Geschichte der Stadtplanung

Antike, Hoch- und Spätmittelalter

Regelhafte Entwicklung von Städten in der Geschichte: nicht planlose Entwicklung (z.B. aus ländlichen Siedlungen), sondern planvolle Anlage, meist durch den jeweiligen Landesherrn. Dies gilt sowohl für Neugründungen als auch für Stadterweiterungen. Phasen der stärkeren Planung (z.B. Antike, Hochmittelalter) wechselten ab mit Phasen des tendenziell planlosen Wachstums (z.B. Entstehung der sog. Mutterstädte im 10./11. Jahrhundert).

Planvolle Gründungen bzw. Stadterweiterungen lassen sich bis heute vor allem an geometrischen Grundrißformen des Straßennetzes erkennen. Hauptmuster: rechtwinklige Straßenführung mit rechteckigen oder sogar quadratischen Baublöcken. Berühmtes Vorbild: sog. "hippodamisches Schema" (geometr. Straßengrundriß von Hippodamus beim Wiederaufbau von Milet 450 v.Chr.) als Prinzip der antiken mediterranen Stadt. Im Hoch- und Spät-Mittelalter meist (nicht streng) rechtwinklige bis leiterförmige Planformen.

Frühe Neuzeit (Renaissance und Barock)
Renaissance: "Idealstadt"-Entwürfe mit strengen geometrischen Mustern, meist von "praktischen Mathematikern" wie Stadtbaumeistern und z.B. von Albrecht Dürer. Realisiert wurden in dieser Zeit (insb. 16. und frühes 17. Jh.) insbesondere Festungsstädte (z.B. Neu-Breisach, Palmanova), Bergstädte (z.B. Freudenstadt) und Exulantenstädte (z.B. Karlshafen).

Barock/Absolutismus: Absolutistische Städtegründungen und Stadterweiterungen durch die Landesherren, insb. Residenzstädte mit geometrischen Stadtgrundrissen (z.B. Karlsruhe strahlenförmig, z.B. Ludwigsburg rechtwinkling) und Betonung der Sichtachsen.

 

Stadtplanung des Industriezeitalters

Beschränkung auf staatliche Rahmenplanung: 1800-1875

In dieser Phase ersten Phase des Industriezeitalters kaum Stadtplanung (liberale Staatsauffassung!). Zum Beispiel Preuß. Allg. Landrecht 1794: "In der Regel ist jeder Eigentümer, seinen Grund und Boden mit Gebäuden zu besetzen oder seine Gebäude zu verändern wohl befugt." ... "doch soll zum Schaden oder zur Unsicherheit des gemeinen Wesens oder zur Verunstaltung der Städte und öffentlichen Plätze kein Bau und keine Veränderung vorgenommen werden."

Staatliche Bauordnungen (z.B. Preußen 1641, 1763, 1853).

In vielen Städten wurden jedoch, oft auf Veranlassung der Regierung (in Preußen z.B. des jeweiligen Regierungspräsidenten) Stadterweiterungspläne (= Straßen- und Fluchtlinienpläne), erstellt. Berühmtes Beispiel: sog. Hobrecht-Plan für Berlin 1862. In diesen Plänen wurden lediglich die Straßen- und Fluchtlinienverläufe festgelegt; die Parzellenbebauung war offen (und nur durch rahmensetzende Bauordnungen geregelt).

Baustil: Klassizismus und Biedermeier.

 

Gründerzeit: Primat des technischen Städtebaus 1875-1895

1875 Preußisches Fluchtliniengesetz; damit neu:
- Planung von Stadterweiterungen als städtische Aufgabe;
- Ermächtigung der Städte zur Heranziehung der Anlieger zur Mitfinanzierung neuer Straßen und ggfs. Enteignung;
Planung war aber im übrigen im wesentlichen nur Straßen- und Fluchtlinienplanung.

