4. Vom Nachverhandeln

"Es ist nicht gut, wenn aus einer Sache zwei werden. Man suche nie noch anderes auf dem Weg des Samurai. Das gilt auch für alles andere, was sich Weg nennt. Begreift man die Dinge in dieser Weise, kann man von allen Wegen hören und mehr und mehr im Einklang mit dem eigenen sein."

Yamamoto Tsunetomo

Fast komplett Original

Gibt man in das Suchfeld der ebay-Seite YAMAHA SR 500, XS 650 oder HONDA 750 FOUR ein, dann erhält man, da es sich bei diesen Maschinen durchaus um Fahrzeuge mit einem gewissen Kultfaktor handelt, je nach Jahreszeit einige hundert Trefferanzeigen.

Bei dem Begriff HARLEY-DAVIDSON geht die Trefferquote leicht in die Tausende. Und so drängt sich die Vermutung auf, dass gerade die windigen unter den Geschäftigen einen solchen Markt des offensichtlichen Interesses längst für sich erschlossen haben.

Bis sich zeigen sollte welche Überraschungen mich im Inneren meines Motors erwarteten, vertrieb ich mir die Zeit, in dem ich mir Gedanken über den Reiz des Betruges im lohnenden Handel mit Harley-Davidson Teilen machte.
Bereits im Ansatz des Gedanken die Bezeichnung Betrug ins Spiel zu bringen, mag dem einen oder anderen wie harter Tobak klingen und da in der Szene des amerikanischen Eisens der Gang zum Anwalt als legitimes Mittel unserer Gesellschaft sein Recht einzufordern, eher als unlauteres Mittel und Zeichen der Schwäche betrachtet wird, gilt im Falle eines hereingefallen seins, eher das "Dummheit muss bestraft werden!" Prinzip, als das man davon sprechen würde Opfer eines plumpen Betruges geworden zu sein.

Ein Fahrzeug der Marke Harley-Davidson steht wie kaum ein anderes in dem Ruf statt mit fortschreitendem Alter an Wert zu verlieren, diesen zu halten und unter Umständen sogar noch zu steigern. Zwar dürften solche Fahrzeuge in dieser Eigenschaft kaum als lohnende Spekulationsobjekte im größeren Stile dienen, doch wer eine Harley Davidson sein Eigen nennt und sie in gutem Zustand erhält, kann damit rechnen bei einem Wiederverkauf einen guten bis sehr guten Preis zu erzielen. Und besonders die wirklich alten Maschinen der Marke besitzen heute einen Wert, der ihren ursprünglichen Kaufpreis bei weitem übersteigt.

Und so lohnt sich auch der Handel mit originalen Teilen dieser alten Maschinen. Ob es sich bei diesen Teilen letztendlich wirklich um Originalteile handelt, vermag dabei kaum noch jemand zu beurteilen.

Halten wir im Falle des von mir erstandenen Motors also folgendes fest. Er wurde mir von einem Händler mit langjähriger Erfahrung als ein Harley-Davidson Early Shovel Motor mit dem Zusatz  "Fast komplett Original" verkauft.

Da sich der Zeitrahmen in dem dieser Motor gebaut und verkauft wurde auch ohne aufwendige Nachforschungen auf den Zeitraum von 1966 bis1969 begrenzen lässt, liegt die Vermutung nahe, dass die Feststellung, der Motor sei ein fast komplettes Original, darauf hinweist, dass er sich in einem seinem Alter entsprechenden Zustand befindet.

Dies könnte durchaus beinhalten, dass im Laufe der bisherigen Lebensspanne des Motors einige der alten Teile durch Neuteile ersetzt werden mussten. Sein Zustand könnte mehr oder weniger gut sein und unter Umständen ständen einige kostspielige Reparaturen ins Haus, doch könnte derjenige, der bereit war dieses Risiko zu tragen, am Ende guten Gewissens behaupten im Besitz eines Harley-Davidson Early Shovel Motors zu sein.

Dabei will ich die Erwartungen die ich mit der Aussage eines fast kompletten Originals verknüpfe an dieser Stelle nicht zu hoch ansetzen, sondern lediglich mit Moderaten 50 % beziffern. Wenn also nur 50 % des Motors tatsächlich dem Anspruch "Original" entsprochen hätten, wäre es, obwohl man immer noch das Gefühl haben könnte beschissen worden zu sein, ein 50/50 Spiel.

