtischer Siedlungen auch in peripheren Regionen außerhalb der großen Agglomerationen.
Die lateinamerikanische Stadt
Einheitlicher "Kulturerdteil"? Mindestens drei Teilregionen mit
unterschiedlichen Stadtentwicklungen:
a) Hispano-Amerika (weitaus größter Teil),
b) Lusitano-Amerika (Brasilien),
c) Westeuropäisch-nordamerikanisch geprägte karibische Inseln (z.B. Puerto Rico).
Stadtentwicklung Lateinamerikas geht ganz wesentlich auf die Kolonialzeit zurück. Nur in den Regionen der indianischen Hochkulturen bestanden vorkoloniale Städte, die aber im Zuge der spanischen Eroberung zerstört wurden. Teilweise wurden auf ihren Ruinen Kolonialstädte erbaut, so daß eine Siedlungskontinuität (mit Persistenz von Grundrißformen) besteht: z.B. Mexico und Cuzco.
Der weitaus größte Teil der Städte sind aber koloniale Neugründungen, von denen wiederum der größte Teil aus der ersten Phase (1520-1580) stammt; bis ca. 1630 erfolgte eine Konsolidierung mit der Herausbildung einer Hierarchie durch die Konzentration politischer und ökonomischer Funktionen. Bis zur Mitte des 19. Jh. kaum Veränderungen der großräumigen Gefüges. Allerdings im 18. Jh. einige neue Gründungen, wie Bergbaustädte in Mexico und militärisch motivierte Gründungen an den "Kriegsfronten", d.h. den Kolonisationsfronten gegen die Indianer, wie z.B. Montevideo 1726).
Funktion der Gründungsstädte: bis zum 19. Jh. nicht Mittelpunkte flächenhafter Besiedlung, sondern punktuelle Stützpunkte der politischen Eroberung und Machtsicherung und der Ressourcenausbeutung (Edelmetalle, Zuckerrohr) durch Spanien und Portugal. Deutlicher Unterschied zwischen:
Hispano-Amerika: Spanier gründeten Hauptstädte aus symbolischen Gründen häufig an den im Binnenland gelegenen Standorten der indianischen Mittelpunktsiedlungen, z.B. Mexico, Bogota, Quito; dadurch entstanden oft Städtepaare Hauptstadt-Hafenstadt, z.B. Quito-Guayaquil; Santiago-Valparaiso; daneben aber auch Küstenstandorte: Havanna, Santo Domingo, Buenos Aires;
Lusitano-Amerika: fast ausschließlich Gründungen in Küstenlage als koloniale "Brückenköpfe" wie Salvador, Rio, Belem, Recife usw.; Ausnahme: Sao Paulo.
Grundrißstruktur der spanischen Kolonialstadt:
Ursprung: Leitbild der geometrischen Idealstädte der Renaissance, entwickelt insb. von italienischen Stadtbaumeistern, indirekt zurückgehend auf die griechisch-römische Stadt ("Hippodamisches Schema"). Damit nicht Übertragung traditioneller mittelalterlicher Stadtformen Spaniens, sondern ästhetisches Prinzip des Renaissance-Städtebaus, das von Stadtbaumeistern ("praktischen Mathematikern") entworfen und per königliche Anweisung überall angewandt wurde.
Auch die kolonialportugiesischen Städte folgten weitgehend dem Schachbrettmuster, allerdings mit einem geringeren Schematismus. Das 1549 als Hauptstadt gegründete Sao Salvador da Bahia wurde als Festungsstadt in Küstenlage errichtet; ähnlich Rio 1565.
Größte Städte: 16./17. Jh.: das 1546 auf dem bolivianischen Hochland gegründete Potosí mit ca. 100- bis 150.000 Ew. (Silberbergbau!), im 18. Jh. zurückgehend; zu Beginn des 19. Jhs.: 3 Städte >100.000 Ew.: Mexiko, Salvador sowie nach 1808 (Verlegung des protugiesischen Hofes) auch Rio; über 50.000 Ew. zählten Havanna und Lima (ebenso wie Mexico Sitz eines spanischen Vize-Königs).
Entwicklung zur heutigen Stadt: explosionsartiges Wachstum, insb. im 20. Jh., dabei völlige Überformung:
Hauptprobleme:
Die schwarzafrikanische (subsaharische) Stadt
Nur in einigenTeilräumen ältere Stadtkulturen (Sudanzone, Yoruba-Städte in Nigeria); in der Regel gehen die schwarzafrikanischen Städte auf koloniale Gründungen zurück: zuerst isolierte Handelsstützpunkte, dann als Hauptstädte der Kolonien Verwaltungs-, Militär- und Handelszentren, insb. an den Küsten; daneben auch kleinere Regionalzentren.
