04.06.16 Von Joinville nach Colombey-les-deux-Églises über Ambonville

03. Juni Voinville 09.00 h

NebelwetterEs regnet immer noch und meine Laune... Es gibt nur schlechte Kleidung ... Jau, die Regenponchos bei Walkabout in Bochum hatten mich noch angelacht, aber ich dachte, dass ich schließlich Richtung Süden laufe, mir etwas Regen noch nie was ausgemacht hat und ich zur Not den Poncho von .... ich sags nicht, bei hab.
Jetzt erwarte ich ein Paket von Walkabout, mit Poncho, Mütze und Impregnierspray. Bis dahin trage ich Regenhose und Plastiktüte. Die Wege sind unpassierbar. Es stehen ausschließlich die Straßen zur Verfügung.
Natürlich ist das alles kein Vergleich mit den Parisern und Süddeutschen, die teilweise in Turnhallen übernachten müssen. Aber es macht für das Gemüt schon einen Unterschied, ob ich das Schicksal und die Götter beschimpfen kann, oder ob ich weiß, dass ich mich selbst offenen Auges da reingeschmissen habe.
Ich weiß, dass jetzt jeder zurecht sagt, kaum ist es mal etwas unangenehm, fängt er an zu jammern, da war doch von auszugehen, von Regen, nassem Equipment, schmerzenden Füßen. Ja vollkommen richtig. Dennoch ist es interessant zu erleben, wie wenig es manchmal Bedarf, um ganze Vornehmungen in Zweifel zu ziehen. Dabei bin ich historisch gesehen ein ganz kleiner Fisch.
Manche werden die Geschichte kennen: Volk Israel in Ägypten, versklavt, scheiß Leben, Moses sieben Plagen und dann nix wie ab die Post, schnell noch ein paar ungesäuerte Broten dann aber. Hurra Freiheit wir kommen... Kaum sind die ungesäuerte Brote weggeputzt, geht das Theater los:"Oh ne, wären wir mal besser in Ägypten geblieben, da hatten wir wenigstens Essen, jetzt irren wir hier hungrig in dieser blöden Wüste rum..." Was kam ist auch bekannt, es gab das tägliche Mana. (Sonntags wurde sich getroffen und gemeinsam gesungen "Manamana..." Und Gott antwortete "Dippdieh, dieh didipp...") Und damit nicht genug, ständig hatten die Israelis was zu nöhlen und immer mit dem Satz: Wären wir mal besser ..." Da verlierst du als Gott auch den Spaß an der Sache.
Nee, jetzt wieder im Ernst. Du kannst noch so gute Vorsetzen und Gründe haben, wenn du nachts im Zelt liegst, das Unwetter tobt und du bist im Urlaub, dann freust du dich auf zu Hause und auf dein Bett. Wenn du aber weißt, dass du dein Bett auf den Sperrmüll geschmissen hast, dann macht das in diesem Moment alles nur noch begrenzten Spaß.
Nun sind zwischen dem Beginn dieser heutigen Niederschrift und dem jetzigen Moment neun Stunden vergangen und ich durfte mir viele Gedanken machen. Zum Beispiel der, dass bei oder nach Veränderungen, sobald die erste Euphorie erloschen ist und die ersten Problemchen auftreten, der alte bekannte und vertraute Zustand, egal wie beschissen er auch war zurück ersehnt wird. Wobei ich hier schon betonen möchte, dass ich mich in keinem beschissenen Zustand befunden habe, meine Beweggründe waren und sind andere. 
Ich durfte in den neun Stunden fast regenfrei durch tolle Täler laufen und bin am Ende zur bereitsPilgerherberge Schild gestern genannten Pilgerherberge gekommen und es ist wirklich unglaublich toll. Alles gibt mir hier das Gefühl: Alles ist richtig!
Und was ich damit sagen will ist, dass es auch oft nicht viel braucht um das Gefühl zu bekommen: Es geht weiter. Und meistens sind es nicht die momentanen Themen, sondern nur die Sorge um die Zukunft die uns das Leben bitter machen.