Ergänzung der baupolizeilichen Anliegen um Sicherheit und Ordnung (insb. Feuersicherheit, Standfestigkeit etc.). Technische Neuerungen: Wasser, Gas, Abwasser, Verkehr; damit wurde der Bau und die Unterhaltung der technischen Infrastruktur zur kommunalen Aufgabe.

Entwicklung des Städtebaus als wissenschaftliche Disziplin; bedeutende Autoren bzw. Werke: Reinhard Baumeister 1876, Camillo Sitte 1889, Joseph Stübben 1890.

Baustil: Historistischer Eklektizismus (Imitate und Zitate historischer Stile von der Gotik bis zum Klassizismus).

 

Gründerzeit: Erste Reformbestrebungen 1895-1918

Ab 1890/95: sog. Zonen- bzw. Staffelbauordnungen.

Damit allmählicher Übergang von der Rahmenplanung des Fluchtlinienplanes zum "Generalbebauungsplan" oder "Flächenaufteilungsplan". Dafür benötigte man "Stadtmodelle" z.B. v. Theodor Fritsch (1896).

Große Resonanz sozialreformerischer Ideen:

- Beseitigung des Wohnungselends (Wohnungs- und Städtebau als gesellschaftspolitische Aufgabe unter dem Eindruck der städtischen Slums und Mietskasernen),

- Ausbreitung von Wohnungsbaugenossenschaften (Selbsthilfe-Gemeinschaften für Wohnungsbau, meist Berufsgruppen),

- "Gartenstadt-Idee" als weltweit wirkender Reform-Impuls: Ebenezer Howard 1898: "Garden Cities of To-morrow", danach in UK zahlreiche gartenstadtähnliche Siedlungen und New Towns; in Deutschland aber nur teilweise verwirklicht, meist nur als neue, durchgrünte und einheitlich geplante und gebaute Stadtteile, oft in genossenschaftlichem oder Werks-Eigentum (KA-Rüppur, Dresden-Hellerau, E-Margarethenhöhe).

Baustil: ca. 1898 - ca. 1910: Jugendstil; dann Nebeneinander unterschiedlicher Stilrichtungen, z.T. Heimatstil, z.T. Eklektizismus, z.T. Expressionismus.

 

Die Stadtplanung der "Moderne" (1918-1975)

Durchbruch der Moderne (1918-1933)

Städtebauliches Leitbild der "Moderne" als Antithese zur gründerzeitlichen (Mietskasernen-)Stadt:
- Gliederung und Auflockerung durch Licht, Luft, Grün,
- Absonderung störender Nutzungen,
- Begrenzung der Wohndichte,
- Orientierung an öffentlichen Nahverkehrsmitteln,
- "Nachbarschaftseinheiten" gegen großstädtische Anonymität,
- Städtebau und Wohnungsbau als kommunale Aufgabe.

Äußerliches Merkmal: Aufgabe der geschlossenen Blockrandbebauung zugunsten einer halboffenen und offenen Bauweise, z.B. in Zeilenbauweise.

"Funktionalismus" in Architektur und Städtebau. Ziel: "Funktionaler Umbau der Stadt".

Wichtigste Impulse des modernen Städtebaus gingen aus von:

1) Bauhaus 1919-1933 Weimar/Dessau, dann aufgelöst, wichtige Architekten und Städtebauer emigrierten nach Nordamerika, z.B. Walter Gropius und Bruno Taut, Mies van der Rohe u.a.; Ziel: klare funktionale Formensprache, gegen zweckfreie Ornamentik, für Flachdach statt Satteldach.

2) CIAM ("Congrès International d'Architecture Moderne") 1928ff. Hauptvertreter: Le Corbusier: Er veranlaßte die berühmte "Charta von Athen" 1933 mit Forderungen:
- Forderung nach Bodenreform aus kollektivem Interesse,
- strikte Trennung der 4 Funktionen "Wohnen", "Arbeiten", "sich erholen" und "sich bewegen".

 

 

Nationalsozialistische Stadtplanung

Instrumente: Wohnsiedlungsgesetz 1933: "Wirtschaftsplan" für die gesamtstädtische Entwicklung (ähnlich FNP).

