Hades - Die Zeit überdauern

Nur wer den Tod respektiert, kann im Leben etwas erreichen und wird dadurch letztendlich ewig leben!

    Ist heute die Rede von einem Themenbike, kommen mir umgehend die Kreationen in den Sinn, mit denen sich Paul und Pauli von OCC über Jahre mühten die Hirne aktiver Garagenschrauber zu verkleistern und dabei gleichzeitig die Idiotie auf zwei Rädern auf einen bis zu diesem Zeit kaum für möglich gehaltenen Level zu heben. Entsprechend zurückhaltend reagierte ich, als mich Dimitrios "Jimi" Georgoulas, seines Zeichens Kopf der Sitzschmiede Spirit Leather seinen Plan eines Themenbikes eröffnete.
    Na prima! noch ein Bike, das die Welt nicht braucht! Doch da Jimi weder mit dem Verkauf von Waschmaschinen sein Geld verdient, noch den Leuten Versicherungen oder ähnliches aufschwatzt, entscheide ich mich dazu ihm zuzuhören, bevor ich ihn mitsamt seiner Idee in der Schublade idiotischer Bikes verschwinden lasse.
    Er sei sich darüber im Klaren, das aus solch einem Bike schnell  eine Gradwanderung zwischen Genialität und Schwachsinn werden kann, doch seine Vorstellung eines Themenbikes sei eine andere. Seine Idee hätte etwas mit ihm, mit seiner Vergangenheit, seinem Leben, seinen Gedanken und seiner Arbeit zu tun.
    Nun handelt es sich bei Jimi um einen Griechen, von kräftiger Statur und einer vom jugendlichen Elan getragenen positiven Ausstrahlung, der bereits in der Antike ohne Zweifel sein Publikum gefunden hätte und so drängt sich die Vermutung auf, dass es sich bei seinem Plan um ein Bike im Stil der Odysseus Sage, dem Kampf um Troja oder zumindest der Geschichte um David und Goliath handelt. Nein, seine Idee verfolgt einen anderen Inhalt. Mit seinem Bike wollte er dem Thema Hades, seines Zeichens Herrscher der Unterwelt seinen Tribut zollen.
    Wie jetzt? Statt auf der seichten Oberfläche griechischer Helden Sagen zu dümpeln und nach Anerkennung zu fischen, eine Reise in die Unterwelt anzutreten und damit die Schicksalsspanne des Lebens, möglicherweise des eigenen Lebens zu beschwören, scheint mir eine Idee abseits des üblichen Biker Rock 'n' Roll zu sein. An dieser Stelle beginnt mich die Geschichte zu interessieren und ich bitte ihn mir etwas über den Hintergrund seiner Idee zu erzählen.
    Der Anfang seiner Geschichte zeichnet das Bild eines Jungen, dessen Körper und Sinne in einer ländlichen Gegend am oberen Niederrhein am Straßenrand sitzend, vom tief sonoren Blubbern eines Motorrades berührt werden. Im Frühdunst eines herbstlichen Tages, spürt der Junge die Maschine, lange bevor er sie mit den Augen erfasst. Wie aus einer anderen Welt taucht sie auf, füllt einen kurzen Zeitraum sein Blickfeld aus, um dann am anderen Ende der Straße wieder in den Nebel zu tauchen aus dem sie gekommen war.
    Alles in allem eine Sache des Augenblicks, eher unbedeutend und doch ausreichend, dem Jungen zwei Dinge mit auf den Weg zu geben. Zum einen will er solch eine Maschine, besser gesagt genau diese Maschine später einmal besitzen und zum anderen hat er einen ersten Einblick in die Vielschichtigkeit des Lebens bekommen. Beides wird in seiner Geschichte noch eine Rolle spielen.
    Wie sich später herausstellen soll, gehört der Fahrer des Motorrades zum Bekanntenkreis seines Vaters und so wird genau diese Maschine im Laufe seiner Jugend immer wieder einen Einfluss auf den Jungen nehmen. Er wird zu kurzen Fahrten um den Block geladen und wird auf dem hinteren Teil der Sitzbank sitzend die Vibration, den Herzschlag des Motors spüren. Er wird erfahren, dass es sich bei dem Motorrad um eine Harley-Davidson handelt, die ihrem Besitzer so viel bedeutet, dass er sich wohl nie von ihr trennen wird.