Kern: ehem. Europäerviertel mit meist quadratischen bzw. rechtwinkligem Straßennetz, heute meist zur modernen Geschäftscity mit Büros, Geschäften, modernen Apartments, daneben oft noch ältere kolonialzeitliche Häuser erhalten.
Davon räumlich kraß getrennt:
- Oberschichtviertel mit offener Villenbebauung (meist sektoral angeordnet), afrikanische Oberschicht + Europäer,
- traditionelle Afrikaner-Viertel, teilw. Hütten, teilw. "low-cost-houses" des öffentl. Wohnungsbaus; Mittelpunkte: Afrikanermärkte,
- dazwischen: kleinere Mittelschichtquartiere,
- außerhalb: Spontanansiedlungen ("Squatter", "Bidonville").
Hauptprobleme: ähnlich wie bei lateinamerikanischer Stadt
- Land-Stadt-Wanderung oft, aber nicht notwendig mit sozialer Entwurzelung verbunden ("Detribalisierung"); teilweise Übertragung sozialkultureller ländlicher Lebensformen in die Städte.
- Koloniales Erbe wirkt noch sehr viel stärker nach als in Lateinamerika ("ökonomischer und kultureller Neo-Imperialismus"); dieses wird allerdings auch von den einheimischen Regierungen und Eliten oft als Entschuldigung für Unfähigkeit und Korruption beschworen.
- Die wirtschaftliche Stagnation der 80er und 90er Jahre hat zu einer weiteren Verarmung großer Bevölkerungsteile und zu einer Verschärfung der innerstädtischen Segregation geführt.
Die orientalische Stadt
Ehlers, Eckart (1993): Die Stadt des Islamischen Orients. Modell und Wirklichkeit. In: Geogr. Rundsch. 45, S. 32-39.
Zusammenfassende Diskussion der zahlreichen vorliegenden Modellentwürfe; betont vor allem die Überwucherung der traditionellen Medina und ihrer Bazarwirtschaft durch die moderne Urbanisierung.
Verbreitung dieses Stadttyps im wesentlichen im islamisch-orientalischen Kulturkreis, d.h. zwischen Marokko und Pakistan; jedoch sind wesentliche Merkmale vorislamisch geprägt, lediglich der Bazar entstand im islamischen Mittelalter; desh. spricht man sinnvollerweise nicht von der "islamischen", sondern von der "orientalischen" Stadt!
Typische Merkmale des Grundrisses:
- Verzweigtes, unübersichtliches Sackgassensystem der Straßen.
Entstehung seit der Antike in einem langen Prozeß aus einem zunächst regelhaftem Straßennetz, dann überall verbreitet.
Gründe:- Übergang vom antiken Wagenverkehr zum Tragtierverkehr,
- Sackgassen als halböffentliche Bereiche, d.h. Absonderung in private Sphäre der Wohnhöfe, halböff. Sackgassen und öff. Bereiche der Bazare und Hauptstraßen.
- Wohngebäude: ummauerte Wohnhöfe (Atriumhaus) seit der Antike nur wenig verändert.
- Zentrum: Hauptmoschee und zentraler Basar.
Basar entstand seit dem Mittelalter als kommerzielles Zentrum; nach außen abschließbar, im Inneren differenziert in Handwerkergassen, Einzelhandelsgassen nach Branchen,
"Khane" = Großhandelshöfe und teilw. Karawansereien;- Wohnquartiere meist streng nach ethnischen/religiösen Gruppen getrennt, z.B. erkennbar an den Kirchen/Moscheen/Synagogen, kleinere Bazare, Koranschulen, Badehäuser ("Hammam"), Armenküchen etc.
Im 19. und 20. Jh. westliche Überprägung durch britische und französische Kolonialmächte und durch moderne Weltwirtschaft:
Oft moderner CBD neben der traditionellen Stadt, so daß eine zweipolige Struktur entstand; teilweise auch moderne Straßendurchbrüche und CBD-Entwicklung in der traditionellen Stadt (Ideal der modernen westlichen Stadt als Ziel harter Modernisierungspolitik, weniger der Kolonialmächte, sondern vor allem der einheimischen Eliten und Regierungen).