NS-Stadtplanung:

einerseits: antiurban, "Überwindung der Großstadt", Pläne zur Re-Agrarisierung der Gesellschaft in der völkisch-konservativen Denktradition;
andererseits: Pläne zum monumentalen Ausbau von Berlin (neue Welt-Hauptstadt), München, Nürnberg, Linz, Hamburg und den (anderen) Gauhauptstädten.

Städtebau als Bau von städtebaulichen Symbolen des NS-Staates und der nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung.

Dies dokumentierte sich vor allem in zwei Prinzipien:

1) monumentale Bauten (insb. Versammlungshallen, Triumphbögen), breite Achsen und Plätze für Aufmärsche und Massenversammlungen;

2) zellularer hierarchischer Aufbau der Städte (sozialräumliche Gliederung) parallel zur Parteiorganisation: "Ortsgruppe als Siedlungszelle".

Diese Pläne wurden aber nur ansatzweise realisiert.

1) "Führerhauptstädte": Berlin als Reichshauptstadt, München als "Hauptstadt der Bewegung", Nürnberg als "Stadt der Reichsparteitage", Hamburg als "Tor zur Welt" sowie Linz als Heimatort Hitlers.

2) Gauhauptstädte als weitere Schwerpunkte der Umgestaltung im NS-Geist;

3) weitere nationalsozialistische "Musterstädte":
a) Wolfsburg ("Stadt des KdF-Wagens") von Peter Koller 1938ff. geplant und dann errichtet; Plan entsprach eher allgemeinen modernen städtebauliche Prinzipien (z.B. mit funktionaler Gliederung und Stadtkrone), ergänzt durch NS-spezifische Achsen und zentrale Parteigebäude;
b) Salzgitter ("Stadt der Hermann-Göring-Werke"), NS-Element: Nachbarschaft mit einer Größe der Partei-Ortsgruppe von ca. 6000 Ew.

4) Stadtplanung für "eingedeutschte" Städte im eroberten Osten.

Baustil: Ablehnung der "Bauhaus-Moderne", einerseits Heimatstil, andererseits Monu- mentalbau.

1939-45: Zerstörungen durch alliierte Luftangriffe.

 

 

Frühe Nachkriegszeit: Die Phase des Wiederaufbaus 1945-1960

Leitbilder: 1. Die gegliederte und aufgelockerte Stadt,
2. Gartenstadt;

Städtebauliches Leitbild, anknüpfend sowohl an die Weimarer Zeit als auch an den NS-Städtebau: die "gegliederte und aufgelockerte Stadt", mit funktionalen Einheiten (Übernahme des Nachbarschaftskonzepts) und Elementen der Gartenstadtidee.

Großer Problemdruck: Wohnungsnot aufgrund der Kriegszerstörungen und der Zuwanderung von Flüchtlingen und Vertriebenen. Deshalb stand zunächst die quantitative Aufgabe des Wiederaufbaus der zerstörten Städte und Schaffung von ausreichendem Wohnraum im Vordergrund. Diese gewaltige Aufgabe bedeutete für die städtebauliche Planung einerseits eine große Faszination wegen der historisch einmaligen Chance, etwas grundsätzlich Neues schaffen zu können, andererseits herrschte in der jungen Bundesrepublik eine generelle Planungsfeindlichkeit (als Reaktion auf zentralstaatliche Planungen des Dritten Reiches und der DDR).

Wiederaufbau der Städte unterschied sich im einzelnen je nach Grad der Zerstörung, aber auch je nach 'konservativer' oder 'progressiver' Stadtplanung. Konservativ z.B. Münster, progressiv z.B. Hannover, Wesel.

Gesetzliche Grundlagen: Aufbauggesetze der Länder 1949, 1950;
Bundesbaugesetz 1960 als erstes Städtebaugesetz der BRD (dem Leitbild dieser Phase verpflichtet).