    Im Laufe der Jahre wird die Erinnerung an seine erste Begegnung mit dieser Maschine verblassen und sein Leben von anderen Prioritäten bestimmt werden. Seine Jugend verbringt er auf den Straßen Wuppertals. Dort folgt sein Leben den üblichen Bahnen. Er hängt mit Freunden rum und macht die Straßen seines Viertels unsicher. Schule muss sein. Darauf legen seine Eltern wert und da er seine Wurzeln in einer griechischen Familie findet, kommt der Stimme und den Forderungen des Vaters entsprechendes Gewicht zu.
    Trotzdem gibt es immer wieder Diskussionen. Die Frage des Juniors, wann er endlich eigenständig entscheiden könne, zu welcher Urzeit er am Abend zu Hause zu erscheinen habe, beantwortete der Vater mit "wenn du dein erstes eigenes Geld verdienst". Bereits am nächsten Tag sucht sich Jimi einen Job als Hilfskraft auf dem Bau. Das erste, mit diesem Job verdiente Geld wird umgehend in ein BMX Rad investiert, um damit den persönlichen Aktionsradius zu erweitern.
    Erinnert er sich an diese Zeit, dann rückt ihm der Konflikt ins Bewusstsein, in dem er sich damals befand. Auf der einen Seite hätte das Leben auf der Bahn ständig wechselnder Jobs und der sich daraus ergebenden Unabhängigkeit und Freiheit ewig weitergehen können, auf der anderen Seite regte sich in ihm gerade in dieser Zeit der Wunsch dem Ruf einer Kreativität zu folgen, die er seit seiner frühen Jugend in sich trägt, jedoch seit einigen Jahren stark vernachlässigt hatte, weil sie so gar nicht zu dem Leben passte das er führte.
    In dem Glauben sich schlecht über Sprache ausdrücken zu können, wählte er bereits als Kind den Weg des Malens als seine Form der Mitteilung. Da eine Durchsetzungskraft auf der Straße jedoch von gänzlich anderen Fähigkeiten geprägt wird, tritt das Malen zunehmend in den Hintergrund und gewinnt erst in der Frage nach einem weiterführenden Sinn des Lebens wieder an Einfluss.
    Zu diesem Zeitpunkt ist Jimi Anfang zwanzig und beginnt sich ernsthaft mit der Frage zu beschäftigen, was aus seinem Leben werden soll. Als sein Auto ihm wieder einmal den Dienst verweigert und er finanziell nicht die Möglichkeit sieht es zeitnah wieder ans Laufen zu bringen, zwingt ihn dieser Umstand zum Umstieg aufs Mopped und setzt damit eine Art Initialzündung in Gang. Der von zwei Rädern geprägte intensive Kontakt zur Straße, verbindet Jimi mit sich selbst. Die Kunst oder besser sein Verständnis von Kunst beginnt wieder einen festen Platz in seinem Leben zu besetzen und sein neu entfachtes Interesse für Zweiräder wird ihn dabei begleiten.
    An dieser Stelle teilt er das Schicksal vieler kreativ getriebener Seelen. Je tiefer er in die Materie eindringt, desto knapper wird das Geld in der Umsetzung eigener Ideen und Jimi sieht sich selber nicht als den genialen Schrauber, unter dessen Hände Einfluss sich ein hässliches Entlein in einen Schwan verwandelt. Eher das Gegenteil ist der Fall. Statt seine Mopeds auf zu hübschen, beginnt er damit die Oberflächen konsequent vom Lack zu befreien, um der Qualität des Materials einen Raum zu bieten und sie damit gleichzeitig sehr bewusst dem Einfluss der Natur auszusetzen.
    Und er entdeckt die Möglichkeiten die ihm die Arbeit mit dem Material Leder bietet. Es versetzt ihn in der Lage zu Malen und gleichzeitig die Ebene des Eindimensionalen zu verlassen. Den Anfang macht der Sitz, den er sich für seine Sportster anfertigt. Weit von der Qualität entfernt, die er heute als Standart seiner Arbeit betrachtet, findet sich in diesem Sitz bereits vieles von dem Geist mit dem er seine heutigen Arbeiten ausführt. Gleichzeitig stellt dieser Sitz die Grundlage seines nächsten Lebensabschnitts und seiner Idee von Spirit Leather dar.
    Schnell macht die Botschaft von der zunehmenden Qualität seiner Arbeiten die Runde und mit der steigenden Zahl der Harleys, die ihm in der Folge in die Lederwerkstatt gerollt werden, kehrt auch die Erinnerung an das Bike vom Niederrhein zurück, beginnt ihn zunehmend die Frage zu beschäftigen, was aus diesem Bike geworden sein mag.
