29. Juli 7.49 h
Ein Teil der Familie und eine Freundin waren hier, bzw. sind noch dort, haben mich um Viertel vor Sechs zum Bahnhof von La Réole gefahren und soeben habe ich Bordeaux in Richtung Hendaye, der letzten französischen Stadt, an der französisch/spanischen Grenze verlassen.
Nachdem ich am 20. Mai diesen Jahres französischen Boden im Nordosten betreten habe, verlasse ich Frankreich im Südwesten, nach ca. 1.400 km, von denen ich doch immerhin über tausend zu Fuß zurückgelegt habe. Was hat Frankreich mir gegeben?
Reichhaltige Vegetation, vielseitige Landschaften, historische Stätten und reichlich Regen, der aber vergessen ist, wenn alles wieder getrocknet ist. Sehr viel Hilfsbereitschaft und ebenso viel Freundlichkeit, dafür meinen besonderen Dank!
Gewachsen bin ich natürlich an den Widrigkeiten, an deren Ende aber immer die oben genannte Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit auf mich wartete.
Zuletzt der Versuch in einem buddhistischen Kloster unter zu kommen. Zum Einen hat mir die Ablehnung gezeigt, dass ich zu wesentlich mehr Kilometern in der Lage bin, als ich jemals angenommen hätte, zum Anderen hat es mir die Gesellschaft der freundlichen Amerikaner geschenkt. Wenn es für meine persönliche Entwicklung auch zuträglich gewesen wäre, mich auf die "Ringelreihen-TänzerInnen" einzulassen. Ja, mit denen bzw. mit solchen habe ich meine Probleme und ein Thema. Und nachdem ich berechtigte Kritik an meinen Äußerungen, bzgl. meines Klosterbesuchs erhalten habe, möchte ich darauf hinweisen, dass mir die Nonnen und ihre Vorschriften, absolut egal sind und ich sie ohne jeden Groll akzeptiere. Wenn aber Menschen aus unserem Kulturkreis meinen, sie seien zu neuen Menschen geworden, in dem sie die Hände vor die Brust bringen und sich verklärt blickend verbeugen, dann krisch isch ens de Plaque! Meine Art mich darüber lustig zu machen, ist vielleicht nicht die ganz feine Art, aber da auch ich nur Mensch bin und nicht die Nachfolge des Dalai Lama antreten will...
Ganz etwas anderes ist mein Wunsch wegzulaufen, wenn ich diese Stuhlkreise sehe. Einer dieser Stuhlkreise symbolisiert bereits mehr Nähe zu Menschen, als ich in meinem ganzen Leben bereit wäre zuzulassen. Und da könnte es tatsächlich sein, dass ich meine Angst vor Nähe damit kompensieren, dass ich mich über Menschen, die diese Nähe leben, lustig mache bzw. abwertend äußere.
Um dieses Thema zu bearbeiten, ist gerade eine Pilgerreise mit ihren Herbergen und ihren fröhlichen Gleichgesinnten ein sehr gutes Übungsfeld. Na, schaun wir mal...
In 45 Minuten komme ich in Hendaye an. Hendaye liegt am Bidasoa, dem Grenzfluss der die natürliche Grenze zu Spanien darstellt. Über eine Brücke erreiche ich Irun, die erste spanische Stadt meiner nächsten größeren Etappe, die mit einer Länge von etwa 830 km auf mich wartet.
Ahhh, Biarritz, Seebad der Reichen und Schönen... Waha! Guethary! Bahnhof an Steilküste, direkt am Ozean!
30. Juli
Nachdem ich pünktlich in Hendaye ankam, bin ich nach Irun und habe dort meinen ersten Cortado, einen Espresso mit Milch getrunken. Von dort habe ich mich auf den Weg nach Hondarribia gemacht. Die mittelalterliche Kleinstadt gilt Umfragen nach als eine der beliebtesten Städte Spaniens. Sehr gut erhalten, sehr gepflegt, sehr hübsch und sehr nah am Ozean. Und dessen sind sich auch die Hotelbesitzer bewusst, so dass ich mein Vorhaben den ersten Tag, nachdem ich um 5.00 h aufgestanden bin, ruhig angehen zu lassen wegen Überteuerung verworfen habe.
So habe ich mich um 14.00 h auf den Weg nach Pasaia gemacht.
Die Ausläufer der Pyrenäen sind wunderbar anzusehen und hammerhart zu spüren. Es gibt zwei Varianten dieser Tour, die gemeinsam mit den Worten des Autors beginnen. Es geht steil und steinig bergauf. Ooh ja! Nach etwa anderthalb Kilometern trennten sich die Wegvarianten. Ein Schild wies darauf hin, dass der eine Weg für Pilgerinos Alpinistas und der andere für den Rest ist.