Vertreter dieser Phase: H. B. Reichow 1948, J. Göderitz 1957.

Baustil: gemäßigte Moderne.

  

Wachstum und Verdichtung 1960-1975

Um 1960 zunehmende Kritik am Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt, z.B.: Jane Jacobs 1963, H. P. Bahrdt 1961, Alexander Mitscherlich 1965.

 

Neue Leitbilder: intensives und vielgestaltiges Leben, "Dichte und Urbanität" (bzw. in extremer Variante: "Urbanität durch Dichte") und "verkehrsgerechte Stadt". Daneben auslaufend: "gegliederte und aufgelockerte Stadt".

Damit z.T. Rehabilitation der gründerzeitlichen Stadt, in der Realität wurde allerdings häufig nur Dichte ohne Nutzungsvielfalt (und damit Urbanität) geschaffen!

Hochzeit des wissenschaftlichen Städtebaus; Vorstellung, man könne mit wissenschaftlichen Methoden die Lebensbedürfnisse der Menschen optimal erfüllen; Ziel: umfassende Stadtentwicklungsplanung auf wissenschaftlicher Grundlage.

Hauptgebiete der Stadtplanung:

a) Stadtsanierung (Flächensanierung von "überalterten" Stadtvierteln als "harte Modernisierung";
b) Bau von "Neuen Städten" (z.B. Wulfen) und insb. von neuen Großwohngebieten (z.B. D-Garath, K-Chorweiler, Erkrath-Hochdahl).

Rechtl. Grundlagen:
Städtebauförderungsgesetz 1971 (Sanierung, Entwicklung).

Baustil: Moderne.

 

Stadtplanung in der Postmoderne: 1975 - ?

(oder evtl. Kap. Stadtplanung in der Spätmoderne ?)

Seit 1974/75 Veränderung der Rahmenbedingungen:
- Abschwächung des Wachstums,
- Planungsskepsis,
- Mobilisierung der Planungsbetroffenen,
- wachsende Umweltsensibilisierung,
- krisenhafte Zuspitzung von Großstadtproblemen.

Schwerpunkte der Stadtplanung verlagern sich:
statt: - umfassender Stadtentwicklungskonzepte,
- großer Neubauviertel,
- aufwendiger Sanierungsvorhaben,
nun: - kurzatmiges Krisenmanagement (Inkrementalismus),
- Denkmalpflege und erhaltende Erneuerung,
- Revitalisierung von Altbauquartieren durch Wohnumfeldverbesserung,

- neuer Repräsentations-Städtebau (insb. Malls, Plätze).

Novelle des Bundesbaugesetzes 1976: Bewahrung wertvoller Bausubstanz und Bürgerbeteiligung,

1987: Baugesetzbuch (BauGB) mit Integration des Bundesbaugesetzes und des Städtebauförderungsgesetzes.

 

Veränderung der städtebaulichen Leitbilder:

1. Stadterneuerung und Denkmalpflege,

2. die Stadt als Bühne, Stadtkultur und Stadt-Marketing (damit de facto Aufgabe der sozial integrierten Stadt!),

3. die ökologische Stadt ("nachhaltige" Stadtentwicklung),
damit charakteristisch für die postmoderne Stadtplanung: Leitbildvielfalt und Inkaufnahme der Stadt-Fragmentierung!

Baustil: Postmoderne (Ästhetisierung des Stadtbildes, Rehabilitation der funktionslosen Ornamentik, Stilzitate).

 

Postmoderne Stadtplanung:

Verzicht auf: Idealstadt-Utopie, systemische Gesamtlösung, Gleichsetzung von Funktion und Ästhetik.

Statt dessen: Wiederentdeckung der Stadtbild-Ästhetik, Wiederentdeckung der urbanen Vielfalt und Komplexität; Stadt ist nicht nur funktionierendes System, sondern vor allem ein morphologisches Ensemble von "Stadtinseln" mit eigener Identität.