Doch bei diesem Motor sah es zunehmend anders aus. Als Early Shovel Motor mit dem Risiko-Bewusstsein gekauft, dass er sich in einem erbärmlichen Zustand befinden könnte, war er nun genau das nicht. Ganz gegen meine Befürchtung befand er sich zumindest äußerlich in einem durchaus zufrieden stellenden Zustand. Nur entsprach er in keiner Weise dem Attribut "Fast komplett Original".

Das Kurbelgehäuse wies keine Nummer auf und schien noch nicht einmal ein Harley Davidson Gehäuse zu sein. Zwar für den Einsatz im Harley-Davidson Bereich gedacht, stammte es wahrscheinlich von einem der zahllosen Aftermarkt Anbieter und genau aus diesem Grund war es eben kein originales Gehäuse. Was nicht zwingend bedeutete, dass es deshalb  von schlechter Qualität sein musste.

Bei den Zylindern stand die noch zu bestätigende Vermutung im Raum, dass es sich bei ihnen möglicherweise um 1300 ccm Zylinder handelte. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn der Early Shovel Motor im Original nicht mit 1200 ccm Zylindern bestückt gewesen wäre. In diesem Falle dürften logischer Weise auch die Kolben in den Zylindern nicht mehr den Originalen entsprechen. Wenn also weder das Kurbelgehäuse, noch die Zylinder von einem originalen Early Shovel Motor stammten, dann wurde es mit meiner akzeptablen 50 % Grenze bezüglich der "Fast komplett Original" Aussage eng, machten diese doch bereits vom Volumen her, meiner Meinung nach mehr als 50 % des Ganzen aus.

Um mich nicht immer weiter in möglicherweise haltlose Mutmaßungen zu versteigen, griff ich zum Telefonhörer um mir beim Verkäufer Klarheit zu verschaffen.

Das erste zwischen uns geführte Gespräch trug zu dieser Klarheit nur insoweit bei, als dass der Verkäufer mir seine Auslegung bezüglich der von ihm gewählten Formulierung "Fast Komplett Original" näher brachte, von der er meiner Meinung nach sehr weit entfernt schien.

Seine Argumentation war durchaus nachzuvollziehen, passte sie doch genau in die von mir bereits erwähnte Problematik mit dem Handel von Harley Davidson Motorrädern und Teilen. Es seien Unmengen von Teilen, Motoren und Rahmen aller möglichen Hersteller auf dem Markt und obwohl längst nicht alles, was von seiner äußeren Hülle her den Anschein erwecke ein Produkt der Company zu sein, tatsächlich ein Originalteil war, sei doch alles irgendwie und  irgendeinem Zusammenhang mit der Kultmarke verknüpft. Bis zu diesem Punkt waren wir uns einig. Seiner letztendlichen Argumentation was für ihn "Fast Komplett Original" bedeutete, mochte ich jedoch eher weniger zustimmen.

Sein "Fast Komplett Original" bezog er, wie er mir erklärte, in seiner Verkaufsanzeige nicht auf einen wie man der Überschrift entsprechend annehmen sollte, originalen Early Shovel Motor aus der Zeit zwischen 1966 und 1969 sondern lediglich darauf, dass es sich bei dem Motor um einen Motor handle, der einem der in der Überschrift benannten Motoren vom äußeren Eindruck her sehr nahe käme und dementsprechend eben "Fast Komplett Original" aussah.  
      
Nun wird sich jeder in einem solchen Fall seine eigenen Gedanken machen und zu dem einen oder anderen Schluss kommen. Ich mochte mich dieser Ausführung jedoch nicht anschließen. Das Problem war, dass er mir ja rein technisch gesehen keinen Schrott angedreht hatte und ich mich somit auch nicht wirklich betrogen fühlte. Andererseits hatte ich nicht das bekommen, was über seine Anzeige meiner Meinung nach angeboten wurde. Wenn es nur um einen Motor für ein Projekt ginge, das ich bis ans Ende meiner Tage selber fahren würde, könnte es mir völlig egal sein ob der Motor nun von Harley Davidson hergestellt wurde oder nicht. Doch da ich bei all meinen Projekten ein mögliches Scheitern in meine Planung einbeziehe und in diesem Fall der Motor wieder zum Verkauf stehen würde, sollte spätestens zu diesem Zeitpunkt die Frage nach seiner Herkunft wieder eine Rolle spielen.