Ich dachte, mh, Alpinist, bestimmt nur eine Vorsichtsmaßnahme. Es begann einer Steigung, die der Autor mit, brutal bergauf beschreibt. Völlig fertig kam ich an einem Gatter an, das überstiegen werden musste und ich befand mich in einer lieblichen Graslandschaft. Ich befand mich auf Weideland, das so groß war, dass ich eine Stunde brauchte um es zu durchwandern. Etliche kleinere Herden Pferde lebten hier, die zum Teil wild galoppierend, nicht das Weite suchten, sondern auf mich zu liefen, was mir anfangs doch Sorgen bereitete.
Es ging seicht ständig bergan, bis zu einer Aussichtstelle, an der die Weide unterbrochen wurde um einem Parkplatz und Bänken Platz zu machen. Ich machte eine längere Pause, aß den Rest Vortagbrot, weil ich mich spontan entschloss weiterzugehen, hatte ich keine Lebensmittel gekauft und machte mich auf den Weg zum Gipfel.
Wieder beginnend mit einer brutalen Steigung, wurde es immer mehr zu einer Gratwanderung die immer stärker an mein Höhenthema kratzte, bis ich nur noch rechts sah, weil es dort nicht ganz so steil war.
Aber... Ich schreibe, also lebe ich!
Die gesamte Wanderung stellte mit ihren Aufstiegen, aber auch mit entsprechenden Belohnungen durch unglaubliche Ausblicke alles bisherige in den Schatten. Als ich von den 500 m auf den endlos scheinenden Ozean sah, was schon ein Erlebnis an sich ist, konnte ich das erste Mal wirklich sehen, dass die Erste rund ist. Die wie wild lebenden Pferde waren klasse und dem ganzen wurde die Krone aufgesetzt, als ich mich am Grad auf Augenhöhe mit einem Seeadlerpärchen befand. Da es das erste Mal war, dass ich diese Tiere in der Natur zu Gesicht bekam, war ich zunächst unsicher. Der weiße Kopf aber, zerstreute jeden Zweifel. Vielleicht waren es 50, vielleicht 100 Meter, in jedem Fall für mich ein tolles Erlebnis!
Der Abstieg war nicht weniger beschwerlich und deutlich unangenehmer für Bänder und Gelenke. Es war 20.00 Uhr als ich in der Pilgerherberge in Pasaia ankam und das letzte Bett von 16 bekommen sollte.
Ich wurde sehr freundlich von Enrico dem Hostaliero begrüßt. Zu essen gab es nichts, ich kann in die Stadt gehen und dort was kaufen. Ich? Keinen Meter! Ich nehme eine Cola, das reicht dann! Er kann etwas Salat, Brot und Chorizzo anbieten. Sehr, sehr gerne! So habe ich mit Enrico und Manu aus Madrid, der unmittelbar vor mir angekommen ist, einen ganz tollen Salat, Brot und Käse gegessen. Als ich die Chorizzo nicht anrühte, schnitt er einen Laib wunderbaren Schafskäse an. Ein toller erster Tag in Spanien!!
Und weil ich so artig gewartet habe, bis alle den Salat auf dem Teller hatten, wurde ich aufgefordert das Tischgebet zu sprechen. Ooh, ich kann das nicht! Nicht das ich etwas gegen beten hätte, aber Vorbeten ohne abzulesen... boaah. En Allemagne, ermutigte mich Enrico. Na dann mal los... Und als ich mich am Morgen nicht nur mit einem Adios verabschiedete, sondern es mit einem Handschlag von Mann zu Mann tun wollte, wurde ich erst mal an seine Brust gezogen, kräftig durchgeknuddelt und mit den Worten, Frank - Buen Camino! Entlassen. Ich liebe Nähe!
Auch diese Nacht war das Grauen. Nicht wegen der anderen Schlafsaalnutzer. Nee, das ging. Die 16 Personen verteilten sich auf zwei Räume. Es stimmte sogar das Verhältnis, so dass die Mädels einen und die Jungs den anderen Raum bekamen. Es gab zwar einen Extremschnarcher, der aber zwischenzeitlich auch aufhörte zu schnarchen. Das heutige Problem war das Stadtfest, das was weiß ich wem gewidmet war. In jedem Fall liebten sie Havy Metal und in der Zeit von 23.00 bis 2.00 durfte eine besonders satanische Band auf die Bühne. Fenster zu nutzte nichts, es war, als würde die Mucke unter irgendeinem Bett stehen. Um sechs der Wecker von Enrico und bereits Sekunden später schallten Choräle durch die Herberge. Nein, nicht von Enrico, schon aus der Anlage.