Kritische Postmoderne: Betonung der Fragmentierung der Stadt. Nach dem Ende der sozialen Utopien wächst die Bedeutung der fragmentierten Stadtbilder sowohl als ökonomisches sowie als kulturelles "symbolisches Kapital" (Bourdieu).

Leitbilder (nach Streich 1988): 1. Leitbildvielfalt und Fragmentierung,
2. die Stadt als Bühne,
3. die ökologische Stadt.

 

Entwicklung der herrschenden Planungs’philosophien’:

Teilweise in Anlehnung an Sieverts und Ganser (1933/94):

Entstehung der professionellen Stadtplanung in den 1870er Jahren.

1. 1870-1910: Stadtplanung als Bekämpfung städtebaulicher Mißstände, insb. als Reaktion auf die Mietskasernenstadt der Gründerzeit (oft verstanden als "sozialhygienische" Mißstände, d.h. mit einem konservativen gesellschaftspolitischen Hintergrund: Seßhaftmachung der entwurzelten Massen, "Badezimmer für Arbeiter als Revolutions-Prophylaxe"). Schwerpunkte der Stadtplanung:
- Stadterweiterungsplanung (Ordnung des Wachstums durch Fluchtlinienplanung),
- Bau neuer Siedlungen (Werkssiedlungen, ab 1900 stark beeinflußt durch Gartenstadt- Idee).

2. 1910-1945: Stadtplanung als Schaffung des räumlichen Rahmens für die soziale und wirtschaftlicher Entwicklung der Gesellschaft. Zitat Patrick Abercrombie (nach Albers 1988, S. 44): "Die Planung von Stadt und Land sucht der natürlichen Entwicklung eine lenkende Hand zu bieten. Das Ergebnis sollte mehr sein als eine wirtschaftlich und technisch solide Leistung - es sollte ein sozialer Organismus sein und zugleich ein Kunstwerk." Das heißt: Planung soll nicht selbst politische Lenkung von Gesellschaft und Wirtschaft sein (diese werden als quasi-natürliche Prozesse aufgefaßt), sondern Koordinierung der räumlichen Auswirkungen. Dies ist die planungsphilosophische Grundlage der funktionalistischen Planung: Es geht um ein möglichst optimales Funktionieren der "Maschine Stadt". Dazu ein Aphorismus von Karl Kraus zur funktionalistischen Stadtplanung: "Ich erwarte von der Stadt, in der ich leben soll: Haustorschlüssel, Straßenspülung, Asphalt, Warmwasserheizung - gemütlich bin ich selbst." D.h.: Erfüllung der Lebensbedürfnisse durch technische Leistungen: Wohnungsbau, Ver- und Entsorgung, öff. Verkehr, also Stadtplanung als Teil der "kommunalen Leistungsverwaltung". Diese Planungsphilosophie liegt u.a. der "Charta von Athen" (jedenfalls in deren praktischen Teil, nicht in deren gesellschaftsreformerischen Teil) zugrunde.

3. Wiederaufbau der Nachkriegszeit: Zeit der "starken Stadtbauräte" mit gesellschaftlichem Konsens und Vertrauen in die städtebauliche Planung; Wiederaufbau wurde als fachlich-technische Aufgabe, aber nicht als politischer Prozeß gesehen.

4. 1960-75, Höhepunkt 1965-72: "integrierte Entwicklungsplanung" mit Systematisierung, hoher Komplexität, Verwissenschaftlichung, geringe Flexibilität. Die Stadtplanung wurde zum Vorreiter und Teil einer umfassenden staatlichen Entwicklungsplanung, die im Idealfall vertikal und horizontal integriert sein sollte. Dieses Konzept wird auch als ‘geschlossene Planung’ bezeichnet mit den Merkmalen:

- flächendeckend (bezogen auf Stadt oder Region),

- komprehensiv, d.h. alle Politikbereiche und Akteure einbeziehend,

- langfristig angelegt,
- an einem einheitlichen Ziel bzw. Zielsystem orientiert.