Bei meiner heutigen Morgenlaune, habe ich noch gedacht boah, Pilgerherberge, viele Leute auf engem Raum, aber ich wollte mich drauf einlassen und habe mich, nachdem ich hier angekommen bin, auch drauf gefreut mit anderen Menschen zusammen zu kommen, vielleicht zusammen zu kochen. Bin aber der einzige geblieben. Dann koche ich mir jetzt mal was.

4. Juni

Gefrühstückt, gefegt, gespült und los. Der Rucksack kommt mir geradezu leicht vor. Nach einigen Kilometern fiel mir auf, dass ich das Wasser vergessen habe. Das merkst man schon wenn 1,5 kg fehlen.
Nach der Hälfte der Strecke sollte ein Dorf mit Lebensmittelgeschäft kommen. Wenn es mal noch da ist. Natürlich nicht, aber dafür hörte ich das bereits bekannte Schellen des Lebensmittelwagens der von Dorf zu Dorf fährt. Ich habe ihn auch gerade noch erwischt, er hielt wegen mir noch mal an. Nein, Wasser hat er nicht ein Croissant schon. Okay, beim Kauf des Croissant erklärte ich ihm, dass ich mein Wasser vergessen habe und nichts zu trinken dabei habe. Zuerst verstand er deutlich sichtbar nichts, auf einmal aber stürzte er zum Beifahrersitz, holte eine fast leere Halbliterflasche hervor, ich dachte schon er wollte mir seine angenucklte Flasche anbieten, stürzte dann aber aus dem Wagen um an der Türe, an der er eben noch was verkauft hat zu schellen, damit die Flasche aufgefüllt wird. Raus gekommen ist er mit einer vollen 1,5 l Flasche Mineralwasser. Tolle Aktion!
Was ich immer wieder spannend finde, ist die Sache mit der Verständigung. Die ersten Sätze von mir sind meist völlig zusammenhaltlos. Dann, beim 2. Versuch wird es besser. Und wenn dazu die Bereitschaft des Anderen kommt, meint man das Einrasten von Zahnrädern förmlich zu spüren. Ab dem Punkt ist eine Unterhaltung mit einem hohen Grad an Verständigung möglich.
So habe ich auch von der Herbergsverwalterin erfahren, dass sie noch acht Geschwister hat und dass im vergangenen Jahr eine 20-köpfige Pilgergruppe aus Litauen bei ihr war und das die älteste 77 Jahre war und das die noch ein riesiges Kreuz mit sich rumschleppten, dass sie abwechselnd trugen. Ich bin ja so ein Weichei.

Gegen 15.00 h bin ich nach einer fast trockenen Wanderung und der netten Begegnung mit dem Verkaufsfahrer in Colombey-les-deux-Églises angekommen. Für den patriotischen Franzosen ist das hier das bekannteste Dorf Frankreichs. Hier hat Charles de Gaulle seinen Lebensabend verbracht und ist auch hier 1970 verstorben. Es gibt ein De Gaulle Museum sowie das bis weit ins Umland zu sehende Lothringische Kreuz, das Zeichen des französischen Widerstand im 2. Weltkrieg. De Gaulle hat 1940 von seinem englischen Exil aus, die französische Bevölkerung zum Widerstand gegen die Besatzer aufgerufen, nachdem die französische Regierung ein Waffenstillstand vereinbart hatte. Charles de Gaulle wurde von der französischen Regierung in Abwesenheit wegen Hochverrat zum Tode verurteilt. Nach dem Krieg war er zwei mal Minister Präsident und einmal Präsident. Mit Konrad Adenauer betrieb er die Annäherung zwischen Deutland und Frankreich.

Hier im übrigen die Lösung für Schlechtwetter Nächte. Fast jedes Dorf hat solche ehemaligen Waschhäuser. Die einen besser die anderen schlechter erhalten, aber immer trocken. Ja, unmittelbar neben fließende Gewässer... Aber besser neben fließendem Gewässer als im fließendem Gewässer.
WaschhausWaschhaus innen