Denn im Gegensatz zur Anzeige des jetzigen Verkäufers würde sich in meiner Verkaufsanzeige  kaum der Hinweis "Fast Komplett Original" finden. Und auch nicht die fadenscheinige Erklärung, dass ich ihn selber einmal als einen solchen gekauft hätte und selbst nicht genau wüsste was er war, obwohl ich inzwischen zunehmend genauer wusste was er nicht war.

Wen es um eine mögliche Schuldfrage ging, dann sah der Verkäufer diese in jedem Fall bei mir. Wenn ich einen originalen Early Shovel mit Nummer hätte haben wollen, dann hätte ich seiner Meinung nach auch nach einer Motornummer fragen müssen und dann hätte man mir diesen Motor auch nicht angeboten. Wobei wir wieder bei der leidigen "Dummheit muss bestraft werden" Thematik angelangt wären. Ich fragte mich inzwischen ob mein Gesprächspartner möglicherweise in einer familiären Beziehung zu meinen Freunden Blue Chondro, Djambo und  Gustl stand.

Würde ich den Motor nicht bereits als einen Teil meines Projektes betrachten, in dem ich meinen Frust und meinen Umgang mit diesem Frust umgehend in Sinn bringende Bahnen lenken und verarbeiten konnte, sähe ich mich an dieser Stelle ratlos. Doch so konnte ich ihn als Bestandteil des Weges und der Erfahrung in mein Projekt warnend mit einbringen.
Der Beschäftigung mit der Marke Harley Davidson haftet immer auch ein Flair längst vergangener Tage, wie zum Beispiel denen des Wilden Westens an. Tage in denen sich Männer wie Blue Chondro, Djambo und Gustl als freie Männer gegenüberstanden und sich direkt in die Augen sahen. Tage in denen ein Wort noch ein Wort und ein Deal noch ein Deal war und in der das Vertrauen zwischen Mann und Mann im gegenseitigen Miteinander noch eine zentrale Rolle spielte und das Gefühl in den Arsch gefickt worden zu sein, noch nichts mit Homosexualität zu tun hatte.

Wer allerdings auch heute noch so dumm ist zu glauben, dass irgendetwas von diesem Flair in einem Geschäft um den eigenen Traum stecken könnte, der wird wohl immer wieder vor der Einsicht stehen, dass wenn er mit dieser Einstellung in den Arsch gefickt wurde, die Schuld immer nur bei sich selber zu suchen hatte.

Da sich auf der einen Seite der Appell an ein möglicherweise vorhandenes ethisches Grundempfinden und die männlich harte Welt der Harleytreiber ausschließen, auf der anderen Seite das Gesetz "ein Wort ist ein Wort" längst seine reale Bedeutung verloren zu haben scheint, beschränkte ich mich darauf mitzuteilen, dass ich den gezahlten Preis für den Motor nach aktueller Einschätzung der Dinge für zu hoch halte.

Da er den Motor im Kundenauftrag verkauft hatte, sah der Verkäufer einer Diskussion über einen möglichen Preisnachlass enge Grenzen gesetzt. Erst als ich ihn auf die Möglichkeit hinwies den Vorgang über einen Text wie diesem öffentlich zu machen und ich mir durchaus vorstellen könnte, ihn in diesem namentlich zu erwähnen, stand zumindest die Möglichkeit im Raum noch einmal mit dem tatsächlichen Verkäufer zu sprechen.

Eine Samurai Weisheit warnt davor, aus einer Sache zwei werden zu lassen und es ist immer schlecht wenn in einer Sache wie dieser ein unbekannter Dritter ins Spiel kommt.

In der Folge würden sich im Zweifel alle Unklarheiten auf diesen abwälzen lassen. Und genau so sollte es im Fall meines Motors auch kommen. Als ich nach etwa einer Woche erneut anrief, wollte mir der Verkäufer, der inzwischen nicht mehr der Verkäufer war, noch einmal den Anzeigentext vorlesen, um mir darüber den grundlegenden Fehler meines Denkens zu verdeutlichen. Also begann er zu suchen. Ich sagte ihm ich könne die Anzeige auch vorlesen, da sie direkt vor mir liegen würde. Doch in der Stimmung des allgemeinen Misstrauens zog er es vor aus seiner eigenen Anzeige zu lesen. Die Zeit in der er suchte, verbrachten wir bis auf ein paar nichts sagende "Hmmm´s" schweigend.

Als er seine Anzeige dann endlich gefunden hatte und vorzulesen begann, fing er cleverer Weise in der zweiten Textzeile an und rief damit meinen sofortigen Widerstand auf den Plan. Ich forderte ihn auf bei der Überschrift zu beginnen.