Die Planung zielt auf eine möglichst effiziente Verwirklichung eines als richtig erkannten Endzustandes (beste ‘Raum-Ordnung’ als Ziel); dabei ist prinzipiell gleichgültig, ob entgegenstehende Interessen vorhanden sind oder nicht und ob sie überwältigt werden müssen oder nicht.

Praktisches Problem: geringe öffentliche Resonanz, deshalb bald Ernüchterung und Gegentrend zur Entfeinerung der Planung;

Grundsätzliche Kritik: Dies ist die sog. "Gott-Vater-Rationalität": ein allwissender Planer verfügt über umfassende Information und handelt für seine Untergebenen, indem er widerspruchsfreie Ziele verfolgt eine ‘neue Welt schafft’.

5. ab Mitte der 70er Jahre (1975 "Europ. Denkmalschutzjahr") kleinteilige Stadterneuerung mit Bürgerbeteiligung und ökologischer Orientierung;

6. ab 80er Jahre: "perspektivischer Inkrementalismus" Merkmale:

- nur allgemeine gesellschaftliche Zielvorgaben,

- Umsetzung in konkreten Projekten,
- Verzicht auf flächendeckende Betrachtung,
- Planung konzentriert sich auf das Wesentliche und das mittelfristig Realisierbare;
- ökonomische Instrumente wichtiger als rechtliche.

In der Praxis eher: Konzept der ‘offenen Planung’ (‘inkrementale Planung’, Modell des ‘Sich Durchwurstelns’).

Entscheidender neuer Ansatz: Verzicht auf eine ‘höhere (= technisch-wissenschaftliche Rationalität’, sondern geht aus von der Existenz unterschiedlicher Akteure und Gruppen mit unterschiedlichen Interessen. Rationalität bemißt sich am Konsens der Beteiligten, d.h. im Mittelpunkt steht die ‘politische Rationalität’.

Bsp. IBA Emscher Parkmit dem Ansatz, über ‘politische Koalitionen auf Zeit’ anhand konkreter Projekte Innovationen zu erzeugen und alte Blockaden zu überwinden.

Probleme der "traditionellen Planung":
Grundlagenprobleme:
undemokratisch Macht der Verwaltung
autoritär Gott-Vater-Modell der Planung
zweckrational szientifische, instrumentelle Rationalität
Anwendungsprobleme:
unterkomplex informationelle Überforderung
Scheitern von Planungen
Umsetzungsdefizit unflexibel

 

Traditionelle Planung                  Diskursive Planung
Chancen
zweckrational diskursive Rationalität (Ideen, Normen,
Interessen)
Moderation des Lösungssuchprozesses
unterkomplex komplexe Planungs- und Kommunikations-
techniken
Umsetzungsdefizit umsetzungsorientierte Projekte,
Aktionsprogramme
Probleme
autoritär Konsens/Dissens von Individual- u. Gruppeninteressen
undemokratisch Wessen Stimmen werden gehört im Diskurs?

 

"Philosophien" und Leitbilder der Stadtplanung in Mitteleuropa seit dem Zweiten Weltkrieg

Phase

"Philosophie" der Stadtplanung Leitbilder
1848 - 1960 Wiederaufbau Zeit der "starken Stadtbauräte"
  1. " Die gegliederte und aufgelockerte Stadt"

  2. "Gartenstadt"

1960 -1975 Wachstum Zeit der starren integrierten Entwicklungsplanung
  1. "Dichte und Urbanität " bzw. "Urbanität durch Dichte"

  2. "Die verkehrsgerechte Stadt "

1975- ? Postmoderne
  1. Inkrementalismus

  2. Perspektivischer Inkrementalismus

  1. Stadterneuerung und Denkmalpflege

  2. "Die Stadt als Bühne" Stadtkultur und Stadtmarketing

  3. "Die ökologische Stadt" ("nachhaltige" Stadtentwicklung) Leitbildvielfalt und Inkaufnahme der Stadt-Fragmentierung

Entwurf: H. H. Blotevogel 1998