Heute ist ein differenziertes Neben- und Miteinander traditioneller und moderner Elemente charakteristisch für die orientalische Stadt. Ehlers 1993: Einheitlichkeit des Modells fraglich, gilt allenfalls für 19. Jh., heute vielmehr zunehmende Differenzierung.
Starkes Wachstum der Städte (hohe Geburtenraten in den muslimischen Ländern und anhaltendes Land-Stadt-Wachstum). Folge: starkes Wachstum der Marginalsiedlungen; teilw. Entstehung von Megastädten (Kairo, Istanbul, Teheran, Karachi).
Die chinesische Stadt
Taubmann, Wolfgang (1993): Die chinesische Stadt, GR 45, 420-428.
Prägende kulturspezifische Faktoren:
1) Traditionelle Elemente der chinesischen Stadt in der Kaiserzeit
Traditionelle Elemente der chinesischen Stadt sind heute nur noch im Grundriß und in Einzelgebäuden nachvollziehbar.
Prinzip: Die Stadt ist ein "kosmo-magisches Symbol", d.h. Abbild des Kosmos (kreisförmiger Himmel und quadratische Erde). Gestaltungselemente: Achsialität, Symmetrie und Orientierung an Himmelsrichtungen.
Nach konfuzianischer Gesellschaftslehre hierarchischer Aufbau:
im Zentrum Palast des Kaisers (= "Himmelssohn") oder Fürsten, daran anschließend in quadratischer bzw. rechteckiger Anordnung die Wohnviertel mit zentral-peripherem Sozialgefälle.
Mikrokosmos der Stadt ist Abbild des Makrokosmos: hierarchisches Gefüge.
Die Stadt ist Symbol der Gesellschaft bzw. der staatlichen Ordnung und zugleich Symbol des Kosmos.
Geomantik (chines. Naturphilosophie): Kräftedualismus (yin-yang) auf den Raum
übertragen: z.B. Himmelsrichtungen: N = weiblich, passiv, dunkel,
S = männlich, aktiv, hell.
Peking: an der Südachse die wichtigsten Gebäude; im N der wenig angesehene
Handel; Gebäude sind prinzipiell nach S ausgerichtet.
Wichtigster Stadttyp: "Kreisstadt", insg. ca. 2000, immer mit Mauer, meist nur 4 Tore; typ. Elemente: "Yamen" (Sitz des kaiserlichen siegelführenden Beamten), Tempel oft auch heute noch erkennbar; viele Bezirke durch Mauern abgesondert.
Städte waren Stützen der feudalen Gesellschaftsordnung, kein liberales Bürgertum!2) Ab Mitte 19. Jh. bis 1949: Einflüsse westlicher Länder und Bautraditionen, insb. in den sog. Vertragshäfen-Städten (1842ff.) mit Konzessionsgebieten und ausländischen Handelsniederlassungen (insb. Shanghai, Kanton/Guangzhou, Tientsin, "Kolonien" Hongkong (brit.) und Tsingtau (dt.) und Port Arthur (russ.)). Dort zunächst räumlich abgegrenzte Ausländerbezirke, später Citybildung in Altstadtkernen.
3) Seit Gründung der Volksrepublik China 1949: Transformation zur "sozialistischen" Stadt (Symbiose aus traditionellen und sozialistischen Merkmalen).
Slogan: "Konsumentenstädte in Produzentenstädte umwandeln!"
Einerseits: Maoismus stadtfeindlich, andererseits: Industrialisierung nach sowjetischem Vorbild, d.h. insb. Aufbau der Schwerindustrie z.B. westl. Beijing
z.B. 1958-76: 80 % aller staatl. Investitionen in die Industrie.
Folge: Vernachlässigung der Infrastruktur und des Wohnungsbaus.Beseitigung der feudalen Stadtelemente: anstelle der Adelspaläste oft repräsentative öffentliche Gebäude; Bau monotoner Wohnsiedlungen, meist in der Nähe von Industriebetrieben, teilw. auch flächenhafte Sanierungen in den Altstädten mit monotoner Neubebauung.
Drangvolle Enge: 1965: 3,7 qm pro Person, 1991: 6,9 qm !
Wohnraum ist praktisch kostenlos; kein privater Wohnungsbau in den Städten, keine Suburbanisierung, sondern Außenwachstum durch staatliche Industriebetriebe oder städtischen Wohnungsbau.
4) Tendenzen seit der Reform- und Öffnungspolitik 1980ff.
Starkes Außen- und Innenwachstum, insb. Außenring mit Industrie und Wohnquartieren wachsende Heterogenität sowohl zwischen den Städten als auch in den Städten.