    Nun, der Bekannte seines Vaters hatte sie gut drei Jahrzehnte lang gefahren und sie in einem technisch einwandfreien Zustand gehalten. Doch da der Zahn der Zeit an beiden genagt hatte, stand die Harley nun bereits seit gut drei Jahren in der Garage. An einen Verkauf hatte der Besitzer jedoch auch in diesen drei Jahren zu keinem Zeitpunkt einen Gedanken verschwendet und so lehnte er auch Jimis Nachfrage zum Kauf der Maschine anfangs ab.
    Doch Jimi blieb hartnäckig und am Ende sollte sich seine Beharrlichkeit auszahlen. Wie schon sein Vater, unterschätzte auch dessen Bekannter Jimis unbedingten Willen zur Umsetzung seiner Vorstellungen. "Sollte es dir gelingen das Moped anzutreten, dann bin ich bereit es dir zu verkaufen", drei Tritte später konnte Jimi den stolzen Besitz einer nahezu unverbastelten Harley-Davidson Baujahr ´84 mit Late Shovel Motor, aus erster Hand verkünden.  
    Die Idee eines Themenbikes im Kopf, das dem Thema Hades, seines Zeichens Herrscher der Unterwelt seinen Tribut zollen soll, bleibt die Harley nicht lange in dem Zustand, in dem sie übernommen wurde. Am Ende wird der Rahmen, der Motor und das Getriebe übrig bleiben. Seiner Vorliebe gegenüber metallischer Oberflächen bleibt Jimi auch bei diesem Projekt treu.
    Der alte Lack kommt runter. Die Oberflächen von Tank und Fender werden später lediglich mit einer Klarlackschicht versiegelt, die vor allem die Grafiken schützen soll. Die originalen Räder werden durch Speichenräder ersetzt, deren Speichen mit Echtgold überzogen werden. In der Folge sollen weitere Teile des Bikes dem Weg der Speichen folgen und ebenfalls in Gold erstrahlen. Auf die Kosten angesprochen, antwortet Jimi mit einem lächeln. Ich deute dieses Lächeln als den Hinweis auf ein Tauschgeschäft, in diesem Fall also Gold gegen Leder.
    Der Begriff Pluto, der in der göttlichen Personifizierung römischer Geschichte ebenfalls mit der Unterwelt in Verbindung gebracht wird, bedeutet im griechischen schlicht Wohlstand oder auch Reichtum. Es liegt Jimi fern mit dem Gold an seinem Bike zu protzen und seinem Wohlstand Ausdruck zu verleihen. Er sieht es als ein Symbol für das Glück, das er bisher auf seinem Weg erfahren durfte. Dass er sich der Vergänglichkeit des Glücks sehr wohl bewusst ist, belegt die Tatsache, dass einige der vergoldeten Teile mit angerosteten Schrauben am Bike gehalten werden und damit an die Vergänglichkeit kostbar scheinender Oberflächen mahnen.
    Die Augen der Medusa, die den Fahrer aus einer in Blattgold gehaltenen Darstellung ins Visier nehmen, dienen ebenfalls dem Zweck der Erinnerung, dem Geschenk des Lebens so wie Jimi es führt mit Dankbarkeit gegenüber zu stehen und sich von den Einflüssen negativer Strömungen frei zu halten. Das Schicksal Hades teilend, der sich seinen Job als Gott der Unterwelt nicht aussuchen konnte, kam auch die Medusa über die Verknüpfung schicksalhafter Ereignisse zur alles Leben vernichtenden Kraft ihres Blicks.     
Wer nun die Unterwelt mit der Hölle gleichsetzt und am Bike nach den klassisch plakativen Symbolen des Todes und des damit verbundenen Schreckens Ausschau hält, wird sich enttäuscht sehen. Totenköpfe, gehören ebenso wie Teufel, Dämonen oder einem Heer  gepeinigter Seelen nicht in Jimis Vorstellung der Unterwelt. Er betrachtet sie schlicht als eine Welt auf einer anderen Ebene als der, auf der er im Augenblick seiner Bestimmung folgt.