31. Juli
17.50 h, ich sitze in einer Kafetegia (baskisch), trinke Tee, schreibe und warte, dass meine Bank, gut geschützt unter einem Kirchenvorbau nicht mehr so stark von Touristen frequentiert wird.
Meine Bank? Was bisher geschah...
Nach einer tollen Küstenwanderung bin ich gestern Mittag in San Sebastian angekommen. Unterwegs, als ich eine Kurzrast eingelegt habe, bin ich von Mitglieder der Sekte (?) die zwölf Stämme eingeladen worden etwas zu essen, zu trinken oder auch gerne zu übernachten. Ich hatte es im Vorfeld gelesen und war auch neugierig, aber es war selbst für eine ausgiebige Rast zu früh, geschweige denn für Übernachtungspläne.
Die Sommerherberge war am anderen Ende der Stadt, vier Kilometer entfernt, aber in Richtung des weiteren Weges. Gegen 15.00 war ich dort, um zu lesen, dass es sie nicht mehr gibt. Vier Kilometer wieder zurück, da gibt es jetzt eine Nonnenschaft, die sich um Pilger kümmert. Voll, denn, so habe ich eben erst erfahren, gibt es Wanderführer, die es bereits wussten, selbst die Internetupdates meines Wanderführers sagen dazu gar nichts.
Der nächste Ort 13 km entfernt, mit zwei knackigen Steigungen. In der Regel kosten die Hotels in San Sebastian zwischen 120 und 300 Euro. Es fand ein internationales Fahrradspektakel statt. Und der junge Mann, mit dem ich gerade gesprochen habe war völlig verblüfft, dass ich überhaupt ein Zimmer bekommen habe und dann noch für "nur" 75 Euro. Unmittelbar in der Altstadt. Allerdings sind er und sein Freund erst Abends gekommen.
Ab 19.00 h hat es mehrfach gewittert und geschüttet, aber heute früh um 10.00 h, als ich los ging war es trocken. Später Wanderer bekommt die Sonne! Nur eben keinen Herbergsplatz.
Ich verabschiedete mich von San Sebastian, das mittlerweile die Stadt der Reichen und Schönen ist. Als ich das erste Mal in San Sebastian war, standen an vielen Ecken und vor jedem öffentlichen Gebäude Polizisten in kugelsicherer Weste mit Maschinenpistolen. Die ETA, die baskische Befreiungsorganisation war allgegenwärtig. Die Altstadt war mehr Aufenthaltsort der einheimischen Bevölkerung. Touristen verirrten sich nur sporadisch hierher.
Gestern war es selbst zwischen den Gewittern voll wie auf einem Straßenfest. Und das war es auch, ein riesiges Straßenfest. Ich hatte ja nun das Vergnügen dreimal durch diese Stadt, zu den verschiedensten Uhrzeiten zu laufen. Und es ist an der Art der Menschen zu sehen, was Umfragen innerhalb der Touristikbranche schon seit längerem sagen. San Sebastian ist eine der beliebtesten Großstädte Europas geworden. Dieses Jahr übrigens auch Kulturhauptstadt Europas. Wer das Laute, das Gesehenwerden, aber auch das Pulsierde, eine unglaubliche Auswahl an Tapaskreationen, wunderbare Strände mag, sollte San Sebastian nicht verpassen. Ich habe das erste Mal seit drei Monaten richtig gut und preiswert gegessen und auch wenn San Sebastian nicht unbedingt für mich ist, so bin ich froh diesen halben Tag gehabt zu haben.
Der Tag fing wieder mit Treppen an, viele Treppenstufen. Es war anstrengend aber nicht übermäßig. Zum Glück hatte es geregnet, so dass ich wieder Matsche laufen durfte. Damit ich es nicht verlerne. Und auf halben Weg fing es an zu plästern und ich konnte, hurra meinen neuen Poncho einweihen, im Regen einweihen. Als Sonnenschutz war er bereits im Einsatz.
Und als ich dann gegen 16.00 h in Orio, bei der Pilgerherberge ankam, waren alle 20 Betten und alle Zusatzmatratzen vergeben. Als ich noch überlegte, weitere 9 km zu laufen, fand ich eine sehr schöne Bank unter einem Kirchenvorbau. Jetzt sitze ich in einer Kafetegia (das ist baskisch), schreibe ein wenig, esse gleich eine Kleinigkeit und hoffe, dass dann die Touristen, die sich um die Kirche herumtreiben, ihrerseits die Betten aufsuchen.