"Harley-Davidson, Early Shovel, Motor"


"Hmmm!?" Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass er auf seiner Webseite betont darauf hinwies, dass Begriffe wie Harley-Davidson und Shovel untrennbar mit einer Marke und einem Produkt verbunden seien und damit ausschließlich im direkten Zusammenhang mit dem Original verstanden werden dürften. Ein Hinweis den er dort wahrscheinlich zur seiner persönlichen Absicherung gegenüber der Company eingestellt hatte und der nun seine Argumentation stark in Frage stellte.

Auch ihm sollte klar sein, dass es gerade angesichts dieses speziellen Hinweises keine weitere Interpretation des Begriffs "Original" mehr geben konnte und es keine Rolle mehr spielte ob in der Folge seines Textes noch einmal eine dieser mit der Marke verbundenen Begrifflichkeiten auftauchen würde. Zwar stimmte er meiner Einschätzung der rechtlichen Lage zu, an dem Geschäft würde dies allerdings nichts ändern, weil der tatsächliche Verkäufer und damit der mir unbekannte Dritte, das nicht so sehen würde. Ich merkte, dass die ganze Sache in Richtung einer  sich im Kreis drehenden Erbsenzählerei abzudriften begann.

Eine Menge würde, hätte, sollte und könnte, die sich um diffuse Aufrechnungen und Gegenargumentationen rankten, begannen meinen Traum vom amerikanischen Eisen und einem Geschäft unter Männern aufzuweichen und in eine Richtung zu lenken, die ich nicht bereit war einzuschlagen. Also sagte ich ihm, dass mir das ganze hin und her zuviel sei. Alles was ich nun abschließend erwartete, sei ein Zeichen. Egal ob positiver oder negativer Natur, um zu einer Entscheidung finden zu können.

Da er an dem Preis des Motors nichts mehr ändern konnte und wohl auch nicht wollte, machte er mir das Angebot mir eine von ihm geleistete Gutschrift zu geben, die ich, für den Fall das ich noch einmal ein Teil für mein Projekt suchen würde einlösen könnte. Da ich mich meines Zeichens jedoch sofort versichern wollte, machte ich Nägel mit Köpfen. Ich bräuchte noch ein brauchbares Getriebe. Nichts mit elektronischer Ausstattung und Starterknopf. Vier Gänge und ein Kicker, würden mir reichen. "Hätte er da" und ich denke, dass wir beide mit dem Ausgang unseres Problems zufrieden waren. Ich hatte mein Zeichen und mit der sofortigen Einlösung meiner Gutschrift ein Getriebe zu einem durchaus akzeptablen Preis und er konnte die leidige Sache endlich zu den Akten legen.

P.S.

Noch bevor ich den Hörer auflegen konnte, wies er mich darauf hin, dass er auch noch die Lichtmaschine und den Beltantrieb für meinen Motor hätte und lockte mich mit dem Angebot auch diese Teile für relativ kleines Geld zu erstehen. Prompt blieb ich wieder wie die Fliege an der Scheiße an seinem Angebot kleben. Ob die alte rostige Lichtmaschine noch zu gebrauchen war, würde sich erst nach der Überholung des Motors zeigen. Doch der Beltantrieb wanderte nach genauer Betrachtung direkt in die Tonne. Beide Antriebsräder wiesen hässliche Ausbrüche und scharfe Kanten an den Zähnen auf. Ein Zeichen dafür, dass der Antrieb offen gefahren wurde und sich das eine oder andere aufgewirbelte Steinchen zwischen Belt und Zahnräder verirrt hatte. Und auch die Aufnahme für die Kupplung hatte schon bessere Zeiten gesehen. Einige der Gewindestangen waren verbogen und die Grundplatte wies übermäßig starke Riefen auf. Als ich die Teile mit zu meinen beiden Schraubern nahm, war ihr Urteil entsprechend vernichtend.

"Der Antrieb ist Schrott, den du wegwerfen kannst. Ein Zustand, dem auch ein Händler der in seiner Anzeige mit einer Jahrzehnte langen Erfahrung auf dem Harley Davidson Sektor wirbt, erkannt haben sollte. Verkauft er dir das Teil als brauchbares Ersatzteil, dann hat er dich bewusst beschissen!"

Klare Worte! Doch da ich keine Lust verspürte, wegen des Beltantriebs die ganze Geschichte  noch einmal von vorne aufzurollen, betrachte ich den Verlust als Lehrgeld und Schluss.