    Die Schlange, die über ihre Fähigkeit zur Häutung als das Symbol einer sich beständig vollziehenden Erneuerung betrachtet wird, thront nicht nur auf dem Kopf der Medusa, sie wird auch einen zentralen Teil der bildlichen Darstellung auf dem Sitz bilden. Über die Lederarbeiten,  die Jimis Beitrag zu seinem Bike darstellen, wird die Symbolik des Hades Thema miteinander verbunden. Den Sitz ziert die Darstellung eines Phönix, der sich aus seiner eigenen Asche heraus zu neuem Leben erhebt und zwei, sich im Griff seiner Klauen windende Schlangen hält. Jede dieser Schlangen trägt in ihrem Maul eine ins Leder eingelassene griechische Münze. Der Lohn, der dem Fährmann als Gegenleistung für eine sichere Überfahrt in die Unterwelt zusteht.
    Die Auflage des Pads auf dem hinteren Fender trägt die Aufforderung "Erkenne dich selbst", die in griechischer Schrift ausgeführt, wirkt, als sei sie unter Einsatz eines groben Messers in die Oberfläche des Leders geschnitten worden. Den Abschluss der Lederarbeiten bildet eine im oberen Bereich der Sissybar angebrachte Lederscheibe, die das griechische Symbol für Apollo ziert und ebenso wie der Sitz und das Pad von einem klassischen Muster der griechischen Antike eingefasst wird.  
    Die Sissybar ist der Beitrag eines befreundeten Schmiedes. Bewusst grob gearbeitet, bewusst rostig belassen, steht sie in einem klaren Gegensatz zu den in Gold getauchten Speichen des Hinterrades und scheint dieses wie ein Klammer in einen eisernen Griff zu nehmen. Das ineinander greifen all dieser Symbole, lässt das mit Hades überschriebene Thema des Bikes im Laufe der Betrachtung zunehmend in den Hintergrund treten und wandeln es zu einer Willensbekundung, den unausweichlichen Wandlungen und der damit verbundenen Vergänglichkeit des Lebens zum Trotz, etwas von Dauer zu schaffen.              
    So wie sich die japanischen Samurai den allgegenwärtigen Tod beständig ins Bewusstsein riefen, vertritt auch Jimi die Meinung, dass der Übergang in die Unterwelt nur denjenigen zu überraschen vermag, den dieser Übergang unvorbereitet trifft.
    Doch auch wenn man kein Freund mythologisch geprägter Lebensmaxime ist, verspricht das Hades Bike seinem Fahrer ein hohes Maß an Spaß. Dem Motor wurde mit Hilfe der Jungs von Independent Chopper  in Düsseldorf und der Bobber Garage aus Liechtenstein auf die Sprünge geholfen. Damit sind ihm die drei Jahrzehnte, die ihm bereits im Gehäuse stecken kaum anzumerken. Neben dem Kicker leistet sich Jimi inzwischen den Luxus eines Anlassers. Für die reibungslose Funktion der Elektrik sorgte Kumpel Andy, der das Bike komplett neu verkabelte und damit auf den aktuellen Stand der Elektrotechnik brachte. Für die Aufbringung der Graphiken zeichnet Maze verantwortlich.
    Wenn Jimi im Rückblick auf die Aufbauphase von den Unterstützern seines Projektes spricht, dann legt er besonderen Wert auf die Feststellung, dass sein Bike ohne diese Unterstützung so niemals auf die Räder gekommen wäre und bringt damit die Dankbarkeit zum Ausdruck, mit der er dieser Unterstützung gegenübersteht. Denn auch wenn die eine oder andere Hilfestellung als das Ergebnis eines gegenseitigen Gebens und Nehmens betrachtet werden kann, ist sie für ihn doch alles andere als selbstverständlich.
    In den vergangenen Jahren hat sich für Jimi viel verändert. Hatte er noch vor wenigen Jahren einige Größen der Szene als Vorbilder betrachtet, zählt er sie heute zu seinen Kunden. Die Ebenen begannen sich zu verschieben. Aus Kunden wurden Freunde und aus Freunden wurden Kunden und ehe er sich versah, war er selber ein Teil der Szene und dient nun anderen als Beispiel. Das Leben geht weiter und damit wird Jimis Geschichte ein von vielen Geschichten, die bereits erzählt wurden oder noch erzählt werden. Mir hat es Spaß gemacht sie an dieser Stelle weiter zu geben. Ich erlaube mir Jimis Gedanken zum Thema Hades zwei Sätze aus dem japanischen anzufügen.   
      
Dinge von großer Bedeutung soll man mit Leichtigkeit angehen.
Fürst Naoshige
Dinge von geringer Bedeutung gehe man mit Ernsthaftigkeit an.
Meister Ittei

Text: Gasolin Alley / Fotos: Frank Bick