Boom in Sonderwirtschaftszonen und ETDZs (Econ. a. Tech. Dev. Zones) mit westl. Städtebau und modernen Hochhäusern (neue Millionenstadt Shenzhen zwischen Guangzhou und Hongkong); andererseits Restauration traditioneller "Kulturstraßen" insb. für westl. Touristen.
Die japanische Stadt
Traditionelle Stadt (d.h. vor der Meiji-Restauration 1867):
Weitaus wichtigster historischer Typ: Burgstadt (Jokamachi);
rund die Hälfte aller japanischen Städte geht auf die Burgstädte zurück (1890 waren von den 43 Präfekturhauptstädten allein 29 ehem. Burgstädte); gegr. 16.-18. Jh. durch die ca. 260 japanischen Feudalherren ("Daimyos"), vergleichbar mit den europäischen Fürstenstädten.
= Ausdruck der feudalen Gesellschaftsordnung:
Kern: Burg bzw. befestigter Palast des Daimyo, durch Gräben und Wälle geschützt;
anschließend Wohnbereiche der höheren und niederen Krieger (Samurai-Klasse);
außerhalb der Gräben und Wälle: Bürgerstadt der Handwerker und Händler; Handwerk und Handel waren auf den Bedarf der Daimyo-Höfe ausgerichtet;
daneben einzelne "Kerne": buddhistische Tempel bzw. Klöster und shintoistische Schreine.Nach dem Verlust der feudalen Privilegien 1867: Burgstädte werden vielfach zu Verwaltungsstädten.
Bsp: Burgstadt "Koriyama" aus Gutschow.
Burg errichtet 1586 in der Yamato-Ebene (östl. Osaka),
Lage: an einer Straße von Nara (im N) nach Kasiwara (im S)
auf einem Hügel westl. der Straße Burg des Daimyo
daran anschließend auf 3 Seiten: Samurai-Viertel
östl. und nordöstl.: "Choninmachi" d.h. Viertel der Handwerker und Händler
Andere historische Typen:
Rast-oder Stationsorte (shukuba-machi),
Hafenorte (minato-machi) (erst ab 1867 dominierend!)
Marktorte (ichiba-machi)
Kur- und Badeorte (onsen-machi)
Chinesischer Einfluß der Geomantik: N-S-Orientierung der historischen Stadtanlage.
Häuser: meist nur eingeschossige Holzhäuser, desh. ist heute nur wenig historische Substanz erhalten.
Nach der sog. Meiji-Restauration 1867 Umwandlung zur modernen kapitalistischen Stadt:
- extreme Urbanisierung mit Land-Stadt-Wanderungen und hohen Wohndichten (15.000 Ew pro ha); kleine Wohnungsgrößen und nur ca. 10-15 qm Wohnfläche pro Ew.;
Gründe:- Massenwohlstand erst seit 60er Jahre,
- exorbitante Bodenpreise in den Städten,
- starke Zentralisierung der Funktionen in den Stadtkernen.
- hohe innerstädtische Verdichtungen, auch unterirdische Shopping-Center,
charakteristische Kombination: CBD bestehend aus Einzelhandel, Verwaltungen und Vergnügungsviertel; starkes Wachstum dieser innerstädtischen Geschäfts- und Vergnügungsviertel, teilweise unterirdisch angelegt (wg. hoher Bodenpreise);- Nebeneinander von kleinen 1-Fam.-Häusern auf kleinen Parzellen und Hochhäusern in Stahlskelettbauweise (wg. Erdbebengefahr früher keine dichte Bebauung),
mehrgeschossiger Mietwohnungsbau in Großwohnsiedlungen ("danchi") durch private Investoren oft an Pendlereisenbahnstationen;- extreme Zersiedlung der Umlandzonen bei (im Vergleich zu Europa) ineffizienter Stadtplanung,
- Mangel an innerstädtischen Freiräumen (wichtig: Parks der Tempel und der ehem. Burgen, heute oft Funktion von öff. Stadtparks),
- große Verkehrsprobleme aufgrund der Privatmotorisierung (aber noch geringer als in Europa und Nordamerika!) und der hohen Dichten: aber auch effizienter ÖPNV, Stadtautobahnen.
- Insg.: interessante eigenständige Symbiose autochthoner und westlicher Elemente.
Scharfer Kontrast der Planungstraditionen heraus: Während die westliche Stadtplanung von einem starken antimetropolitanen Akzent (Mißtrauen gegen große Städte, suburbanes Ideal der bürgerlichen Mittelschichten) gekennzeichnet werde, ist die Grundeinstellung in Japan gegenüber Zentralismus und Metropolen uneingeschränkt positiv.
Tokyo: größte Stadtagglomeration der Erde mit ca. 32 Mio Einwohnern;
Entwicklung von Tokyo:
1590-1868 Burgstadt Edo; 1590 errichtete der mächtige Tokugawa Shogun bei einem kleinen Fischerdorf eine Burg. Gemäß dem sog. "Sankin-kotai"-System verbrachten die Regionalfürsten (Daimyo) mit ihrem Gefolge (insb. den Samurai) eine große Zeit des Jahres am Hof des Shoguns und errichteten Wohnquartiere mit einer unregelmäßigen Straßenführung (im S und W des Burgbezirks; dieser Samurai-Bezirk hieß "Yamanote", locker bebaut mit Gärten, ca. 2/3 der Stadtfläche umfassend). Östl. der Burg siedelten sich Händler, Handwerker und Künstler an (Zentrum: Nihonbashi); regelmäßiger geplanter Straßengrundriß mit großer Bevölkerungsdichte (ca. 15-20% der Stadtfläche). Ferner ca. 1000 buddhistische Tempel und Shinto-Schreine in öff. Grünanlagen waren über das Stadtgebiet verteilt (ca. 15-20% der Stadtfläche). Nach starkem Wachstum dürfte Edo bereits Anfang des 18. Jhs. die 1-Mio-Ew-Grenze überschritten haben (und war wahrscheinlich mit Peking die größte Stadt der Welt; bis es um 18910 von London überholt wurde; neben Edo als dem politischen Machtzentrum Japans waren Kyoto als Kaiserstadt und symbolisches Zentrum sowie Osaka als Handelsstadt bedeutsam). Der Adel mit Gefolge einerseits und die Bürgerstadt andererseits umfaßten jeweils ca. 500000 Ew.
Mit der Meiji-Restauration und dem Ende des Sankin-Kotai-Systems (Samurai-Exodus) fiel die Bevölkerungszahl Edos/Tokios vorübergehend auf ca. 500000, wuchs dann aber wieder rasch an, so daß schon um 1910 2 Mio erreicht wurden; erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in den 50er Jahren London überholt und Tokkio zur größten Stadt der Erde.
Mit der Meiji-Modernisierung setzte eine starker Stadtumbau ein: die City wurde nach europ. Vorbild radikal umgebaut: u.a. wurde das Ginza-Viertel ("Ginza Brick Quarters Project) 1872-77 nach europ. Modell neu geplant und zum kommerziellen Kern; ab ca. 1890 ging die Europa-Orientierung zurück, mächtige Privatinvestoren und die Regierung bestimmten die weitere Entwicklung. Die Investitionen richteten sich insb. auf die City und die ehem. Samurai-Viertel (Yamanote) im S und W des Palastbezirks.
Folge: Dreiteilung der Stadt: 1) CBD-Bezirk um Hbf (westl.: Behörden, Nihonbashi: Großhandel, Ginza: Einzelhandel); 2) Yamanote als Mittel- und Oberklasse-Wohnviertel; 3) Shitamachi östl. d. CBD: Handwerker, Kleingewerbe, Arbeiter. 1923 Erdbeben mit anschließendem Feuer kostete 70000 Menschenleben und 61% der Bevölkerung wurde obdachlos; Wiederaufbau berücksichtigte teilweise Präventivmaßnahmen: Steinbau, Stahlskelettbau für Hochhäuser, Parks als Fluchträume.
Weiteres Wachstum 30er-70er Jahre: hauptsächlich nach W, SW und N; Expansion erforderte weite Pendlerwege; Bahn erhielt Schlüsselstellung, sowohl staatl. Bahn als auch private Bahnen; sie kauften Land auf und Bauten Satellitenstädte; Suburbanisierung wurde insb. von den Mittelschichten getragen. Die Bahnknoten Shinjuku und Shibuya (sowie Ikebukuro und Ueno) antwickelten sich zu eigenständigen CBD-Bezirken; d.h. Tokyo wird immer mehr zu einer polyzentrischen Metropole.
Bedeutende Unterschiede zu westlichen Metropolen:- Traditionelle Holzbauweise und Erdbeben/Feuer resultieren in häufige Neubauten, meist 2x pro Generation; nicht das Haus, sondern der Boden ist das Wertvolle; positive Einstellung gegenüber Neuem.
- Hohe Dichte (überbaute Fläche, Wohndichte), extrem hohe Bodenpreise, aber auch niedrige Pkw-Raten; einerseits miserable Wohn- und Pendlerverhältnisse; andererseits eher "nachhaltig" als EU und USA.
- Geringe kommunale Autonomie. Stadtplanung Tokios wurde immer stark von der Regierung beeinflußt; wenig Kompetenzen der Stadtplanung (weder komm. Wohnungbau wie in UK noch Flächennutzungskontrolle wie in USA; Planung wahr immer wirtschaftsfreundlich und auf Projektlösungen ausgerichtet.
- Suburbia als eigenständige Form zwischen Stadt und Land wie in den USA und im Gartenstadt-Modell ist weitgehend unbekannt. Ehem. Vorortsiedlungen werden im Zuge des Wachstumsprozesses in die Stadt inkorporiert. Dahinter stehen kulturelle Unterschiede: Leben auf dem Lande (mit intakter traditioneller Sozialkultur, "grassroot democracy" oder Ökobewußtsein) ist in Japan unpopulär; Naturbewußtsein ist zwar stark ausgeprägt, aber eher in symbolisch-stilisierter Form in Parks und Gärten.
Neue Wachstumsspitzen wegen der großen Entfernungen nicht nur am äußeren Rand, sondern auch:
"Teleport Town" in der Tokyo-Bucht auf Aufschüttungsgelände, verbunden mit der Stadt durch eine Schnellstraße und eine automatische Hochbahn. Geplant seit 1989 als Investition der Stadt als Demonstrationsprojekt für eine Ausstellung der Weltstädte gegen Ende des Jahrzehnts. Als 1991ff. die Rezession einsetzte und sich viele private Investoren zurückzogen, geriet das Projekt in eine Krise. Erste Amtshandlung des neugewählten Bürgermeisters im Sommer 1995: Absage der Ausstellung. Stand 1997: Gesamte Infrastruktur steht; einzelne Gebäude stehen zwischen großen Brachflächen.
Fläche: 448 ha, Plan: 110000 Arbeitsplätze, 63000 Wohnbevölkerung.- Mittelpunkt: 4 km lange 80 m breite Promenade (völlig ohne Tradition in Ostasien!), offiziell begründet wegen Erdbeben-Sicherheitszone, aber funktionslos und öde.
- "Joypolis" der Fa. Sega als Spiele- und Vergnügungszentrum mit Hotels, Restaurants usw.
- 23 ha Messe-und Ausstellungsgelände (größtes in Tokyo).
Ursachen der unipolaren Konzentration auf Tokio:
- historisch weit zurückreichende straffe Zentralisierung des Landes (während der Shogunatsregierung in der Residenz- und Regierungsstadt Edo, ebenso nach der Meiji-Restauration 1867, 1868 Verlegung der Hauptstadt von Kyoto nach Tokio);
- ökonomische Zentralisierung im Zuge der Kriegswirtschaft 1937ff. und der US-Besatzungszeit;
- Globalisierung führte seit 1980er Jahre zur Entwicklung zur Global City;
- enges Zusanmmenspiel von Wirtschaft und Politik,
- Bedeutung der Face-to-face-Kontakte für Unternehmen und Dienstleistungen u. Medien auf hochkompetitiven Märkten;
- Prestigedenken (Standort Tokio für Karriere, Hochschulausbildung, Verwaltungsstandort usw.)
Probleme der Ballung:
- extrem hohe Boden- und Immobilienpreise (in der Bubble-Economy überhöht);
- hohe Pendlerdistanzen und Pendlerzeiten ("Pendlerhölle");
- hohe Verkehrsbelastung, zahlreiche Staus trotz Road Pricing und niedriger Motorisierung;
- hohe Umweltbelastungen;
- mangelnde Grün- und Freiflächen:
- hohes Risiko gegenüber Naturkatastrophen, insb. Erdbeben.
Soziokulturelle Voraussetzungen für die Akzeptanz der Ballung:
- traditionell positive Besetzung von Größe, Wachstum, Modernität;
- traditionell enges Zusammenleben der Menschen;
- Fähigkeit zur partiellen Verdrängung und selektiven Wahrnehmung der Umwelt;
- Fehlen der Polarisierungs- und Verfallserscheinungen von Megastädten anderer Länder (ethnisch homogene Bevölkerung, niedrige Einkommendisparitäten, niedrige Kriminalität usw.);
- leistungsfähiger ÖPNV und Fortschritte der Umweltpolitik.